G-20-Krawalle:Jetzt spricht der Kiez

Lesezeit: 3 Min.

Nach Politikern und Polizei diskutieren auch die Linksalternativen Hamburgs ihre Sicht der Vorfälle - natürlich mit anderem Ergebnis.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Die Daseinsberechtigung der Roten Flora in Hamburg wird nach den Krawallen beim G-20-Gipfel mal wieder infrage gestellt. (Foto: Patrik Stollarz/AFP)

In der letzten Ansage ging es ums Stühle-Aufräumen. Denn nach der außerordentlichen Stadtteilversammlung, zu der diverse Initiativen und das linksautonome Zentrum Rote Flora wegen der gewaltsamen Ereignisse beim Hamburger G-20-Gipfel im Schanzenviertel eingeladen hatten, sollte der Ballsaal im Millerntorstadion des FC St. Pauli nicht mehr zugestellt sein mit den rot bezogenen Sitzgelegenheiten. Man möge immer zwölf Stühle zu kleinen Türmen aufeinanderpacken, hieß es. Die solidarische Menge erledigte das so akkurat, als wollte sie ein Zeichen setzen gegen das Klischee vom Chaos der Alternativ-Denker. Dann bewegten sich die Leute langsam nach draußen. Sie wirkten zufrieden nach den dreieinhalb Stunden der Aussprache.

In diesen Tagen der G-20-Nachbereitung zeigt sich die stolze, seltsam unruhige Hansestadt Hamburg in all ihren Widersprüchen. Niemanden hier hat es kalt gelassen, dass während der Konferenz der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer eine Welle der Gewalt aufkam, die Feuer brachte, Angst, Plünderungen, einen falschen Protest mit verschiedensten Krawalltouristen. Jeder will jetzt eine Antwort geben. Hamburgs CDU hat ihren Aktionsplan gegen Linksextremismus vorgelegt, der ein eigenes Hamburger Versammlungsgesetz vorsieht und die Schließung der Roten Flora als potenziellen Anlaufpunkt linker Gewalttäter. Davor hatte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) eine Regierungserklärung mit Pathos und Kampfansagen gegen "geistige Brandstifter" von links gehalten. Am Mittwoch präsentierten Innensenator Andy Grote und die Polizei in einer Sondersitzung des Innenausschusses ihre Version der Ereignisse.

Und am Donnerstagabend kamen also tausend Frauen und Männer zusammen, die sich zugehörig fühlen zu dem links-alternativen Geist, der die Hamburger Stadtteile St. Pauli, Schanzen- und Karoviertel traditionell durchweht. Sie kamen so zahlreich, dass zunächst einige auf dem Platz vor dem Millerntorstadion warten mussten. Sie alle waren gekommen, um über die Nächte zu reden, in denen ihnen die Gewalt zu viel wurde, über ihre Ängste und über die Frage, was folgen muss aus dem G-20-Geschehen. Manche waren auch gekommen, um Kritik zu äußern an der militanten Sicht mancher Linksautonomer. Aber niemand war gekommen, um die Rote Flora grundsätzlich infrage zustellen, wie das konservative Hamburger dieser Tage tun.

Die linke Bewegung vereinigt unterschiedliche Interessen und ist daher schwer angreifbar

Im Gegenteil: Mit großem Applaus quittierten die Versammelten die politische Forderung: "Wir werden uns dafür stark machen, dass die Flora und andere linke Zentren bleiben." Draußen sagte eine Frau: "Die Rote Flora ist Teil unserer Lebenskultur." Sie trug ein St.-Pauli-T-Shirt mit Anti-Rassismus-Statement und verwahrte sich gegen die Pauschalverurteilungen. Sie kenne die Linken im Viertel, von denen sei keiner dabei gewesen bei den Gewaltexzessen.

Für konservative Anwohner, die sich eingeschüchtert fühlen von den radikalen Kapitalismus-Kritikern wäre die Versammlung am Millerntor schwer zu ertragen gewesen. Nicht nur weil vereinzelte Wortbeiträge einen eher laxen Umgang mit Straftaten verrieten. Sondern vor allem deshalb, weil der Abend zeigte, wie durchmischt und schwer angreifbar die linke Bewegung ist. Veganer, Anti-Sexisten, Menschenrechts-Aktivisten und Bürgerbewegte sind darunter, die St. Pauli als Modellstadtteil für urbanen Freigeist sehen und unter Solidarität verstehen, dass es für niemanden Denkverbote gibt. Anti-Flora-Rufe empfinden sie als Störung ihres Biotops, als Symptome einer Spaltung, die es hier eigentlich nie gab. Die öffentlichen Erklärungen der Polizei sind für sie Deutungen von Vorkommnissen, die sie anders wahrgenommen haben. Einer aus dieser großen gemäßigten Anwohner-Gruppe sagte dieser Tage: "Ich fühle mich in meinem Linkssein verunglimpft."

Das wird nicht einfach für Olaf Scholz und die Bürgerschaftsparteien, nach G 20 eine faire, trotzdem klare Anti-Gewalt-Politik durchzuziehen. Der Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt, Anmelder der umstrittenen Anti-G-20-Demonstration Welcome to hell, nennt die Versammlung vom Donnerstag "eine Selbstvergewisserung im Stadtteil" und sagt: "Das was dort gesprochen wurde, deckt sich nicht mit dem, was die Hamburger Politik fordert."

Aber es wird auch für Blechschmidt nicht einfach, Außenstehenden zu vermitteln, dass das Projekt Rote Flora "kein Selbstzweck" ist, wie er sagt, sondern eine "politische Kraft als Ort radikaler Gegenöffentlichkeit", mithin das Symptom einer lebendigen Demokratie. Es ist schwer, in aufgeheizten Zeiten zu erklären, dass man auch jemanden wie ihn, Blechschmidt, der militante Widerstandsformen gegen verordnete Gewalt von oben legitim findet, nicht in einen Topf schmeißen kann mit Gewalttätern, die kleine Läden plündern und mit Barrikadenbränden Anwohner in Angst versetzen. In Leserbriefen und Online-Kommentaren vermitteln Flora-Kritiker den Eindruck, es gäbe linksautonome Einschüchterungsaktionen gegen sie. "Typische urbane Legenden, die schnell gestreut werden, weil man sie sich vorstellen kann" nennt Blechschmidt solche Beiträge. Trotzdem: Der Kampf der Flora um so etwas wie Anerkennung als politischer Gegner des Staats und gegen das Klischee des wütenden Zerstörers - der läuft.

In der Roten Flora arbeiten sie an einem politischen Statement, demnächst dürfte es ein Gespräch mit Gewerbetreibenden geben. Ansonsten können die Plenums-Mitglieder nur abwarten, was Senat und Opposition vorhaben im Umgang mit dem Zentrum. Seit Donnerstag haben sie immerhin die Bestätigung, dass die gewalttätigen Chaoten vom G-20-Gipfel sie nicht aus dem Herzen ihres Stadtteils gebrannt haben.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: