Süddeutsche Zeitung

Reaktion auf Ukraine-Krieg:G 7 und Nato erhöhen Druck auf Moskau

Die schnelle Eingreiftruppe wird auf künftig 300 000 Soldatinnen und Soldaten verstärkt - das ist mehr als das Siebenfache ihrer jetzigen Größe. Auch die G-7-Staaten suchen nach weiteren Wegen, Moskau zu isolieren.

Von Matthias Kolb und Jens Schneider, Brüssel, München

Die Nato und die G-7-Staaten haben am Montag angesichts der anhaltenden russischen Angriffe auf die Ukraine entschiedene Zeichen der Stärke gesetzt. So verkündete Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel, dass die schnelle Eingreiftruppe des Bündnisses massiv ausgeweitet werden soll. Sie werde auf weit über 300 000 Soldaten aufgestockt, kündigte Stoltenberg im Vorfeld des Nato-Gipfels in Madrid an. Ihre Zahl würde damit auf mehr als das Siebenfache steigen. Auf ihrem Gipfel in Elmau haben die G-7-Staaten zugleich angekündigt, sie würden "weiterhin nach neuen Wegen suchen, um Russland von der Teilnahme am Weltmarkt zu isolieren", heißt es in ihrer Erklärung. Per Videoschaltung richtete sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij an die Staats- und Regierungschefs der USA, Kanadas, Großbritanniens, Italiens, Frankreichs, Japans und Deutschlands.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg sagte in Brüssel mit Blick auf das bevorstehende Gipfeltreffen in Madrid, die für die "Nato Response Force" (NRF) abgestellten Streitkräfte würden von derzeit etwa 40 000 "auf mehr als 300 000" Soldaten und Soldatinnen erhöht. Er äußerte zudem die Erwartung, dass die 30 Nato-Mitglieder in ihrem aktualisierten "strategischen Konzept" Russland als "bedeutendste direkte Bedrohung" für das transatlantische Bündnis bezeichnen werden.

Hinter der enormen Zahl für die schnelle Eingreiftruppe verbirgt sich eine grundlegende Veränderung der militärischen Planung der Nato. Der von Stoltenberg angekündigte Umbau gehört zum neuen Streitkräfte-Modell für das gesamte Bündnisgebiet, wofür deutlich mehr Soldaten in hoher Bereitschaft vorgesehen sind. Zudem sollen Streitkräfte künftig auch bestimmten Gebieten zugeordnet werden. Deutsche Soldaten dürften dabei fest eingeplant werden, Litauen im Fall eines russischen Angriffs zu unterstützen.

Die Bundeswehr führt in Litauen seit 2017 einen multinationalen Gefechtsverband in Bataillon-Stärke, also mit etwa tausend Soldaten. Ähnliche Verbände wurden als Reaktion auf die russische Annexion der Krim im Jahr 2014 auch in Polen, Estland und Lettland stationiert. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine in diesem Februar wurden diese "EFP-Battlegroups" vergrößert und Kampfverbände in Rumänien, der Slowakei, Ungarn und Bulgarien aufgebaut. Diese Battlegroups könnten laut Stoltenberg künftig "bis zu eine Brigade" umfassen, also zwischen 3000 und 5000 Soldaten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Anfang Juni mitgeteilt, dass die Bundesregierung bereit sei, in Litauen "eine robuste Kampfbrigade" aufzubauen. Die Soldaten sollen jedoch in Deutschland stationiert bleiben.

Die Grundsatzpläne der Nato sehen vor, dass die Streitkräfte der schnellen Eingreiftruppe NRF in Friedenszeiten unter nationalem Kommando stehen. Im Ernstfall sollen die Kräfte vom Nato-Oberbefehlshaber angefordert werden können. Den NRF-Truppen würden zudem feste Zeiten für die Einsatzbereitschaft vorgegeben. Im Gespräch ist, dass manche Einheiten nach höchstens zehn Tagen bereit für die Verlegung sein müssten, andere in 30 oder 50 Tagen. Dies dürfte hohe Kosten für die Beschaffung von Ausrüstung, Munition und Gerät sowie ständige Übungen erfordern.

Beim G-7-Treffen auf Schloss Elmau in Bayern war die Reaktion auf die russische Invasion der Ukraine am Montag das zentrale Thema. Die Staats- und Regierungschefs berieten sich dem Vernehmen nach gut zwei Stunden mit dem per Video zugeschalteten ukrainischen Präsidenten. Wolodimir Selenskij bat in dem Gespräch um weitere Hilfe für sein Land und warnte vor einer schwierigen Lage, wenn der Krieg nicht vor dem Winter beendet werde. Er ersuchte demnach um Luftabwehrsysteme und weitere Munition. Der amerikanische Präsident Joe Biden sagte laut Angaben aus Verhandlungskreisen in der Runde, dass Russland den Krieg nicht gewinnen dürfe. Kanzler Scholz sieht die Beziehungen des Westens zu Russland dauerhaft zerrüttet. In dem Verhältnis könne es kein Zurück geben zu der Zeit vor dem Krieg, sagt Scholz in Elmau. Die russische Regierung habe mit dem Angriff auf die Ukraine alle Vereinbarungen über internationale Zusammenarbeit gebrochen.

Die G-7-Staaten sagten der Ukraine weitere 28 Milliarden Euro Unterstützung für ihren Staatshaushalt zu. Damit soll die Regierung in Kiew in die Lage versetzt werden, die Grundversorgung der Menschen im Land zu sichern. Mit Blick auf die Sanktionen gegen die Regierung von Präsident Wladimir Putin setzten sich die G-7-Staaten das Ziel, Russlands Einnahmen aus dem Handel mit Rohstoffen massiv zu reduzieren. Dies solle auch den Handel mit Gold einbeziehen. Auch über Wege zu einem Preisdeckel für russisches Öl wurde dem Vernehmen nach verhandelt.

Ausdrücklich legten die Staats- und Regierungschefs die Entscheidung über einen Friedensschluss mit Russland allein in die Hand der Regierung in Kiew. Die Ukraine entscheide über eine künftige Friedensregelung, was "frei von äußerem Druck oder Einfluss" geschehen solle, so die G-7-Erklärung. Die G7 sicherten der Ukraine zudem weitere militärische Hilfe zu, solange das Land diese benötige.

Die G-7-Staaten sagten der Ukraine weitreichende Sicherheitsgarantien auch für die Zeit nach dem Krieg zu. Gemeinsam mit interessierten Ländern und Institutionen wolle man mit Kiew Vereinbarungen über nachhaltige Sicherheitsverpflichtungen treffen, "um der Ukraine zu helfen, sich selbst zu verteidigen, ihre freie und demokratische Zukunft zu sichern und künftige russische Aggressionen abzuwehren", heißt es in der G-7-Erklärung.

Mit den Gastländern Argentinien, Indien, Indonesien, Senegal und Südafrika verständigten sich die G7 außerdem auf gemeinsame Prinzipien zur Stärkung von Demokratie und internationaler Ordnung. In der G-7-Erklärung heißt es, man sei entschlossen, die Widerstandskraft "unserer Demokratien zu stärken und auf gerechte, inklusive und nachhaltige Lösungen für globale Herausforderungen hinzuarbeiten".

Vor Abschluss des Gipfels treffen sich US-Präsident Biden und Kanzler Scholz an diesem Dienstag erneut. An der Begegnung sollen auch der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Boris Johnson teilnehmen.

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