Süddeutsche Zeitung

Osaka: Der G-20-Gipfel gehörte den Autokraten

Regierungschefs wie Kanzlerin Merkel interessieren US-Präsident Trump wenig, dafür Autokraten wie Putin oder Xi umso mehr. Sie und ihresgleichen dominierten die Bühne.

Kommentar von Daniel Brössler

Auf die Frage, was von diesem turbulenten Wochenende der Weltpolitik bleibt, gibt es im Prinzip zwei Antworten. Die eine ist heiter, die andere düster. Wenn sich erstmals ein US-Präsident und ein koreanischer Diktator an der innerkoreanischen Demarkationslinie die Hände schütteln, so kann das als bemerkenswertes Zeichen der Hoffnung gewertet werden. Und wenn es gelingt, ein Scheitern des G-20-Gipfels zu verhüten, so ist auch das ein Grund, erleichtert zu sein. Das ist die heitere Variante. Die düstere geht so: Es war ein Wochenende der leeren Gesten und der leeren Worte. Trump hat in Panmunjom nur schöne Bilder für seinen Wahlkampf produziert, und beim Gipfel in Osaka ist es nicht gelungen, sich mit den mächtigsten Autokraten dieser Welt auf mehr zu verständigen als auf das, was längst gelten sollte. Keine der beiden Antworten ist ganz richtig und keine ist ganz falsch. Willkommen in der Welt von 2019.

Dieser Welt hat Donald Trump nach zweieinhalb Jahren an der Macht seinen Stempel aufgedrückt. Während in den USA die Abwehrmechanismen der Demokratie durchaus noch funktionieren, lässt sich das in sehr viel geringerem Maße für das sagen, was Bundeskanzlerin Angela Merkel so gerne eine "regelbasierte Weltordnung" nennt. Die zwölf Seiten der mühevoll ausgehandelten Gipfelerklärung von Osaka enthalten kein glaubwürdiges Bekenntnis zu einer besseren, gemeinsamen Zukunft. Sie sind einfach nur das Dokument einer Gegenwart, in der es mit größter Anstrengung noch gelingt, wenigstens zum Teil zu bewahren, worauf man sich längst verständigt hatte, etwa beim Klimaschutz oder Freihandel.

Dieser Abwehrkampf ist nicht vollkommen erfolglos, und er ist auch nicht sinnlos. Vor dem G-20-Gipfel war befürchtet worden, dass die Front zum Schutz des Pariser Klimaabkommens weiter bröckeln könnte. Beim vorangegangenen Gipfel in Buenos Aires hatten sich 19 Teilnehmer der Abkehr der USA von den gemeinsamen Verpflichtungen entgegengestellt, und es war keineswegs sicher gewesen, dass dies in Osaka noch einmal gelingen würde. Weitere Länder hätten ausscheren können, um Trump zu gefallen oder Zusagen zu verwässern. Zumindest das ist nicht geschehen. Das ist ganz sicher kein Grund zum Überschwang, darf aber jene trösten, die nach diesem Wochenende nicht nur schwarzsehen wollen.

Die Kanzlerin hat der US-Präsident mit ein paar Freundlichkeiten abgespeist

Der kleine Erfolg ändert allerdings nichts an der Wirklichkeit, der sich die Abgesandten der liberal gesinnten westlichen Demokratien auf diesem Weltkongress der Macht zu stellen hatten. Dieser Gipfel gehörte Trump und den Autokraten. Auf Treffen wie diesen bekommen die Europäer zu spüren, wie sehr sich die Gewichte bereits verschoben haben. Die Kanzlerin hat der US-Präsident mit ein paar Freundlichkeiten abgespeist, die äußerst begrenzte Ressource seiner Aufmerksamkeit aber galt dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping, Russlands Präsident Wladimir Putin und dem saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman. Sie und ihresgleichen dominierten in Osaka die Bühne. Unterdrückung, Kriege und Journalistenmorde sind bei G 20 jedenfalls nichts, wofür man sich entschuldigen müsste.

Dieses Bild hellt sich durch Trumps Spaziergang nach Nordkorea nicht über die Maßen auf, es rundet sich eher ab. Die plötzliche Twitter-Einladung an Kim, die darauf folgende Spannung und gelungene Auflösung an der Grenze folgten den Regeln des Reality-TV, nicht der Weltpolitik. Gegen die Inszenierung an sich ist gar nichts zu sagen. Zum Abschluss erfolgreicher diplomatischer Bemühungen oder als durchdachter Schritt hin zu einem Durchbruch im Ringen um die nordkoreanischen Atomwaffen wäre sie herzerwärmend. Bis zum Beweis des Gegenteils aber bleibt sie nicht viel mehr als Teil des Wahlkampfes des Amtsinhabers im Weißen Haus. Ebenso übrigens wie die von Trump planlos betriebene Zerstörung des Atomabkommens mit Iran.

Aus europäischer Sicht spielt es nun eigentlich keine Rolle, ob man den Ereignissen die eher optimistischen oder die eher pessimistischen Seiten abgewinnt. Die Konsequenzen bleiben dieselben, denn zweierlei ist offenkundig: Erstens ist das Eintreten für Regeln und internationale Kooperation immer noch möglich, aber es wird immer mühsamer und der Einfluss der Europäer dabei immer geringer. Zweitens wird sich dieser US-Präsident in seinem internationalen Gebaren nicht mehr ändern. Er ist und bleibt ein Fetischist des einfachen Deals, was die Welt nicht sicherer machen wird.

Den Europäern bleiben in dieser Lage nur zwei Möglichkeiten. Sie können sich abfinden damit, dass sie der Macht und den Launen anderer immer weniger entgegenzusetzen haben. Oder sie können versuchen, in die Tat umzusetzen, was EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schon vor längerer Zeit als "Weltpolitikfähigkeit" eingefordert hat. Das wird teuer. Alles andere aber wird sie noch teurer zu stehen kommen.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2019
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