G-20-Gipfel:Lawrow reklamiert Verhandlungserfolg für sich

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Sieht für sich einen Erfolg, weil Russland nicht komplett isoliert sei: der russische Außenminister Sergej Lawrow. (Foto: Pavel Bednyakov/Imago/SNA)

"Die meisten Mitglieder", so steht es im Entwurf der G-20-Abschlusserklärung, verurteilen Russlands Krieg. Doch der russische Außenminister deutet die Niederlage um. Der Westen habe "auf jede erdenkliche Weise" versucht, "Formulierungen reinzuschmuggeln". Das habe Russland verhindert.

Auf dem G-20-Gipfel in Bali gibt es zwischen Russland und zahlreichen westlichen Staaten unterschiedliche Interpretationen darüber, wie sehr die Regierung in Moskau international isoliert ist. "Unsere westlichen Kollegen haben auf jede erdenkliche Weise versucht, diese Erklärung zu politisieren, und sie haben versucht, Formulierungen reinzuschmuggeln, die eine Verurteilung der Handlungen der Russischen Föderation im Namen der ganzen G 20 implizieren würden, einschließlich uns selbst", sagte Lawrow der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge.

Nach schwierigen Verhandlungen einigten sich die Chefunterhändler der G-20-Staaten am Dienstag auf einen Entwurf für die Abschlusserklärung. In dem öffentlich gewordenen Papier heißt es: "Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste."

Wie viele G-20-Länder genau darunter zu verstehen sind, ist unklar. Im Entwurfstext wird auf eine UN-Resolution von Anfang März verwiesen, in der der Krieg verurteilt wird. Damals hatten 141 der 193 UN-Mitglieder zugestimmt. 40 Länder waren dagegen oder enthielten sich und verurteilten den Krieg damit ausdrücklich nicht. Darunter waren neben Russland mit China, Indien und Südafrika drei weitere G-20-Staaten.

Auch Bundeskanzler Scholz räumte ein, dass auf dem Gipfel in Bezug auf Russland auch "andere Ansichten existieren". Mit dem Treffen in Bali zeigte sich der Kanzler jedoch zufrieden. Er hoffe, dass die scharfe Verurteilung Russlands im Entwurf der Abschlusserklärung am Ende von allen akzeptiert werde. Er habe nach Gesprächen den Eindruck, dass auch viele Staaten, die sich bei der UN-Abstimmung über Russlands Angriff enthalten hätten, diesen Krieg für ungerecht und überflüssig hielten.

Scholz betonte mit Verweis auf die Wirtschaftskraft der G-20-Länder die Bedeutung der Treffen der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Es sei wichtig, dass in diesem und im kommenden Jahr mit Indonesien und Indien wichtige Schwellenländer den Vorsitz hätten. Der Kanzler wies zugleich eine Aussage von Lawrow zurück. Der russische Außenminister hatte behauptet, mit Scholz gesprochen zu haben. "Er stand in meiner Nähe und hat auch zwei Sätze gesagt. Das war das Gespräch", sagte Scholz.

Lawrow, so melden Nachrichtenagenturen, hat den Gipfel verlassen, ohne die Annahme der Abschlusserklärung abzuwarten. Das Flugzeug mit der russischen Delegation verließ am Dienstagabend (Ortszeit) die indonesische Insel Bali.

Biden spricht Erdoğan sein Beileid aus

Zuvor hatte US-Präsident Joe Biden seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan nach dem Anschlag von Istanbul sein "tiefes Beileid" ausgesprochen. Biden habe Erdoğan am Rande des G-20-Gipfels auf der indonesischen Insel Bali versichert, dass die USA an der Seite des Nato-Partners stünden, teilte das Weiße Haus mit. Noch am Montag hatte der türkische Innenminister Süleyman Soylu die Kondolenzwünsche der USA zurückgewiesen. Er warf Washington vor, "Terrororganisationen" in Nordsyrien zu unterstützen.

Auf der belebten Istanbuler Einkaufsstraße İstiklal Caddesi waren am Sonntag bei einem Anschlag sechs Menschen getötet und mehr als 80 verletzt worden. Der türkischen Polizei zufolge stammt die festgenommene Hauptverdächtige aus Syrien und hat erklärt, ihren "Befehl" von der syrischen Kurdenmiliz YPG erhalten zu haben. Die Türkei sieht die YPG als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die USA wiederum sehen die YPG im syrischen Bürgerkrieg als Partner im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Biden dankte Erdoğan bei dem Treffen auf Bali auch für seine Bemühungen um eine Erneuerung des Abkommens über den Export von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer. Das Abkommen läuft Ende der Woche aus. Über eine Verlängerung wird verhandelt. Es war im Juli unter der Vermittlung der UN und der Türkei geschlossen worden. Moskau hatte das Abkommen im Oktober bereits für mehrere Tage einseitig ausgesetzt und zuletzt eine automatische Verlängerung abgelehnt.

China: Europa muss unabhängiger von den USA werden

Bei einem Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping am Dienstag, als wichtige Kräfte in einer turbulenten Welt sollten Frankreich und die Europäische Union zusammen mit China "den Geist der Unabhängigkeit und Autonomie wahren". Hinter dem Hinweis verbirgt sich nach Angaben von Diplomaten der chinesische Wunsch, dass die Europäer weniger den USA folgen. Macron ist nach Bundeskanzler Scholz, der Anfang des Monats in Peking war, der zweite europäische Spitzenpolitiker, der Xi Jinping nach dessen Wiederwahl auf dem jüngsten Parteitag trifft.

Wie es aus dem Élysée-Palast hieß, brachte Macron seine Besorgnis über Russlands Fortsetzung des Krieges in der Ukraine zum Ausdruck. Die Folgen dieses Konflikts müssten durch eine enge Abstimmung zwischen Frankreich und China überwunden werden. Beide Staatschefs hätten betont, dass der Einsatz von Atomwaffen verhindert werden müsse.

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