„Clean zones“:Doch kein Demo-Verbot vor dem Stadion

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Fünf EM-Spiele werden in Stuttgart ausgetragen. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Die Uefa hätte Demonstrationen bei der Europameisterschaft gerne verboten. Doch Jurastudenten führen vor, dass es eine mächtigere Instanz gibt als den Fußballverband.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Am Sonntagabend spielt Schottland gegen Ungarn, weshalb vor dem Stuttgarter Fußballstadion viel los sein wird, und wahrscheinlich wird das Grüppchen kritischer Juristen und Juristinnen dort nicht so sehr auffallen. Studierende aus Freiburg und Heidelberg wollen vor der Arena gegen ein angebliches Demo-Verbot protestieren. Eigentlich hatten sie wohl damit gerechnet, dass ihre Kundgebung verboten würde, und wollten ihren Protest vor Gericht austragen, nicht vor dem Stadion. Nun ist es aber anders gekommen – die Stadt Stuttgart lässt den Protest zu, um die 100 Meter (die Stadt sagt: 50) vom Eingang entfernt, obwohl dort angeblich eine „clean zone“ von 500 Metern gilt, in der während der Spiele politische Versammlungen nicht zulässig seien. Jetzt aber dürfen die Studierenden vor dem Stadion gegen ein Demonstrationsverbot demonstrieren.

Also alles nur ein Irrtum? Die Information von der politfreien „clean zone“ stammt aus den „Tornament Requirements“ von 2017. In diesen Anforderungen an die Gastgeberstädte wurde noch vor der Vergabe der Europameisterschaft festgelegt, dass diese an den Austragungsorten allerlei Vorkehrungen gegen „ambush marketing“ treffen sollten, also gegen kommerzielle Aktivitäten von Trittbrettfahrern. Der Fußballverband hat sich darin ebenjene clean zones ausbedungen, in denen – vereinfacht gesagt – Kommerz nur mit Autorisierung des Verbands stattfindet. Die Städte müssten „alle notwendigen Maßnahmen“ ergreifen, etwa gegen Straßenverkauf und Flugblattreklame. Und eben auch gegen „politische und/oder religiöse Demonstrationen“, wie es dort überraschend lapidar heißt.

Richtungsweisend ist ein Urteil zur Versammlungsfreiheit am Frankfurter Flughafen

Die Versammlungsfreiheit, ein urdemokratisches Grundrecht, sollte wegen des Sommermärchens pausieren? 500 Meter grundgesetzfreie Zone? Wer die liberale Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kennt, wird das für, sagen wir, gewagt halten. Ein Verbot des Verteilens von Flugblättern, so hieß es 2011 im grundlegenden Fraport-Urteil, könne „nicht auf den Wunsch gestützt werden, eine Wohlfühlatmosphäre in einer reinen Welt des Konsums zu schaffen, die von politischen Diskussionen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen frei bleibt. Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf“.

Die Stuttgarter Ordnungsbehörde sieht das ebenso. Gegenüber der SZ stellt sie klar, sie habe die kritischen Studierenden keineswegs auf einen Ort außerhalb der Zone verwiesen, sondern mit ihnen – die aus Ortsunkenntnis Entfernungen falsch eingeschätzt hätten – lediglich den passenden Platz ausgesucht. In allen Gesprächen und Verträgen mit der Uefa habe man von vornherein klargestellt, jede Beschränkung von Demonstrationen sei „nur im Rahmen des gesetzlich Zulässigen“ möglich – also etwa bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Andere Gastgeberstädte kennen ebenfalls keine pauschalen Demo-Verbote rund ums Stadion – das melden etwa Berlin, Frankfurt, Leipzig und Gelsenkirchen. Die Schalke-Stadt erläutert, warum solche Vorgaben nicht in der Macht des Fußballverbandes liegen: „Es gilt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.“

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