G-20-Gipfel in Russland:Putin gibt den pflichtbewussten Gastgeber

Putin empfängt Obama zum G-20-Gipfel in St. Petersburg.

Putin empfängt Obama zum G-20-Gipfel in St. Petersburg.

(Foto: REUTERS)

Auf der bunt ausgedruckten Tagesordnung des G-20-Gipfels in Sankt Petersburg kommt der Syrien-Konflikt gar nicht vor. Und doch ist er das alles bestimmende Thema - für Amerikaner, Chinesen und Europäer. Dass ausgerechnet Russlands Präsident Putin Gastgeber ist, könnte dabei noch von Vorteil sein.

Von Julian Hans und Claus Hulverscheidt, Sankt Petersburg

Vielleicht ist es keine Absicht, vielleicht hat sie die Worte auch bewusst gewählt. Als die Kanzlerin die deutschen Medien vor dem ersten Treffen der Staats- und Regierungschefs für ein kurzes Statement zusammenruft, sagt sie: "Auf der Tagesordnung steht die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit." Und: "Wir werden auch sprechen über die Lage in Syrien."

Damit hat Angela Merkel den Unterschied gut auf den Punkt gebracht. Der Unterschied zwischen der offiziellen Agenda für das Treffen der 20 größten Industrie- und Schwellenländer und dem Thema, das nirgends auf der Tagesordnung der russischen Gastgeber auftaucht, das aber schon weit vor seinem Beginn den G-20-Gipfel in St. Petersburg zu bestimmen begann: der Einsatz von Giftgas in Damaskus und die Reaktion der Weltgemeinschaft auf dieses Kriegsverbrechen.

Tenor der NGO: keine Bomben, Diplomatie statt Militäreinsatz

Er ist überall sichtbar im Tagungszentrum beim barocken Konstantinpalast am Ufer des Finnischen Meerbusens, dieser Unterschied zwischen offizieller und heimlicher Tagesordnung. Die offiziellen Papiere liegen farbig ausgedruckt und mit dem Logo des Gipfels versehen auf großen Stapeln im Pressezentrum. Hunderte Experten haben sie über Monate vorbereitet, verhandelt, formuliert. Die inoffiziellen werden von Nichtregierungsorganisationen in schnell gezogenen Schwarz-Weiß-Kopien verteilt. Der Tenor darin: keine Bomben, Diplomatie statt Militäreinsatz in Syrien.

Vor fünf Jahren wurden die G 20 ins Leben gerufen, weil es sonst kein internationales Forum gab, um Wirtschafts- und Finanzpolitik zwischen den Staaten abzustimmen und so rasch auf Krisen reagieren zu können. Nun lastet plötzlich die Hoffnung auf ihnen, eine politische Krise zu lösen, für die es eigentlich ein internationales Gremium gibt, das - anders als die informellen G-20-Runden - sogar Beschlüsse fassen kann, die nach internationalem Recht verbindlich sind, den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Nur ist dieses Gremium seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien vor zwei Jahren gelähmt, weil Russland und China keine klare Resolution gegen den Diktator Baschar al-Assad mittragen wollen.

Putin empfängt als ersten Gast Chinas Staatspräsident

Bereits am Vortag hatten die Hauptkontrahenten ihre Felder abgesteckt. Wladimir Putin bezichtigte den US-Außenminister John Kerry als "Lügner" und unterstellte ihm, die Präsenz von al-Qaida in Syrien zu leugnen. Barack Obama erklärte bei einem Besuch in Schweden: "Nicht die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten steht auf dem Spiel, sondern die Glaubwürdigkeit der Weltgemeinschaft."

Am Donnerstag empfing Wladimir Putin als ersten Gast seinen chinesischen Verbündeten Xi Jinping zum Zweiergespräch. Ein Sprecher der chinesischen Delegation bringt dann beide Themen das Tages zusammen, als er erklärt, eine militärische Strafaktion gegen Syrien werde "definitiv negative Folgen für die Weltwirtschaft haben", der Ölpreis werde steigen. Das ist die einzige Folge, die Russland nicht schrecken dürfte.

Großbritanniens Premierminister David Cameron, dem das britische Parlament vergangene Woche die Gefolgschaft für einen Militärschlag in Syrien verweigert hatte, sagte der BBC am Rande des Gipfels, seine Regierung habe "weitere Hinweise auf den Einsatz chemischer Waffen". Aus britischen Regierungskreisen verlautete zudem, Proben aus dem Vorort von Damaskus, in dem Chemiewaffen eingesetzt wurden, seien positiv auf das Nervengas Sarin getestet worden.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy traten am Mittag vor die Presse und wollten erst einmal gute Nachrichten verkünden: Die vereinbarten Maßnahmen, um die Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen, beginnen zu wirken. Doch für die andere große Krise gibt es noch kein Mittel. "Syrien ist die größte Tragödie für die Menschheit in unserer Zeit", sagte Barroso.

Deutsche Regierung wirbt für politische Lösung

Im Kreis der G 20 haben nur wenige Staaten wie Frankreich, Australien und die Türkei offen Unterstützung für Obama signalisiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle wollen beim G-20-Gipfel dafür werben, dass die Tür für eine politische Lösung des Syrien-Konflikts nicht zugeschlagen wird. Dahinter steht der Gedanke, dass selbst dann, wenn es als Reaktion auf den Giftgaseinsatz gegen die syrische Bevölkerung Luftangriffe des Westens auf Einrichtungen des Assad-Regimes geben sollte, die Krise ja nicht gelöst wäre. Deshalb sollen die UN im Spiel bleiben. Doch Westerwelle dämpfte Hoffnungen, in St. Petersburg könne ein Ausweg aus der verfahrenen Lage gefunden werden. "Wir wollen, dass der Internationale Strafgerichtshof unabhängig ermitteln kann", sagte er. "Dafür ist ein Beschluss des Sicherheitsrats notwendig und dafür habe ich geworben."

Die Bundesregierung setzt alle Hebel in Bewegung, um die Giftgas-Inspektoren der UN mit Logistik und Personal dabei zu unterstützen, die in Syrien genommenen Proben schnell auszuwerten. Vielleicht, so die Hoffnung, liegen Ergebnisse der Untersuchung schon auf dem Tisch, bevor der US-Kongress über die Frage eines Militärschlags entscheidet. Für diesen Freitag hat sich der UN-Sondergesandte Lakhdar Brahimi angekündigt. Er will auf eine Friedenskonferenz für Syrien dringen.

Ob es in St. Petersburg zu einem bilateralen Treffen Putins mit US-Präsident Barack Obama kommt, ist aus Sicht mancher Gipfelteilnehmer nicht so wichtig. Wenn überhaupt, dann sei ein Vieraugengespräch am Rande wohl besser als eine von Kameras beobachtete, frostige offizielle Zusammenkunft, hieß es.

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