G-20-Gipfel in Buenos Aires:Bühne für das Ego

Vor dem G20-Gipfel in Buenos Aires

Vor dem G20-Gipfel in Buenos Aires in Washington: US-Präsident Donald Trump empfängt den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman

(Foto: dpa)

In Buenos Aires versammeln sich Autokraten und Unilateralisten, Populisten und Verschwörer. Das G-20-Treffen wird mit schlechten Absichten missbraucht.

Kommentar von Stefan Kornelius

Buenos Aires an diesem Wochenende, ein Charaktertreffen, wie es Anton Tschechow nicht besser hätte inszenieren können: Hier der mutmaßliche Drahtzieher eines Auftragsmordes, dort ein realitätsentrückter Palast-Potentat, dann der Impulskommunikator mit dem größten Atomknopf, schließlich der vom Kontrollwahn befallene Alleinherrscher. Der Klub der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer der Erde veranstaltet sein Jahrestreffen, aber in Wahrheit versammeln sich Autokraten und Unilateralisten, Populisten und Verschwörer. Trump, Putin, Xi, bin Salman: was für eine Gesellschaft - der Spiegel einer halt- und hemmungslosen Welt.

Die Fantasie einer benevolenten Weltregierung hat die Menschen schon immer fasziniert. Kocht man die gutgläubige Naivität ein und würzt die Reduktion mit dem nüchternen Realismus, der etwa auf den Gewürzfeldern der Vereinten Nationen und neuerdings auch bei der Gruppe der sieben wichtigsten westlichen Industrienationen (G 7) wächst, dann könnte es immer noch mehr als sinnvoll sein, wenn sich die Staaten der Welt in der einen oder anderen Formation zusammentun, um ihre Probleme zu besprechen. Für Europa hat die EU ein einmaliges Vorbild geschaffen, aber auch in Asien oder Afrika zeigen Staatentreffen, dass Regierungen gemeinsam einen Mehrwert schaffen können.

Die G-20-Gruppe erwuchs Anfang der 2000er-Jahre aus der Erkenntnis, dass die Globalisierung die Machtverhältnisse durcheinanderwirbeln werde. Staaten wie China, Indien oder Brasilien gehörten an den Tisch der Mächtigen. Dort saßen zunächst die Finanzminister. Als 2008 die Märkte kollabierten und die Finanzkrise in eine globale Beschäftigungs- und auch Währungskrise mutierte, übernahmen die Staats- und Regierungschefs. G 20 stand für eine neue Weltordnung, in der das nationale Interesse zwar durchaus regierte (warum auch nicht), in der aber auch eine Sprache für die gemeinsamen Probleme gesucht wurde.

2018 markiert eine Zäsur in der Arithmetik der Gipfeldiplomatie. Es ist das Jahr, in dem die USA ihren Führungsanspruch aufgegeben haben und in dem sich die Grundzüge der neuen Unordnung einschleifen: Internationale Abkommen wie der Klimavertrag oder das Iran-Abkommen werden missachtet oder gekündigt, die persönliche Unversehrtheit im Sanctum einer diplomatischen Vertretung ist nicht mehr garantiert, unverfroren mischen sich Staaten in demokratische Wahlen ein, Menschen werden einer bisher nicht gekannten Überwachung und sozialen Kontrolle unterworfen, durch populistische Parolen entstehen in Windeseile neue Feindbilder.

Kurzum: Die Freiheit schwindet, die Unfreiheit wächst, was integriert werden soll, löst sich auf, was in guter Absicht begründet wurde, wird in schlechten Absichten missbraucht.

Es wird geredet, aber die Gipfelagenda ist sekundär

Nun war Außenpolitik niemals eine Gutwetterveranstaltung. Frustration und fragwürdige Kompromisse sind der Normalzustand im Staatengeschäft. Aber selten ist die destruktive Dynamik der Weltpolitik so plastisch sichtbar wie nun auf dem Treffen der G-20-Staaten in Buenos Aires. US-Präsident Trump spricht gerne und verächtlich von den Globalisten, wenn er seine Rolle als Sachwalter allein der amerikanischen Interessen rühmen will. Es ist diese Haltung, die jetzt den Charakter der G 20 ausmacht: Es fehlt der konstruktive Gedanke, es fehlt der Wille zum Kompromiss.

Gipfeltreffen wie jenes in Buenos Aires werden zur schnelleren Gesprächsabwicklung wahrgenommen. Speed Dating unter den Wichtigen der Welt. Immerhin: Es wird geredet, aber die Gipfelagenda ist sekundär, wichtig ist die Bühne für das Ego. Buenos Aires wird geprägt sein von den Pogo-Tänzen zwischen Trump und Xi, Trump und Putin, den protokollarischen Verrenkungen zur Vermeidung einer persönlichen Begegnung der Herren Erdoğan und bin Salman.

Das ist zu wenig, um den Anschein guter Politik aufrechtzuerhalten. Beispiel Welthandel: Der destruktive Sog aus Washington und Peking ließ sich in allen Vorverhandlungen nicht bremsen, auch die EU ist der Trump'schen Willkür weiter ausgesetzt. Es sind diese Nervenspiele, die sich inzwischen auf die Psyche ganzer Gesellschaften niederschlagen und zu einem deprimierenden Gefühl beitragen, das der Ego-Schaulauf in Argentiniens Hauptstadt nur verstärken wird.

Wenn also 64 Prozent der Weltbevölkerung und 80 Prozent der globalen Kaufkraft an einem Tisch vertreten sind, dann ist die Gelegenheit zu günstig, um sie für oft folgenlose Kommuniqué-Debatten zu vergeben. Von den 20 Akteuren glauben noch mindestens neun an die Kraft des Multilateralismus und der Zusammenarbeit - weil sie es müssen. Wenn sich diese Gruppe im nächsten Jahr in Osaka trifft, dann sollte sie symbolisch zusammenstehen, aber auch mit einer konkreten Gipfelagenda zeigen, was die Idee der Staatentreffen tatsächlich leisten kann.

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