Als Donald Trump zu sehen ist, klatschen die Menschen in der Elbphilharmonie. Der Präsident stutzt kurz, schaut erkennbar überrascht. Dann geht er weiter, winkt, lächelt und klatscht dann selbst ein wenig in die Hände. Es ist eigentlich ein sympathischer Moment. Es ist allerdings sehr stark anzunehmen, dass die Klatschenden gar nicht ihn gemeint haben, sondern Emmanuel Macron, den französischen Präsidenten, der zusammen mit Trump die mittlere Galerie betreten hat. Aber Trump stört das nicht.
Freitagabend in Hamburg. Kulturprogramm zum G20-Gipfel. Angela Merkel führt ihre Gäste in das neue Wahrzeichen der Hansestadt. Das Philharmonische Orchester wird gleich Beethovens neunte Symphonie spielen, Dirigent Kent Nagano. Präsidenten, Regierungschefs, Sitz an Sitz, dazu im Seitenflügel nochmal 15 Außenminister - geballte Macht.
G-20-Verhandlungen:Beim Gipfel steht es 19 gegen die USA
Ob Handelsfragen oder Klimaschutz - schon am ersten Tag des G-20-Treffens in Hamburg wird offenbar, wie einsam US-Präsident Trump dasteht.
Wegen der Sicherheitsvorkehrungen harrt das übrige Publikum schon seit Stunden in dem spektakulären Gebäude mitten in der Hafen-City aus. Ehemalige Bürgermeister, die einen bekannter, wie Klaus von Dohnanyi oder Hans-Ulrich Klose, die anderen jenseits der Stadtgrenzen längst vergessen, wie Ortwin Runde. Sie sind hier nur Randprominenz. Ansonsten viel Hamburger Bürgertum. Verlegerinnen plauschen mit Chefredakteuren, Kirchenvertreter sind da, die Bundeswehr, Bezirksamtsleiterinnen, ein stadtbekannter Steuerhinterzieher und die Frau Suding von der FDP.
Der Balkon, der einmal um das ganze Gebäude führt, bietet einen tollen Blick auf Hamburg. Auf den Dächern nebenan sind Polizeikräfte in leuchtenden Westen, die den Veranstaltungsort im Auge behalten. Auf dem Wasser Greenpeace-Aktivisten, die in kleinen, wendigen Booten auf der Elbe gegen die Klimapolitik demonstrieren. Und gegen die Investition von sieben Euro plus drei Euro Pfand fürs Glas lässt sich mit dem Aperol Spritz in der Hand zuschauen, wie hinten an den Landungsbrücken Wasserwerfer Demonstranten von der Straße spritzen. Das Knattern der Hubschrauber über der Elbphilharmonie ist die Ouvertüre zu Beethovens Neunter. Anders gesagt: G20 in Hamburg hat viele Facetten.
Und nun sitzen sie da, ein Arbeitstag mit vielen Gesprächen und langen Runden liegt hinter ihnen, als Nagano den Stab erhebt und die Hörner den langen ersten Ton anstimmen. Merkel hat ihren Gatten Joachim Sauer mitgebracht, Macron und Justin Trudeau ihre Frauen, der Chinese Xi auch, und Trump wieder die halbe Familie. Denn außer Ehefrau Melania neben ihm sitzen auch noch Tochter Ivanka und ihr Gatte Jared Kushner auf einer Seitengalerie. Fast den ganzen ersten Satz über hat Ivanka ihre Hand auf den Arm ihres Mannes gelegt. Melania nicht.
Nur Erdoğan fehlt zur Neunten, der Europahymne
Sigmar Gabriel ist auch da. Zumindest bis zum zweiten Satz, dem Molto Vivace. Denn sehr lebendig geht es plötzlich auch unter mehreren Außenministern zu, die offenbar einen Grund gefunden haben, das Konzert zu verlassen. Vermutlich eine neue Krise, keine Zeit für Kunst. Nur die Kanadierin Chrystia Freeland lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie hat sogar ihre Füße mitsamt Schuhen über die Lehne des freien Vordersitzes gelegt und genießt in dieser lässigen Haltung das Konzert.
Trump hört zu. Gelegentlich schweift sein Blick über das Publikum, aber er sieht nicht gelangweilt aus. Für die Kanzlerin lässt sich nur hoffen, dass sie keinen empfindlichen Nacken hat, denn der vietnamesische Premierminister Nguyễn Xuân Phúc, der direkt hinter Merkel sitzt, wedelt sich mit dem Programmheft fortwährend Luft zu.
G-20-Gipfel:Wen Merkel küsst - und wen nicht
Bei der offiziellen Begrüßung zum G-20-Gipfel lässt sich an der Gestik der Kanzlerin so einiges ablesen. Nicht jeder der Staats- und Regierungschefs bekommt von ihr ein Gipfel-Bussi.
Zu seiner Rechten sitzt Olaf Scholz, der Bürgermeister. Er hält den Kopf häufig gesenkt, was aussieht, als sei er eingenickt. Aber er checkt nur die Nachrichten auf seinem Handy. Etwa während des dritten Satzes, dem etwas länglichen Adagio molto e cantabile, erfährt der Bürgermeister, dass draußen ein Polizist, der sich von Demonstranten bedroht fühlte, einen Warnschuss abgegeben hat. Doch nun zur Ode an die Freude.
Sie taucht ja zunächst ganz leise auf, getragen vor allem von den Celli. Dann gewinnt das Motiv an Fahrt und Wucht, bis der Chor das erste Mal einsetzt. Von da an ist fast der ganze vierte Satz ein mächtiges, ein überwältigendes Stück Musik, das auch in den Reihen der Staats- und Regierungschefs Eindruck macht.
Merkel sitzt kerzengerade und lächelt. Trudeau, Macron und Jean-Claude Juncker freuen sich mit, der indische Premierminister hat ganz hibbelige Finger, als würde er am liebsten selbst dirigieren. Auch Trump nickt ein paar Mal im Rhythmus mit dem Kopf. Nur einer fehlt: Recep Tayyip Erdoğan, der türkische Präsident. Gut möglich, dass er sich die Melodie, die seit 1972 die offizielle Europa-Hymne ist, nicht antun wollte.
Nach dem Finale ist die Gattin des kanadischen Premierministers die erste, die es regelrecht vom Sitz reißt. Und ihren Mann gleich mit. Langer Applaus und begeisterter Jubel füllen den Saal. Und Melania Trump sagt - was selten zu sehen ist - irgendetwas Freundliches zu ihrem Mann und lächelt dazu. Er lächelt zurück und winkt einer Zuschauerin, die mit ihrem Handy ein Foto macht und dann ihrem ungläubig dreinblickenden Mann zuflüstert: Trump hat mir zugewinkt. Ludwig van Beethoven hat seine Wirkung an diesem Abend nicht verfehlt. Zumindest für ein paar Minuten.