In den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts spielte Diego Maradona, weltbester Fußballkünstler seiner Zeit, ausgerechnet im runtergerockten italienischen Süden, beim SSC Neapel. Der Mann hatte ein Vermögen gekostet, umgerechnet mehr als zwölf Millionen Euro, und natürlich kamen Diskussionen auf, ob man das viele Geld nicht sinnvoller hätte ausgeben können - gerade in Neapel. Die Fans gaben den Skeptikern eine Antwort, sie schrieben sie auf Bettlaken und schleppten sie mit ins Stadion: "Lieber hungern mit Maradona als hungern ohne Maradona." Allein die Tatsache, dass Maradona Neapolitaner geworden war, machte die Menschen in der Peripherie stolz. Und der damals absurd teure Deal zahlte sich spätestens aus, als Maradonas Genialität seinen Verein 1987 endlich zum italienischen Meister machte. Die Fans schrieben ihre Botschaft direkt an die Friedhofsmauer, ein Gruß an all jene, die leider zu früh gestorben waren: "Ihr wisst ja nicht, was ihr verpasst habt."
Auch 30 Jahre später ist der Profifußball immer noch und mehr denn je: die Begegnung zwischen zahlreichen Unterprivilegierten im Publikum und wenigen Auserwählten auf dem Rasen. Diejenigen, die ihre Helden feiern, feiern eine Elite, denn gehaltstechnisch und auch vom Habitus her sind Profifußballer elitärste Elite. Wie elitär, haben gerade die "Football Leaks"-Recherchen gezeigt. Eine Clique von Gierhälsen ist im Profifußball versammelt, die ihren Reichtum auch mit schmutzigen Tricks mehrt.
Wenn man dieser Tage die inzwischen aufgerufenen Ablösesummen und Gehälter nachliest, kommt einem Maradona wie ein Schnäppchen vor. Geld vom Fernsehen, von Investoren und Zockern ist im Markt, die Preise sind nicht mehr fassbar. Für 105 Millionen Euro wechselte Paul Pogba, ein Kicker, der nichts Nennenswertes gewonnen hat, vor der Saison nach England. Der schon leicht abgehalfterte Argentinier Carlos Tévez wird nach seinem Umzug nach China in der dortigen Profiliga angeblich mehr als 100 000 Euro verdienen - am Tag. Der amtierende Weltfußballer Cristiano Ronaldo will ein ähnlich hohes Angebot gerade ausgeschlagen haben, sein Berater Jorge Mendes wurde zitiert mit der Weisheit: "Geld ist nicht alles." Ein Satz, den man im Fall Ronaldo - siehe Football Leaks - nur mit sehr gutem Willen nicht als dreiste Lüge verstehen kann. Und der dem Berater augenblicklich um die Ohren hätte fliegen sollen.
Ein Star gibt den Leuten etwas, ein Politiker nimmt es ihnen
Aber während die sogenannten Eliten in Wirtschaft und Politik weltweit von den sogenannten Abgehängten als korrupt und gekauft verteufelt werden, werden die Eliten im Fußball von der Mehrheit der Kundschaft noch immer mit ausgeprägter Milde beurteilt. Warum? "Der Erfolg dieser Sportart ist auf ihr Gefühlselement zurückzuführen, das zugleich ihren Kern darstellt", schreibt der Autor und Fußballphilosoph Javier Marías. Also: Ein Fußballer hat es leichter, den Leuten ein gutes Gefühl zu vermitteln, als jeder noch so weitsichtige Minister oder Wirtschaftsführer. Den einen entscheidenden Pass spielen, das eine entscheidende Tor schießen, danach das Wappen auf dem Trikot küssen. Ein großer Fußballer gibt den Leuten etwas, er hält ihre Illusionen am Leben. Vielleicht doch mal Meister werden, vielleicht doch mal raus aus der zweiten Liga. Ein Politiker, der einen Sparkurs vertritt, nimmt den Leuten etwas. Zum Beispiel ihre Illusionen.
Der Fußball lebt auch durch seine Ambivalenz. Selbst derjenige, der sich über die Millionenablösen aus China für alte Argentinier aufregt, wird geschmeidiger, wenn sein eigener Verein profitieren kann. Man muss nur in die Fan-Foren schauen: Da wünschen sich die Leute, den einen oder anderen Ersatzmann aus der eigenen Mannschaft für einen guten Preis nach Asien verscherbeln zu können. Wenn es um den eigenen Klub und Stolz geht, kann man sich mit vielem arrangieren.
An seiner Spitze, im Profibereich, ist der Fußball verdorben. Kalkulierter Menschenhandel, zur Schau gestellter Reichtum; das Business frisst Mittel aus Sozialetats. 2017 wird die Qualifikation für die WM in Russland gespielt, eine von Korruptionsgerüchten umwehte Veranstaltung, die in Stadien ausgetragen wird, deren Baukosten nicht in Millionen, sondern längst in Milliarden berechnet werden. Die Fußballbosse und Strippenzieher und Profiteure verlassen sich darauf, dass das, was der Fußball den Leuten emotional gibt, nach wie vor schwerer wiegt als alles, was man rational gegen ihn vorbringen kann. Aber nüchtern betrachtet - und mit den Maßstäben gemessen, die die Gesellschaft an andere Lebensbereiche anlegt -, müsste eigentlich schon am Anfang des Jahres 2017 ein Wort des Jahres feststehen: Fußballverdrossenheit.