G-8-Gipfel und die Syrien-Frage:Russland spielt Weltmacht

Russland ist am Ziel angekommen: Präsident Putin hat sein Land zum entscheidenden Faktor im syrischen Bürgerkrieg gemacht. So stark war das Land vielleicht seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Der G-8-Gipfel wird zum Austragungsort für ein Duell mit den USA.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Bisher sind alle Versuche gescheitert, die Kriegsparteien in Syrien an die Kette zu legen. Die Regeln der Staatengemeinschaft, durchgesetzt von den Vereinten Nationen - sie wirken nicht. Der wichtigste Grund für die Zahnlosigkeit des internationalen Rechts und der Politik heißt Russland. Russland verhindert selbst ein windelweiches Votum des Sicherheitsrats, weil es einen Eingriff in seine Einflusssphäre nicht zulassen will. Das nennt man Obstruktion, und im Fall Russlands wirkt sie als Hebel für Großmachtpolitik.

Wenn man so will, ist Russland jetzt am Ziel angekommen: Präsident Wladimir Putin hat sein Land zum bedeutenden Faktor im derzeit blutigsten Krieg der Welt gemacht, bei dem in einer Weise Grenzen verschoben werden, deren Ausmaß noch nicht abzusehen ist. Russland spielt Weltmacht. So stark war das Land vielleicht seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Und sicherlich war es im Nahen Osten noch nie so einflussreich. Beim G-8-Gipfel strotzt Putin vor Kraft.

Hingegen haben die USA ein wachsendes Problem. Präsident Barack Obama hat mit der Abzugsentscheidung für den Irak und der Kairoer Islam-Rede den defensiven Anspruch seiner Regierung definiert. Dem arabischen Frühling haben die USA weitgehend zugeschaut. In Libyen wurden sie von Frankreich und Großbritannien in einen ungeliebten Waffengang gezogen. Und in Syrien sind alle Versuche gescheitert, den Konflikt von außen mit politischem Druck oder den Mitteln des Völkerrechts zu beeinflussen.

Jetzt aber hat der Kriegsverlauf in Syrien neue Verhältnisse geschaffen. Präsident Baschar al-Assad, den schon viele politisch totgesagt hatten, ist mithilfe der Hisbollah auferstanden. Die Vertreibung der Religionsgruppen in Syrien folgt einem klaren Muster. Der Zerfall des Landes ist nicht aufzuhalten. Geschützt von Russland und der Hisbollah, wird Assad am Ende einen Staats-Torso regieren, von dem Unfrieden und Gewalt ausgeht: gegen Libanon und gegen Israel.

Die USA können dieser Verschieberei nicht tatenlos zusehen, wenn sie ihren Anspruch als Ordnungsmacht aufrecht erhalten wollen. Ihre Schwäche würde ausgenutzt. Diese Schwäche wird studiert vom iranischen Regime, das atomhungrig seinen Einfluss in der Region verteidigt und um seine eigene Existenz bangt. Fällt Damaskus, dann fällt als nächstes Teheran. Die Ansteckungstheorie ist dem iranischen Regime geläufig.

Die Großmächtepolitik ist zurückgekehrt

Plötzlich ist also die Großmächtepolitik zurückgekehrt. Der G-8-Gipfel wird zum Austragungsort für ein Duell, wie es die Welt in dieser Konstellation seit den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts nicht mehr gesehen hat.

Im Westbalkan hat Russland nach dem Staatszerfall Jugoslawiens allen Einfluss verloren; in Georgien hat sich ein proamerikanischer Stachel in die Flanke gebohrt; in Libyen fühlte sich Putin hintergangen und belogen. Nun inszeniert er mit seinen Mitteln die Rückkehr auf die große Bühne. Russland will es nicht zulassen, dass sich die Verhältnisse erneut zu seinen Ungunsten verschieben. Die Drohungen mit Luftabwehrraketen, die Zahl der Militär-Überflüge über die Türkei sind unmissverständlich. Putin will respektiert werden vom amerikanischen Präsidenten, er verlangt nach Augenhöhe.

Wer die Kriegsgeschichte in Syrien nach dem berüchtigten verpassten Augenblick durchforscht, der wird immer zum selben Ergebnis kommen: Militärisch konnten die USA oder andere nie eingreifen. Aber selbstverständlich gab es zu Beginn der Auseinandersetzung viele politische Chancen, Assad mithilfe einer klaren UN-Resolution zu isolieren und in Verhandlungen zu zwingen. Die Resolution ist immer an Russland gescheitert. Heute ist eine große Friedenskonferenz möglicherweise gar nicht mehr durchsetzbar. Die Kämpfe haben längst ihre eigene Dynamik entwickelt. Vor einem Jahr aber wären die Worte der Weltgemeinschaft gehört worden.

Russland trägt also massive Schuld an der Eskalation. Was aber tatsächlich die größte Besorgnis auslösen muss, ist der Anspruch Putins. Hier erzwingt einer Anerkennung mit Methoden, die bisher nur von der Kim-Schule in Nordkorea angewandt wurden.

Wenn nun die Wasserträger des russischen Präsidenten höhnisch die amerikanischen Giftgas-Beweise kommentieren, dann überbieten sie ihren eigenen Zynismus. Obama droht mit Waffenlieferungen, nicht nur weil Gas eingesetzt wurde, sondern weil er das Gleichgewicht der Kräfte im Bürgerkrieg wieder herstellen will. Nur so werden beide Seiten zu Friedensverhandlungen bereit sein. Vor allem aber sendet er eine Botschaft an Putin: Wir haben das alte Spiel nicht verlernt.

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