G-20-Protestwelle in Hamburg:Anti-Randale-Auftakt in Hamburg

OxfamâÄÖs Big Heads depict G20 leaders take part in protests ahead of the upcoming G20 summit in Hamburg

G20-Protest: Oxfam lässt Anzugträger mit riesigen Köpfen von Merkel, Trump und anderen aufmarschieren.

(Foto: REUTERS)

Mit Kanus und Tretbooten sowie an Land protestieren Tausende gegen den G-20-Gipfel. Dass Trump kommt, ärgert viele - doch nicht nur der US-Präsident ist schuld an der globalen Ungerechtigkeit.

Von Dominik Fürst und Matthias Kolb, Hamburg

Die Demonstration gegen das G-20-Gipfeltreffen läuft schon mehrere Stunden lang, als so richtig deutlich wird, was auf dem Spiel steht. Selina Leem ist 19 Jahre alt und kommt von den Marshall-Inseln: "Die liegen im Ozean zwischen Hawaii und Australien. Experten sagen voraus, dass die Inseln 2050 untergegangen sein werden." Tausende stehen da noch auf dem Hamburger Rathausmarkt und viele scheinen schockiert, als die junge Frau schildert, wie die Lebensgrundlagen ihres Volks durch den Klimawandel zerstört werden. Kämpferisch ruft Leem: "Wir werden das nicht akzeptieren, die G20 müssen das verhindern."

Die Forderung der Aktivistin von den Marshall-Inseln ist die dringlichste, die bei der G-20-Protestwelle am Sonntag ausgesprochen wird. Die Protestwelle bildet den Auftakt zu vielen Demonstrationen und Aktionen, die in der kommenden Woche in der Hansestadt stattfinden werden - bevor und während sich die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer treffen. Zum Auftakt bleibt die Randale aus. Alles ist friedlich, genau wie es die Organisatoren angekündigt haben und die Polizei erhofft hat.

Wie es das Hamburger Klischee verlangt, regnet es in Strömen, als sich gegen elf Uhr die ersten Teilnehmer zur Auftaktkundgebung versammeln. "Friedlich, solidarisch, kreativ", so sollen die Proteste sein - stets verbunden mit der Aufforderung an die G20, sich für eine gerechtere Welt einzusetzen. Gegen Mittag ist es wieder trocken, die Sonne kommt heraus, als das "Bannermeer" aus den vielen Plakaten präsentiert wird.

Die Organisatoren wollen schöne Bilder - und kriegen sie

Hinter der Protestwelle stehen Umwelt-, Bürgerrechts-, Sozial- und Entwicklungsorganisationen wie Greenpeace, DGB, Nabu, der WWF und die Naturfreunde. Sie haben sich bewusst entschieden, mehrere Tage vor der Ankunft der globalen Polit-Elite zu demonstrieren: Ihre Forderungen sollen gehört werden und jene Bilder entstehen, mit denen Globalisierungskritiker um Aufmerksamkeit und Spenden werben. Also lässt Oxfam Anzugträger mit riesigen Köpfen von US-Präsident Donald Trump, Russlands Staatschef Wladimir Putin, Chinas Präsident Xi Jinping und Kanzlerin Angela Merkel aufmarschieren - und die Fotos verbreiten sich nicht nur durch Agenturfotografen, sondern auch via Social Media.

Für eine außergewöhnliche Optik sorgt auch die Bootsdemo auf der Binnenalster: 130 Kanus, Tret- und Segelboote schippern auf dem Wasser herum. Das Motto der Protestwelle ("Eine andere Politik ist nötig") ist hier ebenso zu lesen wie der Spruch "Weltoffene Patrioten gegen engstirnigen Nationalismus".

In der Mitte dreht eine Schaluppe mit Dutzenden Aktivisten ihre Runden. Auf dem Oberdeck freut sich Regionalkoordinatorin Svenja Angenendt, dass trotz des schlechten Wetters so viele gekommen sind. Laut Polizei sind es 8000 Menschen, die Organisatoren rufen später "25 000" von der Bühne. Für Angenendt kommt Randale nicht in Frage: "Die Leute hören uns nur zu, wenn es friedlich bleibt." Eine bessere Welt fordern und gewalttätig werden - für die 27-Jährige und die anderen Protestwelle-Teilnehmer ergibt das keinen Sinn.

Vom Schwarzen Block geht keine Gefahr aus

Rote Fähnchen, gelbe Fähnchen, grüne Transparente: Farbig und vielfältig geht es zu, als der Protestzug an der Bootsdemo vorbeizieht. Zwanzig Frauen haben sich als Piratinnen verkleidet, sie rufen: "Frieden schaffen, Plastikwaffen, hey ho, und ne Buddel voll Rum." Ein etwa 15-jähriges Mädchen, das mit seiner Mutter zur Demo gekommen ist, trägt ein Schild mit der Aufschrift "G20 ist ranzig" auf dem Rücken. Es sind brave Symbole des Widerstands, der berüchtigte Schwarze Block ist nur mit einem großen, aufblasbaren Sack an der Binnenalster vertreten. Die Leute grinsen, als sie der Protestzug hier vorbeiführt, danach geht es über den Ballindamm, die Binnenalster und den Gänsemarkt schließlich zum Rathaus zurück.

Dort steht der 65-jährige Uli in der Menge, er hält ein pinkes Protestfähnchen in der Hand und erklärt gelassen, was ihn am Gipfel stört. "Wenn sich hier Leute wie Erdoğan treffen, die mit Demokratie nichts am Hut haben, dann finde ich das traurig." Daheim in Cuxhaven engagiert er sich für Flüchtlinge, ihnen fühlt er sich verantwortlich: "Dass die Menschen hierher fliehen müssen, daran sind wir nicht ganz unschuldig." Am Samstag, wenn Trump, Putin und Co. in den Messehallen tagen, will er wiederkommen, nochmal demonstrieren, um etwas zu bewegen: "Das ist doch gerade die Stärke unseres Systems."

Den G-20-Gegnern, die aus ganz Deutschland angereist sind, geht es vor allem um Themen, nicht um Personen. Obwohl: Gegen den US-Präsidenten sind ohnehin alle, aber die globale Ungerechtigkeit des Systems, die gab es ja schon lange vor ihm. "Auf Trump kann man schimpfen, aber er steht für mich nur beispielhaft dafür, wie wirtschaftliche Interessen gegen die der Allgemeinheit stehen", sagt eine der Piraten-Frauen.

Die Schülerinnen Annika und Vanessa, 18 und 19 Jahre alt, demonstrieren gegen den G-20-Gipfel, weil sie sich in ihrer Heimatstadt nicht mehr frei bewegen können. Sie sind genervt, weil Freunde in den Sperrgebieten wohnen und man sich für einen Besuch Wochen im Voraus anmelden müsse. Dass sich die öffentliche Debatte vor allem auf die mögliche Randale dreht, nervt viele. Auf ihren Wangen tragen Annika und Vanessa Klebetattoos, die einen Globus in Herzform zeigen: "Planet Earth First" steht daneben geschrieben.

Wieso Umweltschützer neben Trump auch Merkel kritisieren

Greenpeace hat diesen Slogan in Anspielung auf Trumps "America First" entwickelt - und der Umweltschutz ist vielen der Demo-Teilnehmer das dringlichste Anliegen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich schon positioniert: "Wir können und werden nicht darauf warten, bis auch der Letzte auf der Welt von den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Klimawandels überzeugt werden konnte", sagte sie im Bundestag. Gemeint ist Donald Trump, der den Pariser Klimavertrag aufgekündigt hat.

In Sachen Klimaschutz dürfte der US-Präsident am Wochenende beim Gipfel isoliert dastehen, doch die deutschen Umweltschützer haben auch an Merkel viel auszusetzen. Ernst-Christoph Stolper vom BUND würdigt zwar, dass sich die Bundeskanzlerin für das Pariser Klima-Abkommen einsetze, doch innenpolitisch fehle es am Ehrgeiz: "Es wird zu viel gezögert und und gezaudert. Merkel verschleppt den Braunkohle-Ausstieg und sorgt nicht für eine echte Wende in der Verkehrspolitik."

Und dann gibt es noch den klassischen antikapitalistischen Protest. Etwas abseits vom Rathausmarkt hängt hinter einer Glasscheibe ein Plakat, es zeigt einen erschöpften Menschen vor dem Computer. Dabei steht: "Erst wenn du zusammenbrichst, hast du das Leistungsprinzip in seiner ganzen Schönheit verstanden." Ein besonders schönes Plakat sei das, findet der Mann, der die Protestwelle-Demo von außen betrachtet und seinen Namen nicht im Internet lesen möchte. Er raucht eine selbstgedrehte Zigarette.

Die Arbeit sei heute anstrengender denn je, sagt er, selbst ein Bier auf dem Bau sei verpönt. "Heute wird man in fünf Jahren durchgeheizt." Er redet sich ein bisschen in Rage. Die G20 seien nichts anderes als die "ziemlich durchsichtige Bereicherung einiger Weniger auf Kosten Anderer." Langsam beruhigt er sich wieder. Er kenne dieses Dreckssystem doch schon lange genug. Der Mann entschuldigt sich und zieht von dannen. "Noch ein bisschen die Alster genießen."

Wie es nun in Hamburg weiter geht

Die Hamburger selbst können ihre Stadt zumindest noch ein paar Tage genießen, der Wochenbeginn verläuft ruhig, bis am Mittwoch, dem 5. Juli der "Gipfel für globale Solidarität" beginnt, bei dem in der Internationalen Kulturfabrik Kampnagel Aktivisten aus aller Welt zwei Tage lang über Alternativen zur Agenda der G 20 debattieren. Am Mittwochabend findet unter den Slogans "Lieber Tanz ich als G20" und "Alles Allen" eine "hedonistische Nachttanzdemo" statt.

Ob es zu Protesten kommt, wird sich nach Einschätzung der Polizei am Donnerstag bei der "Internationalen antikapitalistischen Vorabend-Demonstration" zeigen: Wer am 6. Juli zu "G20 Welcome to Hell" marschiert, spricht der informellen Gruppe der G 20, die als Reaktion auf die Finanzkrise gegründet wurde, jede Legitimität ab.

Hier werden Ausschreitungen und Verhaftungen ebenso befürchtet wie am Freitag: Dann beginnt der G-20-Gipfel offiziell, und linke Gruppen haben am "Aktionstag" Massenblockaden der Tagungsorte angekündigt. Innenminister Thomas de Maizière hat schon einmal vorsorglich eine harte Linie gegenüber gewaltbereiten Demonstranten angekündigt. Sorge bereiteten ihm linke Gruppierungen, die bereit seien, "schwere Straftaten" zu begehen, sagte er der Bild am Sonntag.

Von Freitagmorgen an gilt das Demonstrationsverbot auf einer 38 Quadratkilometer großen Fläche, die weite Teile der Hamburger Innenstadt umfasst. Während am Abend Kanzlerin Merkel und die Staatsgäste in der Elbphilharmonie klassische Musik genießen, heißt es auf der Reeperbahn: "G20 entern, Kapitalismus versenken".

Am Samstag endet der Gipfel am Nachmittag - zuvor wollen erneut Tausende bei der internationalen Großdemonstration "Grenzenlose Solidarität statt G20" ihren Protest ausdrücken. Die Organisatoren werfen Polizei und Politikern Panikmache vor - sie sprechen angeblich so oft von möglicher Randale, damit viele Bürger die Hansestadt vorab verlassen und nicht auf die Straßen gehen.

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