G-20-Gipfel in Hamburg:Kompromiss-Suche zwischen großen Egos

Unberechenbare Partner, heikle Verbündete: Selten war die Lage verworrener als zu Beginn des Gipfels von Hamburg. Angela Merkel versucht in Zweiertreffen noch Streitpunkte auszuräumen.

Von Cerstin Gammelin

Macht- und Ränkespiele gehören zu den Markenzeichen globaler Gipfeltreffen. Die Hauptdarsteller, allesamt Staatenlenker mit großem Ego, rivalisieren um Einfluss und Interessen. Und ausgerechnet der G-20-Gipfel unter deutscher Präsidentschaft, das zeichnete sich vor dem Beginn an diesem Freitag ab, wird beim Gerangel um die Macht ein besonders unberechenbarer werden.

Kreml-Herrscher Wladimir Putin scheint sich plötzlich auf die Seite des Westens zu schlagen, US-Präsident Donald Trump stellt sich ins Abseits. Chinas Staatschef Xi Jinping bietet sich als neuer Partner an. Und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan ist als Partner unkalkulierbar. Selten war die Lage verworrener als vor Beginn des Gipfels von Hamburg.

Von der G-20-Gastgeberin Angela Merkel ist bekannt, dass sie komplexe Situationen löst, in dem sie die Probleme "abschichtet", also in einzelne Komplexe zerlegt, die sie nacheinander aufarbeitet. Also hatte die Kanzlerin einige der Hauptakteure für Donnerstagabend zu Einzelgesprächen ins Hotel Atlantic gebeten, wo sie während des Gipfels wohnt.

Der Auftakt der vertraulichen Gespräche war dem australischen Premierminister Malcolm Bligh Turnbull vorbehalten, wobei es beiden weniger darum gehen sollte, Dissonanzen auszuräumen als vielmehr gemeinsame Positionen zu bekräftigen. Australien steht bei den strittigen Gipfelthemen Handel, Klima und Migration weitgehend hinter Merkel; nur bei der Migration setzt Australien auf Abschottung statt auf die von der Kanzlerin gewünschte gemeinsame Verantwortung, um Flüchtlinge zu verteilen.

Amerikaner haben "eine schwierige Vorstellung von der Welt"

Um kurz nach 18 Uhr begann dann das Treffen, das die deutsche Ratlosigkeit über die Verhandlungsstrategie der Amerikaner beenden sollte: Die Bundeskanzlerin empfing US-Präsident Trump. Beide hätten gut eine Stunde lang über einige G-20-Themen gesprochen und darüber hinaus über Brennpunkte wie Nordkorea, die Lage im Nahen Osten und in der Ostukraine, sagte ein Sprecher der Bundesregierung nach dem Treffen.

Etwas deutlicher wurde Außenminister Sigmar Gabriel, der ebenfalls an der Unterredung teilgenommen hatte. Die Amerikaner hätten "eine schwierige Vorstellung von der Welt", nämlich "dass die internationale Zusammenarbeit nicht auf der Basis sozusagen gemeinsam verabredeten Rechts entsteht, sondern das sozusagen eine Kampfarena ist, wo der Stärkere sich Verbündete sucht, um gegen andere zu kämpfen."

Trump hat schon vor seiner Ankunft in Hamburg die globale Runde aufgemischt. Russland wirft er "destabilisierendes Verhalten" vor; Peking bekommt den Vorwurf zu hören, es baue den Handel mit Nordkorea aus, statt gegen die aggressive Führung des Landes vorzugehen. Damit setzt Trump seinerseits nicht nur den Ton für den Gipfel, sondern auch für seine eigenen bilateralen Treffen. Trump will an diesem Freitag erstmals persönlich mit Putin reden. Am Samstag trifft er Xi Jinping.

Trumps Vorwürfe machen auch die Aufgabe für die Gastgeberin komplizierter. Merkel muss balancieren. Einerseits sind die USA traditionell Verbündeter Deutschlands. Andererseits haben sich sowohl Putin als auch Xi Jinping gerade hinter die G-20-Agenda der Kanzlerin gestellt und damit ein Bekenntnis geliefert, das Trump bislang in dieser Klarheit vermissen lässt.

Wladimir Putin zeigt sich plötzlich als Unterstützer der deutschen Agenda

Insbesondere Putin versucht, die verworrene Lage zu nutzen. Im Handelsblatt ruft er die G-20-Teilnehmer auf, Freiheit nicht durch Willkür zu ersetzen. Die Suche nach "konstruktiven Kompromissen" sei Markenzeichen von G 20.

Er verspricht, dass Russland seine Klimazusagen erfülle, und plädiert für offene, auf einheitlichen Normen und Standards basierende Handelsverbindungen. Die Strategie Putins ist klar: Er will Russland als verlässlichen Unterstützer Merkels inszenieren.

Ob diese Strategie aufgeht, liegt auch an den Ergebnissen, die das Treffen von Merkel und Trump bringt. Gelingt es den beiden, einen Kompromiss zu finden, etwa beim gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel, der die USA nicht komplett isoliert? Oder sich wenigstens bei Freihandel und Migration auf gemeinsame Ziele zu verständigen? Das blieb am Abend noch offen.

Wobei, und auch das wird am Donnerstag deutlich, ein Ausscheren der USA durchaus auch das Verhalten anderer Staaten beeinflussen würde. China lässt wissen, dass die Führung nicht ohne Weiteres bereit ist, eine Sonderrolle Amerikas beim Kampf gegen den Klimawandel zu akzeptieren. Ähnlich äußert sich Saudi-Arabien.

Nach Trump konnte Merkel jedenfalls durchatmen, als sie den vietnamesischen Premierminister Nguyễn Xuân Phúc empfängt. Vietnam ist als G-20-Gast geladen, es konnte vor allem nette Worte geben. Merkels letzter Gast im Atlantic war schließlich Recep Tayyip Erdoğan.

Der türkische Präsident beschwerte sich am Donnerstag erst noch einmal darüber, dass er am Rande des Gipfels nicht vor Landsleuten in Deutschland reden darf. Am späten Abend teilte ein Regierungssprecher mit, Merkel und Erdoğan hätten am Abend neben der G-20-Agenda die weitere Umsetzung des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens sowie strittige wie kooperative Aspekte der aktuellen deutsch-türkischen Beziehungen beraten.

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