Süddeutsche Zeitung

G-20-Gipfel:Italienischer Finanzminister fordert EU-Flüchtlingshaushalt

Rom fürchtet, dass sich die Route der Flüchtlinge wieder nach Italien verlagert. Außerdem sind die G-20-Finanzminister in Shanghai besorgt über den drohenden Brexit.

Von Cerstin Gammelin, Shanghai

Der drohende Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union und die dramatisch wachsende Zahl von Flüchtlingen können nach Ansicht der G-20-Staaten dazu führen, dass Stabilität und Wohlstand weltweit zu gefähren. Das geht aus dem Abschlussdokument des Treffens der weltweit zwanzig stärksten Volkswirtschaften in Shanghai hervor.

Die internationale Gemeinde fürchtet, dass die europäische Krise sich auf ihre Länder ausweiten könnte. Damit bestimmten die Europäer in Shanghai einmal mehr die Tagesordnung der G-20. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte schon am Donnerstag bei seiner Ankunft in der chinesischen Metropole erklärt, er vermute, "dass die Kollegen fragen werden, wie die Situation in Europa ist". Italiens Finanzminister Pier Carlo Padoan bestätigte am Samstag "informelle Gespräche". Alle Teilnehmer hätten die Ansicht geteilt, "dass wir Lösungen brauchen, die die Wurzel des Problems in den Herkunftsländern der Migranten anpacken, nicht nur die in den Ankunftsländern".

Italienischer Finanzminister: Frontex ist nicht ausreichend

Der italienische Finanzminister forderte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, den Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union zu vergemeinschaften. Europa brauche "schlussendlich eine richtige gemeinsame europäische Grenzpolizei", sagte Padoan. Zugleich fordert der Minister, die EU solle "einen eigenen EU-Flüchtlingshaushalt einrichten, um die anfallenden Kosten bei der gemeinsamen Lösung der Flüchtlingskrise zu bezahlen". Dazu zählten neben der Kontrolle und dem Schutz der Außengrenzen insbesondere das Management der Flüchtlingsströme und die Integration der Flüchtlinge. "Europa muss Verantwortung und Kosten fair teilen", sagte Padoan. Gefüllt werden soll der EU-Finanztopf von allen 28 Mitgliedstaaten. Dabei sollen sowohl finanzielle Mittel als auch Personal zur Verfügung gestellt werden. Über die Höhe des EU-Flüchtlingsbudget müsse verhandelt werden.

Padoan verwies darauf, dass die bestehende Grenzschutzagentur Frontex bei weitem nicht ausreichend sei. Die italienische Regierung hat ihren Vorschlag Anfang der Woche an die Europäische Kommission und an die Mitgliedstaaten verschickt. Am 7. März findet ein Sondertreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs mit der Türkei zur Lösung der Flüchtlingskrise in Brüssel statt.

Tausende Flüchtlinge stauen sich in Griechenland

Hintergrund des italienischen Vorschlages ist auch die Sorge, dass Länder an den EU-Außengrenzen wie Griechenland und Italien, die wegen der Grenzschließungen in Mazedonien, Slowenien und Österreich mit einem riesigen Rückstau an Flüchtlingen rechnen müssen, dieser neuen Belastung nicht gewachsen sein könnten.

Am Donnerstag dieser Woche hatten die Balkanstaaten und Österreich bei einer Konferenz beschlossen, ihre Grenzen fast vollständig zu schließen. In der Folge kommen deutlich weniger Flüchtlinge in Deutschland an, allerdings stauen sich die Migranten vor den abgeriegelten Grenzen in Griechenland. In Griechenland sei eine Situation entstanden, "die kurzfristiges Handeln erfordert, um dem wachsenden Druck fertig zu werden", sagte Padoan.

"Wenn die eine Grenze blockiert ist, werden andere gesucht"

Rom fürchtet, dass diese Flüchtlinge nun über Italien versuchen könnten, weiter nach Deutschland zu kommen. "Es gibt Anzeichen, dass die Flüchtlinge neue Wege suchen, um nach Mitteleuropa zu kommen", sagte Padoan. "Wenn die eine Grenze blockiert ist, werden andere gesucht, die offen sind. Denken Sie an die Geografie von Europa, da gibt es viele Wege". Migranten seien entschlossen, auch einen beschwerlichen Weg zu gehen auf der Suche nach einem besseren Leben.

Über eine gemeinsame EU-Grenzschutzpolizei hofft die Regierung in Rom auf zusätzliche Ressourcen, um die Außengrenzen effizient schützen zu können. Italien hatte bereits 2014 von der EU Hilfen gefordert, um das Seerettungsprogramm "Mare Nostrum" zu finanzieren, mit dem zehntausende Flüchtlinge aus Seenot gerettet wurden. Das Programm war 2015 wegen ausbleibender Hilfe aus anderen Mitgliedstaaten eingestellt worden. Italien fürchtet offenbar, auch jetzt wieder auf sich allein gestellt zu sein.

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