Der Weg von den Schrecken des 20. Jahrhunderts zu den Wirren der Jetztzeit war am Freitag ein kurzer. Vor Beginn des eigentlichen G-7-Gipfels lud der japanische Ministerpräsident Fumio Kishida seine Gäste zur einer Führung durchs Friedensgedächtnismuseum. Zu sehen sind dort in teils drastischen Exponaten die Verheerungen, die eine einzige Atombombe am 6. August 1945 in der Stadt angerichtet hat. Zehntausende wurden sofort getötet, Hunderttausende litten unter den Folgen. Mit betroffenen Mienen legten Joe Biden, Olaf Scholz und die anderen Staats- und Regierungschefs nach der Führung vor der Kulisse der Atombombenkuppel Kränze nieder und pflanzten ein Kirschbäumchen. Danach ging es, in der blumigen Diktion der japanischen Ausrichter, um das Streben nach einer "internationalen Gemeinschaft, die durch Kooperation gekennzeichnet ist, nicht Teilung und Konfrontation". Also ungefähr das Gegenteil der Welt, wie sie ist.
Gut ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine schwankt der G-7-Gipfel der wirtschaftsstärksten Demokratien zwischen dem Wunsch nach westlicher Selbstvergewisserung und dem Buhlen um Verbündete. Dahinter steht eine bittere Erkenntnis, die seit dem russischen Überfall auf die Ukraine immer mächtiger geworden ist. Die westlichen Staaten sind sich mit den meisten aufstrebenden Mächten des Südens gerade noch einig in der Verurteilung von Gewalt und Landraub seitens Russlands. Länder wie Südafrika und Indien denken aber gar nicht daran, ihre wirtschaftlichen und politischen Verbindungen nach Russland zu kappen.
Liveblog zum Krieg in der Ukraine:Selenskij lobt Kampfjet-Entscheidung der USA
Der ukrainische Präsident begrüßt die Unterstützung der USA für die sogenannte Kampfjet-Koalition als "historische Entscheidung". Die Ausbildung der Piloten soll außerhalb der Ukraine an Standorten in Europa stattfinden und Monate dauern.
Hinzugeladen in Hiroshima sind, ähnlich wie vor einem Jahr in Elmau, Partner aus allen Weltteilen, vor allem Brasilien, Indien und Indonesien. Mit ihnen wolle man "neue weitere Fortschritte" erzielen, gab Kanzler Scholz als Ziel zu Protokoll. Es gehe darum, sich für die "Probleme des globalen Südens zu öffnen und für deren Lösung einzusetzen", erklärte Kishida. Es sei die "Top-Priorität" von US-Präsident Biden, Amerikas Allianzen wiederzubeleben, hieß es aus dem Weißen Haus. Die EU arbeite an "globalen Partnerschaften", versicherte EU-Ratspräsident Charles Michel.
Das Signal aus Hiroshima soll einerseits eines der Umarmung globaler Partner sein, was durch deren häufig ambivalente Haltung zum russischen Angriffskrieg erschwert wird. Die andere, nicht weniger wichtige Botschaft des Gipfels soll die des Durchhaltewillens und der Geschlossenheit in der Unterstützung der Ukraine werden. Die Regierung in Kiew bestätigte, dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij am Gipfel teilnehmen werde - womöglich auch in der Sorge vor einer wachsenden Kluft zwischen den bekannten Bekenntnissen und der tatsächlichen Bereitschaft, der Ukraine dauerhaft mit der erforderlichen Waffen- und Finanzhilfe beizustehen. "Die Ukraine braucht mehr Waffen, mehr Munition und das schnell", sagte Michel vor Gipfelbeginn.
In einer Erklärung zum Krieg in der Ukraine kündigten die G 7 schließlich "weitere Sanktionen und Maßnahmen" an. Konkret soll Russland der Zugang zu militärisch nutzbarer Technologie weiter erschwert, der russische Finanzsektor noch stärker ins Visier genommen und die Umgehung von Sanktionen effektiver bekämpft werden. Auch die russischen Einnahmen aus dem lukrativen Diamantenhandel sollen reduziert werden, wobei es nur vage hieß, man wolle hier weiter "eng zusammenarbeiten". Russland fordern die G 7 zum "sofortigen, vollständigen und bedingungslosen Abzug seiner Truppen vom gesamten international anerkannten Territorium der Ukraine" auf. Beim Besuch von Selenskij in Berlin hatte Kanzler Scholz noch sehr viel vorsichtiger davon gesprochen, Russland müsse "Truppen zurückziehen".
Bereits mit der Ankündigung neuer Sanktionspakete waren US-Präsident Biden und der britische Premierminister Rishi Sunak angereist. Die US-Regierung kündigte an, etwa 70 Unternehmen und Organisationen aus Russland und anderen Ländern von US-Exporten abzuschneiden. Außerdem sollen mehr als 300 weitere Einzelpersonen, Unternehmen und Organisationen, Schiffe und Flugzeuge mit Strafmaßnahmen belegt werden. Großbritannien will ein Importverbot für Diamanten sowie Kupfer, Aluminium und Nickel aus Russland verhängen. Außerdem gab Biden grünes Licht für die Ausbildung ukrainischer Piloten an Kampfjets vom amerikanischen Typ F-16. Eine Entscheidung über eine Lieferung der Kampfjets an die Ukraine solle zu einem späteren Zeitpunkt folgen.
Prägend für den Gipfel waren schon wegen der geografischen Nähe auch die Versuche, eine gemeinsame Linie gegenüber China zu formulieren. Das Zauberwort dafür lautet De-Risking. Die wirtschaftliche Sicherheit spiele "eine ganz große Rolle im Hinblick auf Lieferketten, im Hinblick auf Investitionsbeziehungen und im Hinblick auf technologische Sicherheit", definierte Scholz die Vokabel. Nötig sei der Schutz einer "engen Kategorie sensibler Technologie, die zu militärischer Modernisierung führen kann", hieß es von US-Seite.
Gastgeber Kishida betonte in allen Gesprächen, wie wichtig "Frieden und Stabilität" in der Straße von Taiwan seien. Auch bei diesem Thema dominierte die Ambivalenz: einerseits die Sorge, dass China versuchen könnte, sich Taiwan gewaltsam einzuverleiben. Andererseits der Wunsch, mit "China bei gemeinsamen Herausforderungen zusammenzuarbeiten", wie Biden und Kishida nach einem Gespräch versicherten.