Fußball:Von wegen Folklore

In Dortmund wurden Leipzig-Fans durch die Straßen gejagt. Die Brutalität der Fans war von den Fußball-Funktionären angeheizt worden. Dabei müssten sie den Fans vermitteln, dass Gegner keine Feinde sind.

Von Klaus Hoeltzenbein

Der Polizeibericht war eindeutig: Er habe "in hasserfüllte Fratzen geschaut", teilt der Einsatzleiter mit, "es sei mit allem geworfen worden, was die Leute in die Hände bekamen". Im Unterschied zu dem, was man gewöhnlich von der pseudo-politischen Randale kennt, seien auch "Kinder, Frauen, Familien" bedroht worden. Wie immer folgt die Frage: Wie konnte es dazu kommen?

Die Antwort führt in eine Welt, die sich als Unterhaltungsbetrieb versteht. Die sich als solcher gerne abschottet und stets besonders irritiert ist, wenn die Realität über die Wände des Fußballstadions in die Arena schwappt. Wenn wie jetzt von mindestens zehn Verletzten die Rede ist, weil um das Bundesligaspiel zwischen Dortmund, dem Traditionsbetrieb, und RB Leipzig, dem Emporkömmling, ein ideologischer Konflikt in einer offenbar auch von der Polizei unterschätzten Brutalität ausbrach.

Dass jetzt Hans-Joachim Watzke ins Zentrum rückt - es passt, weil er die Wirkung mancher Aussage wissentlich in Kauf genommen hat. Der Geschäftsführer des BVB versteht sich aufs Populäre, im Kern aber hat er kaum mehr getan, als oft und öffentlichkeitswirksam auf fehlende Leipziger Historie hinzuweisen. Und in Anspielung auf den Salzburger Mutterkonzern, den Getränkehersteller Red Bull, darauf, dass dort Fußball gespielt werde, "um eine Dose zu performen". Falsch eingeschätzt hat Watzke jedoch die explosive Wirkung solcher Sätze: Die können im aktuellen gesellschaftlichen Reizklima wie ein verbaler Brandbeschleuniger wirken. Alles, was die Hauptdarsteller der Liga vor Jahren noch unter "Folklore" rubrizieren konnten, verlangt heute nach präzisen Differenzierungen - das ist es, was die altgedienten Kräfte der Branche gerade lernen müssen.

"Häng' Dich auf!" plakatierten die Dortmund-Fans

Andernfalls schlägt das Echo, wie jetzt von Dortmunds Südtribüne, in strafrechtlich relevanter Brutalität zurück. Nicht nur ein gegen den Leipziger Sportchef Ralf Rangnick gerichtetes Plakat ("Burnout Ralle: Häng Dich auf!") dürfte der Justiz einen Ermittlungsansatz liefern - ähnlich wie bei der Pegida-Demonstration in Dresden, als ein gezeigter Galgen für Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel die Strafverfolger aktivierte.

Der Fußball bleibt ein Spiegel der Gesellschaft, und die BVB-Klientel ist politisch viel komplizierter als die Fußball-Kundschaft anderswo. Deshalb wäre es ein grobes Foul, dem BVB ausgerechnet eine Reaktion von Uli Hoeneß als gutes Beispiel vorzulegen. Es dient allenfalls als Beleg für die neue Unsicherheit. Einen "Feind" hatte Hoeneß die Leipziger genannt, die 2009 auf Initiative der Red Bull GmbH in Salzburg gegründet wurden und sich vom Fünftligisten zum Champions-League-Aspiranten entwickelten. Am Tag darauf entschuldigte sich Hoeneß für seine Wortwahl und erklärte, es handele sich allenfalls um "Gegner oder Rivalen". Egal, warum sich der Bayern-Boss zurückpfiff - es ist die Herausforderung für alle Etablierten, ihrer in Teilen schwer erziehbaren Kundschaft zu vermitteln, dass da jetzt einer mitspielt, der hochbegabt, aber halt auch anders ist.

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