G-20-Gipfel in Rom:Und dann ist sie weg

Italy G20 Summit 6685904 31.10.2021 German Chancellor Angela Merkel, French President Emmanuel Macron and British Prime

Beim G-20-Gipfel in Rom warfen die Regierungschefs Münzen in den Trevibrunnen: Das soll Glück bringen.

(Foto: Pavel Bednyakov via www.imago-images.de/imago images/SNA)

Autogrammkarten, Trevibrunnen, Mitgesprächsteilnahme und Corona - so lief Merkels voraussichtlich letzter Gipfeltag als Kanzlerin.

Von Cerstin Gammelin, Rom

Am Sonntag, dem letzten Tag des G-20-Gipfels in Rom, haben Mitarbeiter der deutschen Delegation eine große silberne Tragetasche dabei. Darin gestapelt sind in edlem blauen Geschenkpapier verpackte Kästchen, bestimmt für umsichtige Helfer. Oben drauf aber liegen die eigentlichen Andenken: Autogrammkarten der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel. Original unterschrieben.

Das zweitägige Gipfeltreffen in der italienischen Hauptstadt war der letzte Auftritt der Kanzlerin auf der G-20-Bühne, sechzehn waren es insgesamt, keinen hat sie verpasst. Sonntagnachmittag tritt sie vor die Presse, zusammen mit Olaf Scholz, den sie in Rom immer im Schlepptau hatte. Warum? Es habe sich die Gelegenheit ergeben, sagt Merkel, "gerade bei den bilateralen Gesprächen auch gemeinsam aufzutreten und darauf hinzuweisen, dass die Wahrscheinlichkeit da ist, dass Herr Scholz der nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist". Es waren ja die Chefs mit ihren Finanzministern eingeladen, was aus Merkels Sicht auch so viel heißt wie: Wäre der Herr Scholz zufällig Wirtschaftsminister gewesen, hätte er zuhause gesessen.

Aber Missverständnisse will sie dann doch nicht aufkommen lassen, die G-20-Kollegen wüssten natürlich Bescheid, dass wegen ihrer Nachfolge noch nichts entschieden sei. Merkel blickt kurz rüber zu Scholz, der Corona-konform zwei Meter neben ihr steht. "Allerdings ist, glaube ich, auch allen, denen wir begegnet sind, klar, dass der Bundeskanzler nicht von Frau Merkel durch Mitgesprächsteilnahme ausgewählt wird, sondern dass er im Deutschen Bundestag gewählt wird. An diesem Vorgang wird gearbeitet und das haben wir überall deutlich gemacht".

Die Regierungschefs werfen Münzen in den Trevibrunnen - das soll Glück bringen

Der Tag hatte für Angela Merkel ohne Olaf Scholz angefangen. Die Chefs hatten sich gegen 9 Uhr am berühmten Trevibrunnen getroffen, waren über einen extra ausgerollten blauen Teppich runter an den Rand gelaufen, Boris Johnson vorneweg, Joe Biden nach Kleingeld in der Hosentasche kramend, Merkel und Emmanuel Macron plaudernd hinterher, schließlich hatte der italienische Premierminister Mario Draghi die großen Egos alle so dirigiert, dass sie mit dem Rücken zum Brunnen standen. Bereit für eine italienische Tradition, eine Münze in den Brunnen zu werfen. Also Münze in die rechte Hand, diese heben, links über die Schulter. Manche haben ihre Mühe damit, bei Merkel fliegt sie eher über den Kopf. Aber war sie auch im Brunnen gelandet? Da wagt die Kanzlerin einen Blick über die Schulter. Ja, ist sie. Der Wurf der Münze in den Brunnen soll Glück bringen. Wirft man eine, so wird man der Legende nach, nach Rom zurückkehren. Bei zwei Münzen, so heißt es, wird man sich in einen Italiener oder eine Italienerin verlieben. Bei Merkel war es eine Münze.

Später wird sie Draghi danken dafür, "dass wir uns sozusagen der Schönheit Roms ein bisschen bewusst werden konnten". Das gehöre dazu, sagt Merkel und es hört sich so an, als freue sie sich darauf, bald alle diese wunderschönen Städte, die sie seit dem Mauerfall nie hat privat besuchen können, sondern immer aus beruflichen Gründen, selber zu entdecken. In Deutschland wie im Ausland. Merkel hatte ja seit 1990 stets politische Ämter inne, die sie rund um den Globus in geschützte Hotels und Kongresszentren oder Parteiveranstaltungen geführt haben. Private Touristin war sie fast nie.

Die Vorfreude wird, auch das zeigt sich in Rom, aktuell noch verdrängt durch Sorgen wegen des bevorstehenden Corona-Winters. Der tägliche Anstieg der Inzidenzen sei "aus meiner Sicht sehr beunruhigend". Merkel stellt klar, dass sie unabhängig von der Regierungsbildung über zusätzliche Maßnahmen beraten wolle, falls das nötig werde. "Was uns eint, ist ja, dass wir die Überlastung unseres Gesundheitssystems verhindern wollen." Wenn die Überlastung drohe, werde man sprechen, "auf welcher Ebene auch immer".

Es war in Rom schon fast ein Ritual, dass zunächst Merkel auf eine Frage antwortete und dann hinüberschaute. Wollen Sie ergänzen? Etwas wolle er noch hinzufügen, hob Scholz dann an. So auch bei Corona. Klar sei, dass es in diesem Winter weiter zusätzliche Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen geben werde, darunter falle die Pflicht zum Tragen der Masken sowie Konzepte für 2G und 3G sowie die Möglichkeit, diese Konzepte durchsetzen und kontrollieren zu können. "Mein Wunsch ist auch, dass sich noch möglichst viele jetzt selbst überzeugen, dass sie sich noch impfen lassen."

Mit Merkel geht die letzte weibliche Regierungschefin der G-20

Inhaltlich liegen die scheidende Kanzlerin und ihr möglicher Nachfolger in Rom nah beieinander. Am ehesten fällt auf, dass Merkel bei Corona deutlich besorgter klingt als Scholz, der gedanklich wohl schon bei seinem potenziellen Koalitionspartner, ist, der FDP. Und die Liberalen sind strikt gegen restriktive Maßnahmen und neue Lockdowns.

Neben Gastgeber Draghi lobt die Kanzlerin dann noch die Gipfelbeschlüsse zum Klimaschutz, zur Nachhaltigkeit und zur globalen Mindeststeuer. "Ich kann nur sagen, dass sehr viel erreicht wurde." Scholz findet gut, dass man sich jetzt keine neuen Ziele mehr setze beim Klimaschutz, sondern gemeinsam vereinbart habe, "Mitte des Jahrhunderts gemeinsam ins Ziel zu kommen". Tatsächlich ist es so, dass der Wurf der Münze dem Gipfel kein besonderes Glück gebracht hat. Ehrgeiziger sind die Ziele nicht, man ist schon froh, dass sie wieder von allen Staaten getragen werden.

Ungefähr zwanzig Minuten stehen die beiden am Sonntag gemeinsam auf der Bühne in Rom vor Journalisten. Dann dreht die Kanzlerin nach links ab. Rund zehn Meter sind es bis zur Tür. Sie schreitet zügig den Weg ab, ein kurzer Blick: Ist Scholz hinter ihr? Dann ist sie weg. Und mit ihr die letzte weibliche Regierungschefin der G-20.

PS: Hier finden Sie übrigens die Abschlusserklärung des G-20-Treffens im Original.

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