Süddeutsche Zeitung

Fußball:Hüpfen, bis es kracht

In Stadien brechen immer wieder Tribünen ein, wenn die Fans rhythmisch springen. Es gibt dafür nur zwei Lösungen: eine aufwendige Verstärkung der Konstruktion oder ein Hüpfverbot.

Von Gerhard Matzig, München

Die Fußballfans von Vitesse Arnheim waren vom Auswärtssieg (0:1) ihrer Mannschaft am Sonntag gegen den Lokalrivalen Nijmegen begeistert. Leider so sehr, dass ihre Hüpferei im Anschluss an das Derby einen Teil der Tribüne einstürzen ließ. Ein halbes Dutzend Ränge im Stadion des NEC Nijmegen war betroffen. Verletzt wurde nach ersten Berichten niemand. Das war Glück im Unglück. Unter den Betonfertigteilen, die sich nach oben zu einer Treppenkonstruktion verbinden, befand sich ein stählerner Container. Das verhinderte den kompletten Einsturz. Einige von den dennoch metertief abgesackten Fans erholten sich schnell von ihrer Verblüffung. Sie feierten weiter, bis die Tribüne geräumt wurde.

Auch abseits der Niederlande ist das Beinahe-Unglück von Interesse, denn in aller Welt sorgt der Fußball an jedem Wochenende für jubilierende, rhythmisch im Gleichtakt hüpfende Fans. Norbert Gebbeken, Tragwerksplaner und Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer, beschreibt das, wozu man auch einfach "typisch Südkurve" sagen könnte, korrekt lieber als "dynamische Last". Die Dynamik bewegter Menschen stellt im Gegensatz zur Statik ruhender Menschen das eigentliche Problem dar.

Wenn Menschen nur auf einer Tragkonstruktion sitzen oder stehen, sind sie eine normgerechte statische "Lastannahme", die man leicht berechnen kann. Wenn sich die gleiche Menschenmenge aber bewegt, kann es zur "dynamischen Anregung" des Bauteils kommen, wodurch sich laut Gebbeken die Eigenschwingung steigert. Es kommt zur Resonanz und damit insgesamt zu wesentlich höheren Belastungen für Material und Konstruktion.

Weshalb die Fans des 1. FC Magdeburg jahrelang auf das rhythmische Hüpfen verzichten mussten. Dann wurde das Tragwerk ertüchtigt. Seither weiß man, dass ein springender Fan die fünf- bis sechsfache Belastung im Vergleich zum sitzenden Fan ausübt. Weil aber euphorisierte Fans nun mal keine Leute sind, die sich sittsam sitzend in Friedrich Schillers Schrift "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" vertiefen, während Hansa Rostock anläuft ("Der Mensch ... ist nur da ganz Mensch, wo er spielt"), müsste das Hüpfen angemessen eingerechnet werden in die Statik. Das führt zu größeren Querschnitten und höheren Baupreisen. Moderne Konstruktionen, die mit Dämpfern jedwede Dynamik ausgleichen, sind teuer.

Sie sollten aber selbstverständlich sein. Im November 2007 sind in Brasilien sieben Menschen gestorben: Damals gab die Tribüne des Estádio Octávio Mangabeira nach - aufgrund hüpfender Fans. 20 Meter tief stürzten Menschen in den Tod. Das Stadion wurde abgerissen und verkehrssicherer wieder aufgebaut. Norbert Gebbeken glaubt, dass auch in Deutschland einige Stadien je nach Bauart und Alter theoretisch das Risiko bergen, sich unter bestimmten Umständen zu Todesfallen aufzuschwingen. Hüpfverbot oder konstruktive Ertüchtigung: Das sind die Alternativen.

Global betrachtet darf man dennoch dynamisch sein. Der Physiker Rhett Allain hat errechnet, was passiert, wenn alle Menschen gleichzeitig in die Luft springen. Das Ergebnis: nichts. Die Erde hat zu viel Masse, um sich davon beeindrucken zu lassen. Für Stadien, die zudem "Hexenkessel" sein sollen, gilt das nicht.

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