Illegale G36-Lieferungen nach Mexiko:Heckler & Koch-Mitarbeiter müssen mit Anklage rechnen

Heckler & Koch

Heckler & Koch Zwei Sturmgewehre G36 von Heckler und Koch liegen am auf einem Tisch vor einem Logo des Waffenproduzenten.

(Foto: dpa)
  • Der deutsche Waffenhersteller Heckler & Koch soll systematisch in von Drogenkartellen kontrollierte mexikanische Bundesstaaten exportiert haben, trotz Verbot.
  • Das geht aus einem Bericht des Zollkriminalamts hervor.
  • Fünf mutmaßliche Täter müssen mit einer Anklage durch die Stuttgarter Staatsanwaltschaft rechnen.
  • Auch Hinweise für Bestechung und die Fälschung von Dokumenten liegen vor.

Von Frederik Obermaier und Klaus Ott

Das Vorführteam von Heckler & Koch hatte viel tun. Von 2006 bis 2008 begaben sich drei Abgesandte der baden-württembergischen Waffenschmiede mehrmals nach Mexiko. Sie zeigten Polizisten, wie man das Sturmgewehr G36 richtig bedient: zerlegen, reinigen, zusammensetzen, laden, entsichern, schießen. Ihre Reisen führten sie auch an Mexikos Pazifikküste, in die Bundesstaaten Jalisco und Guerrero. Als die Männer von Heckler & Koch eintrafen, waren die G36 schon da.

Es gab nur ein Problem: Eigentlich hätten weder in Jalisco noch in Guerrero G36-Gewehre sein dürfen. Die deutsche Regierung hatte den Export dorthin und in zwei weitere mexikanische Bundesstaaten, Chiapas und Chihuahua, gar nicht genehmigt. Die Polizei in diesen Regionen gilt als korrupt und soll mit Drogenkartellen kooperieren. Dort sollten auf keinen Fall deutsche Waffen zum Einsatz kommen.

Systematisch gegen Recht und Gesetz verstoßen

Von insgesamt 9472 zwischen 2003 und 2011 nach Mexiko gelieferten G36 sollen aber immerhin 4767 Stück, also gut die Hälfte, nach Jalisco, Guerrero, Chiapas und Chihuahua verkauft worden sein. In verbotene Regionen also. So hat es das Zollkriminalamt (ZKA) in Köln herausgefunden, die Zentrale der deutschen Zollfahnder.

In einem 82-seitigen Schlussbericht beschreibt das ZKA nach jahrelangen Ermittlungen, wie Mitarbeiter von Heckler & Koch systematisch gegen Recht und Gesetz verstoßen haben sollen. Der bislang unveröffentlichte ZKA-Report liegt der Süddeutschen Zeitung, NDR und WDR vor. Die Zollfahnder schreiben, Verantwortliche von Heckler & Koch hätten die illegalen Exporte "herbeigeführt, gefördert oder zumindest gebilligt". Fünf frühere Führungskräfte und Mitarbeiter der Firma aus Oberndorf am Neckar sollen, wie das ZKA anregt, wegen "Zuwiderhandlungen" gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz angeklagt werden.

Die schwäbische Firma kämpft um ihren Ruf

Das ZKA hatte seinen Schlussbericht Ende August 2014 an die Staatsanwaltschaft in Stuttgart geschickt; zusammen mit 22 Ordnern voller Dokumente, die alles belegen sollen. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft leitet das Verfahren. Was die Zollfahnder ermittelten, deckt sich im Wesentlichen mit den Ergebnissen eigener Untersuchungen von Heckler & Koch. Der Oberndorfer Waffenbauer hatte die Wirtschaftsprüfgesellschaft KPMG eingeschaltet. Was die KPMG herausfand, interessierte die Zollfahnder brennend. Es waren "hot topics" (heiße Themen), wie das ZKA in seinem Schlussbericht vermerkte.

Das Material muss ziemlich überzeugend sein. In diesem Sommer, sagt ein Kenner des Verfahrens, sei bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft mit der Anklage gegen die fünf mutmaßlichen Täter zu rechnen. Die Beschuldigten streiten die Vorwürfe dem Vernehmen nach ab, sie werden aber um ein Gerichtsverfahren wohl nicht umhinkommen. Das Kriegswaffenkontrollgesetz sieht bei illegalen Exporten bis zu fünf Jahre Gefängnis vor, bei Bildung einer Bande sogar bis zu zehn Jahre.

Gab es bei Heckler & Koch eine solche Bande? Oder handelten die mutmaßlichen Täter im Interesse der Firma - oder glaubten das zumindest? Der absehbare Prozess dürfte spannend werden. Auch die schwäbische Waffenfirma selbst soll büßen, mit drei Millionen Euro. So viel hat Heckler & Koch dem ZKA zufolge an den unerlaubten Mexiko-Exporten verdient. Diese Gewinne seien illegal erzielt worden und müssten abgeschöpft werden, fordern die Zollfahnder.

Für das Unternehmen aus Oberndorf mit 700 Beschäftigten und 172 Millionen Euro Jahresumsatz (Stand 2013), das sich als ein "weltweit führender Hersteller von Handfeuerwaffen" bezeichnet, steht derzeit viel auf dem Spiel. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen will das G36 wegen mangelnder Treffsicherheit ausmustern. Für Heckler & Koch ist das der wohl schwerste Rückschlag in der 60-jährigen Firmengeschichte. Das Unternehmen weist von der Leyens Vorwürfe zurück und kämpft um seinen Ruf.

Hinweise auf Bestechung

Das wird angesichts der Ergebnisse der Mexiko-Ermittlungen, die im April 2010 begannen, bestimmt nicht leichter. Die Zollfahnder haben rekonstruiert, wie die Exportkontrollen offenbar umgangen wurden. Wenn Waffen für "verbotene" Bundesstaaten in Mexiko bestimmt gewesen seien, habe Heckler & Koch dies in den Ausfuhranträgen meist verschwiegen. Statt Jalisco sei dann etwa das unbedenkliche "Baja California" genannt worden. Mitarbeiter von Heckler & Koch konnten bei den mexikanischen Behörden anscheinend die passenden Papiere besorgen.

Das ZKA stieß auch auf Dokumente, die den Vorwurf erhärten, Heckler & Koch-Mitarbeiter hätten Amtsträger in Mexiko bestochen, um Aufträge zu erhalten. Für jedes G36 sollen 25 Dollar fällig gewesen sein, für andere Waffen je 20 Dollar. Mit einer Anklage wegen Korruption sei aber, sagt ein Insider, nicht zu rechnen. Dazu müssten Schmiergeldempfänger in Mexiko ausfindig gemacht werden, was als unmöglich gilt.

Trotz der offenkundigen Vertuschungsversuche tauchten wiederholt "verbotene" Bundesstaaten in den offiziellen Papieren auf. Insgesamt acht Mal, schreiben die Zollfahnder, habe die Waffenschmiede sogenannten Endverbleibserklärungen für die vier verbotenen Bundesstaaten in Mexiko vorgelegt. Die deutschen Behörden hätten das nicht akzeptiert. Daraufhin seien von Mitarbeitern von Heckler & Koch teilweise "binnen Tagesfrist" neue Papiere über einen Verbleib des G36 in anderen, unproblematischen mexikanischen Bundesstaaten besorgt und präsentiert worden. Dann liefen die Geschäfte wie geplant.

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