G-20-Gipfel in Sankt Petersburg:Rat der Ratlosen

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Ratlos: Großbritanniens Premier Cameron in Sankt Petersburg (Foto: dpa)

Zwei Millionen syrische Kinder, Frauen und Männer sind bereits aus ihrem Land geflohen. Die großen Gremien der Erde finden keine Antwort auf ihre Not. Nicht durch den Sicherheitsrat, nicht durch die G 20, nicht durch das Völkerrecht. Das ist bitter, doch die Weltpolitik hat auch Fortschritte gemacht - es gibt Grund zur Hoffnung.

Ein Kommentar von Stefan Ulrich

Wie genügsam die Welt doch geworden ist.

Vom Gipfel der G-20-Staaten in einem Zarenpalast bei Sankt Petersburg erwarten auch Optimisten allenfalls einen Lichtblick im Kampf gegen Schattenbanken. Ansonsten dürfte das Treffen der wichtigsten Industrie- und Schwellenstaaten zum Opfer des Syrien-Konflikts werden. Genauso wie im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stehen sich bei den G 20 Amerikaner und Russen, und damit Befürworter und Gegner eines Militärschlags in Syrien, gegenüber. Auf den zwei Bühnen der Weltpolitik wird dasselbe Stück gegeben. Ein Kompromiss, eine Lösung gar, ist nicht in Sicht. Zwei Millionen syrische Kinder, Frauen und Männer sind bereits aus ihrem Land geflohen. Doch die großen Gremien der Erde finden keine Antwort auf ihre Not.

Probleme werden vertagt

Syrien ist nur ein Beispiel für eine Weltordnung, die treffender als Weltunordnung zu bezeichnen ist. Die Lösung vitaler Probleme der Menschheit, etwa die Verbreitung von Atomwaffen oder die Klimaerwärmung, wird daher vertagt. UN, G 8, G 20 - diese Räte stehen meist für Ratlosigkeit. Deshalb verfliegt die Hoffnung der Idealisten auf einen globalen Völkerbund im Kant'schen Sinne, der von Vernunft und Recht geleitet dem Frieden dient.

Ratlose Gesichter auch bei Jacob Zuma und François Hollande, den Präsidenten Südafrikas und Frankreichs (Foto: AFP)

Dabei hat es immer wieder ehrgeizige Anläufe gegeben, der Welt Struktur, Recht und Frieden zu geben: nach dem Ersten Weltkrieg den Völkerbund, nach dem Zweiten die Vereinten Nationen. Doch diese Versuche scheiterten an Macht, Interessen und Unvernunft von Politikern, Kriegsherren und ganzen Nationen. Anfang der Neunzigerjahre, nach dem Ende des Kalten Krieges, schien die Zeit für den Durchbruch endlich gekommen zu sein. Die einen träumten vom Ende der Geschichte, die anderen von einer Herrschaft der Vereinten Nationen. Doch die Geschichte ging weiter; und die UN litten schwer unter der Zerstrittenheit und Lähmung des Sicherheitsrats mit seinen fünf Vetomächten, dessen Machtbalance aus dem Jahr 1945 stammt.

Es bleibt das Völkerrecht

Einen neuen Weg schienen die G 20 zu weisen. Endlich durften die wichtigsten Länder aus der zweiten Reihe - darunter China, Indien und Brasilien - am Tisch der Mächtigen Platz nehmen. Manche glaubten, der zur Lösung von Wirtschaftsfragen gegründete Club könnte sich bald aller großen Weltprobleme annehmen und die Lücke füllen, die die Vereinten Nationen lassen. Damit zeigen sich die G 20 allerdings überfordert.

Bleibt das Völkerrecht, das mit seinem Gewaltverbot und seinen Regeln zum Schutz der Menschenrechte die Schwäche der globalen Institutionen ausgleichen soll. Nur: Das Völkerrecht verfügt nicht über die Dichte und Durchsetzungskraft nationalen Rechts. Es steht oft im Feuer sich befehdender Staaten und bräuchte einen handlungsfähigen UN-Sicherheitsrat, um sich mehr Respekt zu verschaffen. Da es diesen Rat nicht gibt, wird das Recht immer wieder straflos gebrochen.

Wirkt ebenfalls ratlos: Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan in Sankt Petersburg (Foto: dpa)

"Verlorene Illusionen", heißt ein Balzac-Roman. Der Titel würde auch zu all den Versuchen passen, mit Recht und globalen Institutionen eine faire Weltordnung zu schaffen. Gerade die Deutschen neigen aufgrund ihrer philosophischen Tradition und ihrer traumatischen Erfahrungen in der Geschichte dazu, das Heil in einer verrechtlichten, klar strukturierten Weltgemeinschaft zu suchen. Eine "Bundesrepublik Globus" sozusagen. Doch dafür ist die Geschichte noch nicht reif, und vielleicht wird sie es niemals werden.

Müssen Idealisten darüber verzweifeln und zähneknirschend bei der Renationalisierung der internationalen Politik und dem zähen Ringen egoistischer Großnationen zusehen? Ganz so bitter ist die Lage nicht. Die Weltpolitik hat seit den Weltkriegen auch Fortschritte gemacht. Den Menschenrechten werden mehr Aufmerksamkeit und Gewicht zugebilligt.

Und er? Der amerikanische Präsident Barack Obama wirkt auch ratlos (Foto: AFP)

Längst ist anerkannt, dass souveräne Staaten mit ihren Bürgern nicht machen können, was sie wollen. Internationale Strafgerichte beginnen, einige Völkerschinder zu richten. Vor allem aber geraten die Staaten unter Rechtfertigungsdruck, wenn sie Menschheitsverbrechen wie in Syrien geschehen lassen und sich einer Lösung verweigern.

Die G 20 sind natürlich keine Weltregierung. Hier beraten lediglich die Führer der größten Nationen aller Kontinente unter den Augen der Öffentlichkeit über die Zukunft der Erde. Bisweilen finden sie sogar Lösungen, und sei es im Kampf gegen Schattenbanken. Dieser Weg des diplomatischen Ringens ist mühsam und oft, wie im Fall Syriens, verstörend unbefriedigend. Doch ein besserer ist noch nicht gefunden. Kants "ewiger Friede" wird eine ewige Verheißung bleiben.

© SZ vom 06.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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