Selten waren Kulissen und erwartbares Ergebnis so stimmig wie bei diesem letzten internationalen Auftritt von Bundesfinanzminister Olaf Scholz vor der Bundestagswahl. Erstmals seit 18 Monaten treffen sich die Finanzminister der mächtigen G-20-Staaten wieder physisch, an diesem Freitag und Samstag, ausgerechnet in der glitzernden Lagunenstadt Venedig.
So ist das geheimnisumwobene Arsenal in der Serenissima zur Bühne geworden, auf der der Kanzlerkandidat der SPD die Wähler in der Heimat daran erinnern wird, dass es Bewerbende für das Kanzleramt gibt, die sich mit Schludrigkeitsvorwürfen plagen müssen oder dem Vorwurf, programmatisch wenig zu bieten zu haben. Und ihn, der sich um Inhalte kümmert.
Von diesem Treffen in Venedig, sagt Scholz im Flieger - die Lagunenstadt ist schon zu sehen, die Anschnallzeichen sind längst angeschaltet, aber das muss er noch loswerden - werden "drei wichtige Signale" ausgehen. Die mächtigsten Volkswirtschaften planten, mehr für die weltweite Impfkampagne zu tun, der globale Süden solle ausreichend Impfstoffe bekommen. Deutschland zeige sich bereits solidarisch, nur die USA würden noch mehr Geld bereitstellen. Hat er für gesorgt. Läuft also, aus deutscher Sicht.
Um das nächste Signal bemüht er sich persönlich, kaum dass der Flieger gelandet ist. Scholz läuft zum Schnellboot und schafft es, pünktlich im Arsenal zu sein. Dort wirbt er vor einem internationalen Publikum dafür, einen internationalen Klimaklub voranzubringen, in dem die Staaten der Welt sich beim Klimaschutz absprechen. Auf Englisch, frei sprechend. Der Klimaklub ist ja auch so eine Scholz-Idee, die, als er sie erstmals vorstellte, belächelt wurde. Als ob es nicht schon genug Gremien gebe. Aber siehe da, inzwischen nimmt die Zahl der Fans zu.
Da bewegt sich was - und Scholz hat seinen Anteil daran
"Es kann ja nicht sein", gibt sich der Kandidat überzeugt, "dass alle Staaten jetzt was für den Klimaschutz tun und dann erst einmal einen Zollkrieg anfangen, weil sie fürchten, dass Unternehmen abwandern in Gebiete ohne Klimaschutz". Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wird es die Scholz-Idee ins G-20-Abschlussdokument schaffen, das am Samstag verabschiedet werden soll. "Wir stimmen darin überein, dass eine engere internationale Koordination von Klimamaßnahmen helfen könnte, unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen". Wieder ein Häkchen.
Das dritte Häkchen hätte vor einem Jahr wohl keiner für möglich gehalten. Die Beharrlichkeit, mit der Scholz bei jeder Gelegenheit die Idee vortrug, dass Unternehmen weltweit eine Mindeststeuer auf Gewinne zahlen und die Besteuerungsrechte für große Konzerne wie die Tech-Riesen neu verteilt werden müssten, klang schlicht nach Wünsch-dir-was. So ähnlich wie seine Kanzlerkandidatur. Und nun - klappt es doch.
"Ich bin sehr, sehr froh, dass sich die Mühe auszahlen wird", sagt Scholz. Er ist erwartungsfroh, fast übersprudelnd: "Es haben so viele nicht daran geglaubt, aber ich habe es unverdrossen vorangetrieben". Man kann sich vorstellen, dass der Kanzlerkandidat der SPD diesen Satz auch am Abend des 26. September um 18 Uhr gerne sagen würde, wenn die erste Hochrechnung kommt. Und Scholz entgegen der derzeitigen Prognosen eine Regierung bilden kann.
Fast droht ein wenig unterzugehen, dass in einer Zeit, in der die öffentliche Aufmerksamkeit in Deutschland permanent um kopierte Textstellen, 0,1-Prozent-Bewegungen bei Inzidenzen oder einen einzelnen CDU-Bundestagskandidaten aus Thüringen kreist, sich auf der internationalen Bühne richtig was bewegt. Und der Bundesfinanzminister seinen Anteil daran hat.
Die Ära Trump ist vorbei, der Multilateralismus lebt
"Die eigentliche Botschaft ist doch", sagt der SPD-Kanzlerkandidat, "dass es im globalen Maßstab wieder möglich ist, Verabredungen zu treffen". Die Ära Trump ist vorbei, der Multilateralismus lebt. Die G20 wird sich politisch verpflichten, kein Steuerdumping mehr zu dulden, das sind zwei Drittel der Weltbevölkerung und vier Fünftel der globalen Wirtschaftskraft. Insgesamt 131 Staaten wollen mitmachen. Wenn man bedenkt, dass es die 16 deutschen Bundesländer bis heute kaum schaffen, eine gemeinsame Software etwa für ihre Finanzämter einzuführen, wird deutlich, was für eine Steuerrevolution der deutsche Finanzminister vorangetrieben hat.
Natürlich ist nichts perfekt, die USA haben ein ureigenes Interesse, in anderen Staaten mehr Steuern einzutreiben. In Europa sträuben sich Irland, Estland und Ungarn. Frankreich und andere Staaten müssten ihre nationale Digitalsteuer abschaffen, wollen das aber erst tun, wenn die USA beweisen, dass sie ihren Tech-Riesen keine Schlupflöcher lassen. Trotzdem, Scholz blinzelt in die Sonne: "Insgesamt sind die Dinge besser gelaufen, als man hätte erwarten können."