Mit einem Minimalkonsens bei den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten hat die Gruppe der 20 führenden Wirtschaftsmächte in Rio de Janeiro eine gemeinsame Gipfelerklärung gerade so zustande gebracht. Schon am ersten Tag des Gipfels wurde das 85 Punkte umfassende Dokument von der brasilianischen Präsidentschaft veröffentlicht. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird darin wie bereits beim Gipfel in Indien im Vorjahr nicht mehr explizit von einer Mehrheit der Länder verurteilt. Beim Treffen auf Bali vor zwei Jahren war dies noch der Fall. Russland – selbst G-20-Mitglied – wird in der Passage zum Ukraine-Krieg erneut nicht erwähnt. Es wird nur allgemein „auf das menschliche Leid und die negativen zusätzlichen Auswirkungen des Krieges“ verwiesen, beispielsweise auf die Nahrungsmittel- und Energiesicherheit.
Aus deutscher Sicht ist nicht nur diese Passage kaum zu akzeptieren, sondern auch die zum Krieg im Nahen Osten. Der Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist darin nicht erwähnt. Vor dem Gipfel hatte es in deutschen Regierungskreisen noch geheißen, dass ein solches Ergebnis der Verhandlungen „inakzeptabel“ wäre. In der Erklärung zeigt sich die Gruppe der 20 nun über die humanitäre Lage im Gazastreifen und die Eskalation in Libanon besorgt. Die humanitäre Hilfe müsse dringend ausgeweitet und der Schutz der Zivilbevölkerung verstärkt werden – eine klare Botschaft an Israel. Die G 20 bekräftigt zudem das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung und ein „unerschütterliches Engagement“ für eine Zweistaatenlösung.
Israels Außenminister Gideon Sa’ar hatte vor dem Gipfel gefordert, die G 20 müsste in ihrem Kommuniqué Israels Recht auf Selbstverteidigung anerkennen, die Freilassung aller Geiseln verlangen und die Terrororganisationen Hamas und Hisbollah verurteilen, gegen die Israel im Gazastreifen und in Libanon Krieg führt. Eine Erklärung, die diese Punkte nicht erwähne, werde nur Iran und seine Verbündeten ermutigen, weiter Instabilität im ganzen Nahen Osten zu säen, schrieb Sa’ar.
Die Agenda des Gastgebers hob vor allem Themen des globalen Südens hervor
Bei den beiden Konflikten in der Ukraine und im Nahen Osten gibt es die größten Gräben zwischen den Staaten der G 20. Ihr gehören die großen westlichen Demokratien wie die USA, Deutschland und Großbritannien an, aber auch autoritär geführte Staaten wie Russland und China. Gastgeber Brasilien, sowie Länder wie Indien oder auch Südafrika stehen zwischen beiden Lagern.
Der Gastgeber, Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, setzte die beiden Kriege gar nicht erst auf die Tagesordnung. Und er lud zur Verärgerung Deutschlands und anderer westlicher Staaten den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij nicht ein. Lula verfolgte eine Agenda, die vor allem die Themen des sogenannten globalen Südens hervorhob, also der Schwellenländer Lateinamerikas, Afrikas und Asiens.
Wichtige Punkte konnte er in dem Abschlussdokument unterbringen: den Kampf gegen Hunger und Klimaerwärmung sowie eine Reform der internationalen Organisationen. Die G-20-Staaten wollen sich künftig zudem für eine wirksame Besteuerung der Superreichen einsetzen. Ohne in die Steuerhoheit der Staaten einzugreifen, werde man sich gemeinsam darum bemühen, sehr vermögende Personen effektiv zu besteuern, heißt es in der Erklärung. Damit wird ein Minimalkonsens der G-20-Finanzminister aus dem Juli bekräftigt.
Die Milliardärssteuer geht auf einen Vorschlag des Gastgeberlands Brasilien zurück. Demnach sollten alle Personen mit einem Vermögen ab einer Milliarde US-Dollar jährlich mindestens zwei Prozent an ihr Heimatland abführen. Schätzungen zufolge wären davon etwa 3000 Menschen betroffen gewesen – es hätte weltweit zusätzliche Steuereinnahmen von bis zu 250 Milliarden Dollar pro Jahr bringen können. Doch bereits vor dem Treffen der G-20-Finanzminister im Juli positionierten sich einflussreiche Länder wie die USA und auch Deutschland – zu der Zeit mit einem FDP-geführten Finanzministerium – gegen den brasilianischen Vorschlag. Man konnte sich auch hier lediglich auf einen Minimalkonsens einigen, der nun von den Staats- und Regierungschefs unterstützt wird.
G 20 in Rio de Janeiro:Ende der Samba-Diplomatie
Brasilien hat sich jahrzehntelang aus den Konflikten der Welt herausgehalten und gute Kontakte zu allen gepflegt. Doch für den Gastgeber des G-20-Gipfels wird das immer schwieriger.
NGO kritisiert Passage zum Klimaschutz
Außerdem bekräftigen die G-20-Staaten in Rio das international vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Mit Blick auf die Frage der Klimafinanzierung freue man sich auf ein erfolgreiches Ergebnis der Weltklimakonferenz in Baku. Nach Ansicht der Umweltorganisation Global Citizen reichen die G-20-Staaten die Verantwortung damit weiter. „Obwohl die G-20-Mitglieder die Hauptblockierer sind, haben sie wieder einmal den Schwarzen Peter weitergereicht und es anderen überlassen, das Chaos zu beseitigen“, kritisiert Vizepräsidentin Friederike Röder. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigt sich auf X hingegen zufrieden. Mit der gemeinsamen Erklärung werde der Kampf gegen die globale Armut und den Klimawandel vorangetrieben.
Die G-20-Staaten erklären in der Abschlusserklärung zudem, auf eine Reform des UN-Sicherheitsrates hinarbeiten zu wollen. Die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer fordern eine bessere Vertretung der bislang unterrepräsentierten Regionen Afrika, Asien, Lateinamerika und Karibik. In Rio wurde auch die Globale Allianz gegen Hunger und Armut ins Leben gerufen. Es fehle weder an Wissen noch an Ressourcen, sondern an politischem Willen, um den Menschen Zugang zu Nahrungsmitteln zu verschaffen, heißt es in der Abschlusserklärung. Die Gruppe setze sich für Schulspeisungsprogramme oder einen verbesserten Zugang zu Mikrofinanzierungen ein. Die Initiative ist eines der zentralen Themen der brasilianischen G-20-Präsidentschaft. „Das wird unser größtes Vermächtnis sein“, sagte Lula zum Auftakt des Gipfels.
Am Rande des zweiten Gipfeltages will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erneut mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beraten. Dabei soll es unter anderem um das Thema Waffenlieferungen an Russland gehen. Zuvor hatte Außenministerin Annalena Baerbock von Erkenntnissen über den Export chinesischer Drohnen nach Russland berichtet und Konsequenzen angedroht. Außerdem will Scholz den Einsatz nordkoreanischer Truppen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine thematisieren.