Gabriel gegen Merkel:Endlich eine Alternative!

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SPD-Chef Gabriel propagiert als erster der rot-grünen Anführer eine gemeinsame Schuldenhaftung für Europa - und bietet damit eine Alternative zur Politik der Kanzlerin an. Damit zeigt er, dass die Sozialdemokraten beim Kampf um das Kanzleramt gewillt sind, große Risiken einzugehen. Für Angela Merkel könnte sein Vorschlag noch gefährlich werden.

Claus Hulverscheidt

Angela Merkel gebührt die zweifelhafte Ehre, das Wort "alternativlos" im politischen Diskurs der Bundesrepublik verankert zu haben. Seit einiger Zeit benutzt sie den Terminus nicht mehr, weil man ihn zum Unwort des Jahres 2010 kürte und er in einer Demokratie auf Dauer doch ein wenig autoritär anmutet. Außerdem gibt es zu ihrem Kurs in der Euro-Krise selbstverständlich Alternativen.

Angela Merkel wird in der europäischen Schuldenkrise schon bald einige drängende Fragen beantworten müssen. (Foto: dpa)

Die Pointe ist, dass der Begriff bis Anfang dieser Woche dennoch eine korrekte Zustandsbeschreibung war, wenn auch in einem anderen Sinne als dem gemeinten: Merkels Politik war lange Zeit ohne Alternative, weil SPD und Grüne ein Gegenmodell verweigerten und im Bundestag meist mit der Koalition stimmten. Natürlich hatten sie dafür Gründe, darunter einen, den man sogar nobel nennen darf: In vielen anderen Ländern jedenfalls widerstand die Opposition nicht der Versuchung, die Krise für niederste parteipolitische Ziele zu missbrauchen.

Abgesehen von dieser Bereitschaft zu Mut, Verantwortung und Anstand gab es strategische Gründe für das Verhalten von Roten und Grünen. Denn die beiden denkbaren, absolut gegensätzlichen Hauptalternativen zu Merkels Kurs werden im Wahlvolk ja kaum weniger kritisch beäugt. Die eine wäre Re-Nationalisierung - mit einem Zerbrechen der Euro-Zone oder gar der Rückkehr zur Mark. Die andere bestünde in einer vertieften europäischen Zusammenarbeit in der Finanz-, Sozial- und Wirtschaftspolitik, zu der dann auch eine gemeinsame Schuldenhaftung gehört. Beide Optionen sind somit für eine Kanzleranwärterpartei wie die SPD gleichermaßen problematisch.

Dass nun ausgerechnet Sigmar Gabriel eine Kurskorrektur vornimmt oder doch seinen Standpunkt so weit zuspitzt, dass erstmals klar wird, wohin er die SPD führen will, ist bemerkenswert. Zum einen, weil er bisher als jemand galt, dessen Meinung sich gelegentlich weniger an Inhalten als an der demoskopischen Windrichtung oder aber der Kanzlerkandidatenfrage ausrichtet (was auch diesmal eine Rolle spielen kann). Und zum anderen, weil er die Bereitschaft der SPD signalisiert, im bevorstehenden Kampf um das Kanzleramt beträchtliche Risiken einzugehen.

Gabriel ist der erste der rot-grünen Anführer, der sich offensiv zu einer gemeinsamen Schuldenhaftung in Europa bekennt und darauf verzichtet, diese Position mit Technokraten-Geschwurbel etwa über die Notwendigkeit eines Altschuldentilgungsfonds zu verkleistern. Zwar mag sein Vorstoß in erster Linie der strategischen Überlegung geschuldet sein, dass die Sozialdemokraten 2013 kaum die Abwahl einer Kanzlerin propagieren können, deren Politik sie bis zum Ende mitgetragen haben. Inhaltlich aber gibt es nun erstmals eine klare Alternative zum Kurs der Koalition, die immer noch suggeriert, der Euro lasse sich langfristig mit Bürgschaften, Garantien und einer heimlichen Staatsfinanzierung über die Notenbank erhalten - also praktisch kostenlos.

Für den demokratischen Diskurs kann es nur befreiend sein, dass endlich unterschiedliche Modelle auf dem Tisch liegen, über die es zu streiten lohnt. Dabei steht keineswegs fest, dass Gabriels Weg besser ist. Es mag zwar so sein, dass die Euro-Zone ohne eine gemeinsame Schuldenhaftung nicht dauerhaft wetterfest gemacht werden kann. Doch können auf dem Weg dorthin noch unzählige Fehler passieren, die das Haus zum Einsturz bringen - etwa bei der Auswahl des richtigen Haftungsmodells, oder wenn man in der falschen Reihenfolge vorgeht.

Auch sind viele Euro-Staaten allen Sonntagsreden zum Trotz gar nicht darauf erpicht, mehr Europa zu wagen. Andererseits bekäme Deutschland mit der Bereitschaft zu einer gemeinsamen Schuldenhaftung einen so attraktiven Köder in die Hand, dass plötzlich Dinge möglich würden, die sich heute noch kaum jemand vorstellen kann.

Tatsache ist: Die Kanzlerin hat die Krise mit ihrer Strategie bisher nicht bewältigt; es bedarf also neuer Ideen. Merkel selbst dürfte sich mit just dieser Erkenntnis gerade den verdienten Urlaub vermiesen. Am Ende könnte es statt Gabriel nämlich sie sein, die in eine strategische Falle gerät, die im Ungefähren bleiben muss, weil sie das Für und Wider einzelner Optionen aus Rücksicht auf die Befindlichkeit der eigenen Truppen nicht ergebnisoffen abwägen kann.

Stattdessen spricht Merkel schon jetzt nebulös davon, dass der Konstruktionsfehler der Währungsunion, nämlich das Fehlen einer politischen Union, beseitigt werden müsse. Was aber bitte schön soll eine politische Union sein, wenn nicht die stärkere Vergemeinschaftung wesentlicher Politikfelder, inklusive der Haushaltspolitik? Diese Frage wird die Kanzlerin bald schon beantworten müssen. Denn ihre Politik ist nicht länger alternativlos.

© SZ vom 09.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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