Süddeutsche Zeitung

G-20-Gipfel in China:So will Merkel die mächtigsten Staaten in der Flüchtlingskrise einspannen

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Von Cerstin Gammelin, Berlin

Während die Republik von München bis Berlin darüber spekuliert, wann und wie Angela Merkel erklären wird, ob sie noch einmal als Bundeskanzlerin kandidieren will, hat sie selbst schon angefangen, ihre vierte Amtszeit zu planen. Ihre Reise zum Gipfeltreffen der zwanzig mächtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20) an diesem Wochenende spielt dabei eine wichtige Rolle. Merkel will die Staats- und Regierungschefs in der ostchinesischen Metropole Hangzhou dazu bewegen, offiziell anzuerkennen, dass Migration eine globale Herausforderung ist. Also ein Problem, das alle Staaten dieser Welt zu lösen haben.

Die Reise der Kanzlerin zum letzten G-20-Gipfel unter chinesischer Präsidentschaft ist mehr als andere Reisen zuvor innenpolitisch geprägt. Gleich am ersten Gipfeltag, am Sonntag, wird in Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Umfragen deuten an, dass die CDU erst nach der SPD und den Rechtspopulisten der AfD auf dem dritten Rang landen könnte. Es wäre ein verheerendes Signal. Für Merkel persönlich, weil die CDU-Vorsitzende ihren Bundestagswahlkreis dort hat. Für die CDU, weil sie in einem Land, in dem es wenige Ausländer gibt, von der Partei überholt würde, die am deutlichsten die Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel kritisiert.

Im Programm für das Gipfeltreffen in Hangzhou findet sich kein Hinweis darauf, dass die deutsche Delegation in der chinesischen Sonntagnacht auf die Wahlergebnisse schauen wird. Aber auch ein anderer, sonst üblicher Hinweis findet sich nicht: nämlich der, dass die Bundeskanzlerin vor die Presse treten will. Noch vor zwei Tagen war aus deutschen Regierungskreisen zu erfahren, dass Merkel am Ende des Gipfels öffentlich erklären wolle, welche Prioritäten sie als G-20-Vorsitzende verfolgen wolle. Deutschland übernimmt am 1. Dezember 2016 die Präsidentschaft der G 20 von China. Der große Gipfel soll im Juli 2017 in Hamburg stattfinden - zwei Monate vor der Bundestagswahl.

Und das große Thema, mit dem Merkel dann auch innenpolitisch punkten will, soll Regierungskreisen zufolge das sein, was sie an diesem Wochenende in Hangzhou in die Abschlusserklärung schreiben lassen will: Die größten Volkswirtschaften der Welt, die zwei Drittel der Weltbevölkerung stellen, fast 90 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften und 80 Prozent des Welthandels bestreiten, erklären sich bereit, gemeinsam Fluchtursachen zu bekämpfen und Flüchtlingen zu helfen. Die deutsche Flüchtlingskrise würde eine internationale.

Jeder hat eine nationale Agenda - wie die deutsche Kanzlerin

Die Absicht ist das eine, die Realität bisher eine andere. Es ist nicht leichter, die Flüchtlingskrise im Rahmen der G 20 auf eine gemeinsame Agenda zu setzen als in der Europäischen Union. Eigentlich treffen sich die Chefs der G 20, um über Wachstum und Finanzen zu reden, sie haben dafür sogar ihre Finanzminister dabei. Allerdings absolvieren die Geldhüter inzwischen eher das, was bei internationalen Großveranstaltungen als Damenprogramm bezeichnet wird. Sie beschäftigen sich anderweitig, während die Chefs sich um die großen geopolitischen Konflikte kümmern. Und jeder hat eine nationale Agenda - wie die deutsche Kanzlerin.

Gastgeber China hat kein Interesse, über Flüchtlinge zu reden. Die Regierung in Peking braucht vor allem mehr und stabiles Wirtschaftswachstum, um zu überleben. Sie dringt darauf, als Marktwirtschaft anerkannt zu werden, was Vorteile im Handel bringt. Peking will Technologietransfers und digitale Zusammenarbeit. Bis zum Brexit-Votum hatte die Regierung auf verstärkte Kooperationen mit London gesetzt, jetzt ist sie unsicher, wie es weitergeht. Der Gastgeber will diese Sorge in die Abschlusserklärung schreiben lassen. Auch, weil die neue britische Premierministerin Theresa May ohne Plan für die Zeit nach dem Brexit anreisen wird.

Am Freitag warnte der russische Präsident Wladimir Putin davor, das Treffen zu überladen. "Wenn wir irgendwelche Streitigkeiten oder wichtige Fragen der Weltpolitik hineinnehmen, dann überfrachten wir die Tagesordnung der G 20." Was sich zwar vor allem auf die Konflikte in Syrien und der Ukraine bezog, aber dennoch zeigt, dass die Flüchtlingskrise in anderen Staaten nicht prioritär ist.

Da hilft es Merkel, dass sie plötzlich doch auf die Europäer zählen kann. Mit François Hollande und Matteo Renzi wird sie in Hangzhou den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan treffen, auch, um über Migration zu reden. Die Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, und des Europäischen Rates, Donald Tusk, haben dem chinesischen Gastgeber geschrieben, welche europäischen Top-Themen zu besprechen sind. Weit oben steht der Satz, den Merkel in die G-20-Erklärung bringen und mit dem sie im Wahljahr 2017 eine globale Migrations-Offensive starten will: "Eine gemeinsame globale Antwort auf diese beispiellose Migrations- und Flüchtlingskrise und deren Ursachen bleibt Priorität."

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SZ vom 03.09.2016
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