Süddeutsche Zeitung

G-20-Außenministertreffen in Indien:"Herr Lawrow, stoppen Sie diesen Krieg"

Lesezeit: 3 min

Außenministerin Baerbock appelliert an ihren russischen Amtskollegen. Der spricht zum ersten Mal seit Russlands Überfall auf die Ukraine direkt mit US-Außenminister Blinken. Doch die Kluft zwischen dem Westen und Russland ist tief, zeigt sich in Delhi.

Von Paul-Anton Krüger, Neu-Delhi

Sergej Wiktorowitsch Lawrow hat es nicht eilig. Als letzter der G-20-Außenminister steigt er die Treppen zum Rashtrapati-Bhavan-Kulturzentrum am Präsidialpalast in Neu-Delhi empor. Es wird keine angenehme Sitzung für Russlands Chefdiplomaten, auch wenn der Empfang durch den Gastgeber Subrahmanyam Jaishankar noch freundlich ausfällt. Indiens Außenminister wird im Gegensatz zu vielen anderen den Angriff auf die Ukraine nicht offen verurteilen, ebenso wenig Premier Narendra Modi.

Aus Modis Videobotschaft an die Minister lässt sich das Unbehagen Indiens über die russische Aggression aber herauslesen, wenn er warnt, die "gegenwärtigen geopolitischen Spannungen" dürften nicht gemeinsame Lösungen für Ernährungs- und Energiesicherheit, Klimawandel und Schulden blockieren. Die internationale Ordnung, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sei, erfülle ihre Funktionen nicht mehr.

Die Entwicklungsländer, zu deren Stimme Modi Indien mit seinen 1,4 Milliarden Menschen erklärt, seien am stärksten betroffen von den "tragischen Konsequenzen", klagt er, ebenso wie von der Covid-Pandemie, der Finanzkrise oder dem Klimawandel.

Lob für Modi, ein Appell an Lawrow

Beim jüngsten Treffen der G-20-Außenminister auf Bali im Juli hatte Lawrow noch einen Eklat verursacht: Den Saal betrat er damals nur für sein Statement. Und ging wieder, bevor Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, damals noch als G-7-Vorsitzende, auf ihn antworten konnte. Diesmal holt sich der Doyen der Außenminister hier, der seit dem 24. Februar 2004 amtiert, noch einen Kaffee, bevor er sich die Anwürfe der anderen Staaten anhört.

Baerbock lobt sieben kurze Sätze lang noch Modis Aufruf, unter dem Motto "eine Welt, eine Familie, eine Zukunft" gemeinsam nach Lösungen für die Probleme der Menschheit zu suchen. In Satz acht ihrer Rede aber stellt sie fest, dass leider ein G-20-Mitglied die anderen 19 davon abhalte. Stattdessen müsse man sich fortwährend mit "dem brutalen Bruch der UN-Charta, dem brutalen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine" beschäftigen, sagt sie.

Die Sitzordnung nach dem Alphabet und der rechteckige Konferenztisch führen dazu, dass sie dem russischen Außenminister direkt gegenübersitzt. "Herr Lawrow, stoppen Sie diesen Krieg!", ruft sie.

Der Angesprochene bleibt stoisch sitzen, macht eine abfällige Handbewegung, wie Diplomaten später berichten, aber auch Notizen, als Baerbock Moskau aufruft, zur Umsetzung des New-Start-Abkommens mit den USA über die Begrenzung strategischer Atomwaffen zurückzukehren. China habe in seinem Zwölf-Punkte-Plan zum Krieg in der Ukraine "zu Recht betont, dass man der Bedrohung durch Atomwaffen entgegengetreten muss".

Lawrow wird offen und hart angegangen. "Wir müssen Russland weiter auffordern, seinen Angriffskrieg zu beenden und sich im Interesse des Weltfriedens und der wirtschaftlichen Stabilität aus der Ukraine zurückzuziehen", sagte US-Außenminister Tony Blinken.

Von Verhandlungen sind die USA und Russland weit entfernt

Vor der zweiten Arbeitssitzung sucht er kurz das direkte Gespräch mit Lawrow - in der Vorhalle des Sitzungssaals, vor den Augen der anderen. Es ist der erste direkte Kontakt der beiden seit dem russischen Einmarsch. Blinken habe die Entschlossenheit der USA bekräftigt, die Ukraine bei der Verteidigung zu unterstützen, heißt es aus der US-Delegation später - und Russland aufgefordert, den New-Start-Vertrag umzusetzen. Weniger als zehn Minuten dauert der Austausch demnach. Es seien keine Verhandlungen gewesen, teilte die russische Seite mit. Davon, das zeigt der Tag in Delhi, ist man weit entfernt.

Die G20 müssten Entschlossenheit zeigen, wie auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs auf Bali, fordert die Französin Catherine Colonna. Damals hatten "die meisten Mitglieder" den Krieg aufs Schärfste verurteilt, wie es in der Abschlusserklärung heißt, die auch China und Russland mittrugen, und einen "vollständigen und bedingungslosen Rückzug" der russischen Truppen gefordert. Diese Formulierungen will Indiens Außenminister aufnehmen; Jaishankar strebt erstmals bei einem G-20-Außenministertreffen eine gemeinsame Abschlusserklärung an.

Doch diesmal verweigert sich Moskau. Einige westliche Delegationen hätten die Arbeit an der eigentlichen Agenda der G20 zur Farce gemacht, hält Lawrow ihnen entgegen. Sie wollten die Verantwortung für ihr wirtschaftliches Versagen auf Russland abwälzen - eine Botschaft, die an die Länder des von Modi erwähnten globalen Südens gerichtet ist, ebenso wie die Behauptung, der Westen schaffe Hindernisse für den Export von Agrarprodukten aus Russland, "egal wie sehr die Vertreter der EU versuchen, Sie vom Gegenteil zu überzeugen".

Im Westen wächst die Sorge, dass China Russland mit Waffen unterstützen wird

Unterstützung erhält Lawrow allein von China, dessen Außenminister Qin Gang laut seiner Delegation sagte, die G20 sollten "auf unserer guten Arbeit in Bali aufbauen und größere Fortschritte vorantreiben" - was als Verweis auf das Positionspapier Pekings zum Ukraine-Krieg gemeint sein dürfe. China gerät indes zunehmend selber unter Druck. Die USA sondieren unter den westlichen G-7-Verbündeten neue Sanktionen, sollte Peking den russischen Krieg mit Waffen unterstützen.

Diplomatie basiere darauf, dass man "ehrlich miteinander gerade auch die Punkte austauscht, wo man nicht einer Meinung ist", sagt Baerbock nach ihrem ersten bilateralen Gespräch mit ihrem neuen chinesischen Kollegen Qin. In "sehr, sehr kleiner Runde" habe sie deutlich gemacht, wie China sei "auch uns die Einhaltung der UN-Charta so wichtig". Gerade deshalb müssten Lieferungen unterbleiben von militärischen Gütern, oder solchen, die sowohl militärisch als auch zivil verwendet werden können. Alles andere "wäre eine Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges".

Wie viel Gehör sie damit findet jenseits rhetorischer Beteuerungen muss sich zeigen. China jedenfalls bekundet großes Interesse, wieder in engeren Austausch mit Deutschland zu kommen. Ein Besuch der Außenministerin in Peking steht im Raum, ebenso die Wiederaufnahme der in der Pandemie unterbrochenen Regierungskonsultationen. Beides allerdings wird es kaum geben, sollten sich die Warnungen der US-Geheimdienste bewahrheiten, dass China plant, Russland Waffen zu liefern.

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