Süddeutsche Zeitung

G-20-Gipfel:Hamburger Ladeninhaber befürchten gewaltige Verluste

Lesezeit: 4 min

In St. Pauli haben einige Ladenbesitzer allerdings ihren ganz eigenen Weg gefunden, um Geschäft und Protest zu verbinden.

Reportage von Dominik Fürst, Hamburg

Es ist noch früh in dieser G-20-Woche, doch dass Hamburgs Bürger keinen Bock auf die Mega-Veranstaltung mitten in ihrer Stadt haben, macht sich schon beim Spazierengehen bemerkbar. "No G20"-Plakate kleben an jeder dritten Häuserwand, in St. Pauli hängen bunte Fähnchen mit der Aufschrift "Freiheit stirbt mit Sicherheit" und im Schanzenviertel haben sie die wahrscheinlich schönste Protestflagge ausgerollt, sie zeigt die französische Schauspielerin Audrey Tautou ("Amélie"), die die linke Faust nach oben streckt, darüber steht in weißer Schrift auf pinkem Hintergrund geschrieben: "Die fabelhafte Welt des Widerstands".

Das Treffen der 20 mächtigsten Staats- und Regierungschefs, das in den Messehallen mitten in Hamburg stattfinden wird, drängt den Bewohnern der Stadt die Gewissensfrage auf, ob sie gegen Demokratieverächter wie Recep Tayyip Erdoğan und Donald Trump Haltung zeigen müssen. Die meisten tun das bislang auf friedliche und kreative Weise .

Für die Geschäftsleute der Stadt bedeutet der G-20-Gipfel hingegen ganz konkrete praktische Erwägungen: Den Laden zusperren oder nicht? Und wenn ja, sollte man auch noch die Fensterscheiben verbarrikadieren, bevor die Steineschmeißer kommen? Die Polizei rechnet am Wochenende mit mehr als 8000 gewaltbereiten Linksextremisten aus ganz Europa. Das ein oder andere Schaufenster könnte zu Bruch gehen.

Ein paar hundert Meter von den Messehallen entfernt liegt die Marktstraße im Karolinenviertel, es ist die alternative Einkaufsmeile der Stadt, mit vielen bunten Mode- und Designläden und einem Tattoostudio, dem mal eine Doku-Soap auf dem Fernsehsender DMAX gewidmet war. Hier geht es das ganze Jahr über hip und friedlich zu, doch wenn G-20-Gipfel ist, machen viele Geschäftsinhaber ihre Läden dicht.

"Für uns ist das natürlich eine Katastrophe", sagt Britta Hillie, eine Frau um die fünfzig mit blonden langen Haaren, der zusammen mit zwei Freundinnen der Deko-Laden Serendipity gehört, in dem es sehr viel schönen Kram zu kaufen gibt. Sie schaut skeptisch von unten über ihre Brillengläser hinweg, aber auf gewisse Weise scheint sie sich mit allem abgefunden zu haben. Am Donnerstag, Freitag und Samstag sperrt sie den Laden zu. "Die Touristen bleiben jetzt schon weg. Die haben ja alle anders geplant."

Angst vor den Kapitalismus- und Anzuggegnern

Eisengitter, Holzplatten und Planen schützen viele Geschäfte in der Marktstraße. Über die Schaufenster des Modeladens "Goldmarie" wird gerade eine riesige Plane gezogen, die Kunstgalerie Palme macht am Dienstag zu. Rainer Bachmann, der Besitzer, sitzt im Eingang und tippt etwas in sein Handy. Er hat graue lange Haare und spricht mit norddeutschem Akzent. "Der Gipfel is' mir eigentlich scheißegal", sagt er, aber er verliere eben viel Geld, wenn er den Laden fast eine Woche schließen müsse. "Zwei- bis dreitausend Euro sind das schon." Den Geschäften in der Nachbarschaft dürfte es ähnlich gehen.

Das Citymanagement Hamburg, das den kompletten Einzelhandel in der Innenstadt vertritt, befürchtet einen Umsatzausfall in Höhe von 15 Millionen Euro. Touristen werden fernbleiben, und viele Hamburger fahren lieber weg, als sich die Stadt mit 20 000 Polizisten, 10 000 Gipfelteilnehmern und 5000 Journalisten zu teilen. Hinzu kommt die Sicherheitsfrage. Eine Bankfiliale, heißt es, habe ihre Mitarbeiter angewiesen, während der Gipfeltage in Freizeitkleidung zur Arbeit zu kommen, um keinen Ärger mit den Kapitalismus- und Anzuggegnern aus dem Anti-G-20-Lager zu kriegen.

Doch die Hamburger dürften auch am Freitag und Samstag unversehrt zur Arbeit gelangen. Das habe ihr zumindest die Polizei versichert, sagt Brigitte Engler, Geschäftsführerin des City Managements. Sie sei trotzdem "gottfroh, wenn wir am Sonntag in unsere Geschäfte schauen können und sehen, dass nichts passiert ist." Ironie des G-20-Gipfels: Engler muss sich am Wochenende nach einem anderen Arbeitsplatz umsehen: "Mein Büro steht mir nicht zur Verfügung, weil es in der Sicherheitszone liegt. Wir schließen am Donnerstag."

In der Innenstadt schützen Karstadt, Kaufhof, H&M und der Schmuckladen Swarovski ihre Schaufenster mit riesigen Pressholzplatten. Manche Unternehmen lassen ihre Mitarbeiter am Freitag und Samstag von zuhause arbeiten, aber in der Innenstadt bleiben die Läden größtenteils geöffnet. Nur die Einkaufspassage im Levantehaus wird geschlossen, weil sie zur Sicherheitszone wird. Russlands Präsident Wladimir Putin übernachtet im "Park Hyatt"-Hotel im selben Gebäude.

Zurück in die Marktstraße im Karolinenviertel. Wenn man an den vielen zugesperrten Läden in Richtung Osten vorbeiläuft, stößt man hier auch auf Geschäftsleute, die dem Unvermeidlichen offensiv begegnen. Im Plattenladen Groove City hängt ein Stofftuch hinter der Scheibe, auf dem "G20 du Opfer" steht. Es gibt hier Soul, Jazz, Hip-Hop sowie afrikanische und türkische Musik. Hinter der Theke sitzt Marga Glanz, 59, vor ihr stehen Kaffee und Kuchen. Sie trägt die grauen Haare kurz, auf ihrem linken Oberarm blitzt unter dem T-Shirt eine bunte Tätowierung hervor. Der Laden gehört ihr seit zehn Jahren.

"Es ist schon erstaunlich, wie schnell das geht", sagt Glanz, "dass sich eine Stadt wie Hamburg ein paar Diktatoren einlädt und sofort die demokratischen Grundrechte aushebelt." Sie meint die Räumung des Protestcamps auf der Elbhalbinsel Entenwerder in der Nacht auf Montag. "Also geht's noch?" Für sie steht eine Sache fest: dass sie sich ihr Viertel jetzt nicht wegnehmen lassen möchte, nur weil in 500 Metern Luftlinie Entfernung Trump und Putin sitzen.

Mit den befreundeten Geschäftsbesitzern in der Nähe habe sie sich darauf geeinigt, dass ihre Läden geöffnet bleiben, auch am 7. und 8. Juli. "Ich will mir das nicht nehmen lassen", sagt Glanz und erzählt, was sie und ihre Bekannten von jetzt an und in den kommenden Tagen machen werden: "Wir werden rausgehen, wir werden Musik spielen, wir werden essen und trinken."

Cornern nennt es sich, auf der Straße mit anderen abzuhängen, und Marga Glanz und viele Hamburger haben es als Mittel des Protests für die kommenden Tage auserkoren. "Wir werden einfach draußen sein und die Grünflächen in Beschlag nehmen", sagt sie. Auch so kann Widerstand aussehen, friedlich und kreativ. Und wenn dann mal ein paar Leute weniger ins Geschäft kommen, ist es vielleicht halb so wild.

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