Süddeutsche Zeitung

Furcht vor den Radikalen in Griechenland:Wie die griechischen Parteien Neuwahlen verhindern wollen

Die großen Parteien in Griechenland scheitern der Reihe nach bei dem Versuch, eine Regierung zu bilden. Aber nun will Pasok-Chef Venizelos doch noch zu einer Koalition kommen. Mit einem ungewöhnlichen Schritt könnte er Erfolg haben. Denn die Furcht ist groß, dass Neuwahlen die radikalen Parteien weiter stärken würden.

Christiane Schlötzer

Das Feuer lodert jetzt. Im antiken Olympia haben sie am Donnerstag bei sommerlichen Temperaturen das olympische Feuer entzündet. 2900 Kilometer wird es durch Griechenland getragen, bis es am 17. Mai vom Olympiastadion in Athen den Weg nach London antreten darf.

An eben jenem 17. Mai sollte eigentlich in Athen das neu gewählte Parlament eröffnet werden, üblicherweise ein ebenfalls feierlicher Akt. Doch ob es noch dazu kommt, oder ob das Land wieder an die Urnen gerufen wird, das wurde auch im olympischen Fackelschein erst einmal nicht klarer.

Nachdem zuerst der Chef der konservativen Nea Dimokratia (ND), Antonis Samaras, daran gescheitert war, eine Regierung zu bilden, musste auch Alexis Tsipras, der erst 37-jährige Überraschungssieger von der Radikalen Linken, in der Nacht zum Donnerstag zugeben, dass er mit seinem Latein am Ende ist. "Der Traum einer Linksregierung" in Griechenland habe sich "nicht verwirklichen lassen", stellte er fest.

Als völlig vergebens wollte Tsipras seine Mission aber nicht werten. "Die internationalen Geldgeber", meinte der Linkspolitiker, seien nun eher geneigt, über ihre harten Auflagen neu zu verhandeln, "nachdem wir ganz Europa gezwungen haben, die großen Veränderungen in Griechenland wahrzunehmen". Tsipras und seine Linksallianz sind mit 16,7 Prozent der Stimmen direkt hinter den führenden Konservativen gelandet.

Mit seiner Forderung, das gesamte Milliardenpaket, das Griechenland bislang vor der Pleite bewahrt hat, zur Disposition zu stellen, war Tsipras in seinen Gesprächen aber auf heftigen Widerstand von Samaras und Venizelos gestoßen. Als dritter will nun Venizelos selbst sein Glück versuchen und eine Regierung formen - ein Unterfangen, das der Quadratur des Kreises recht nahe kommen dürfte.

Hoffnungsträger bei der Demokratischen Linken

Deshalb hatte Venizelos, zuletzt Finanzminister und daher vertraut mit den dunkelsten Haushaltslöchern, die Partnersuche gar nicht beginnen wollen, wie es aus der Pasok hieß. Dann aber nahm er doch den Auftrag von Staatspräsident Karolos Papoulias an.

Zum Sinnungswandel könnte ein Mann beigetragen haben, auf den sich plötzlich neue Hoffnungen richten: Fotis Kouvelis. Der 63 Jahre alte Anwalt ist Chef der kleinen Partei Demokratische Linke. Sie kam am vergangenen Sonntag auf 6,1 Prozent der Stimmen. Das brachte ihr 19 Abgeordnete. Zusammen mit den 108 Parlamentariern der ND und den 41 der Pasok ließe sich daraus eine Drei-Parteien-Koalition erreichen. Sie hätte mit 168 Stimmen eine relativ klare Mehrheit in dem 300-köpfigen Parlament.

Fotis Kouvelis, ein Mann der leisen Töne, galt vor der Wahl eine ganze Zeit lang als der populärste Politiker Griechenlands, zumindest in Umfragen. Die hatten dem gemäßigten Linken sogar Hoffnungen auf Platz zwei gemacht. Es kam anders: Rang zwei eroberte der laute, radikalere und jugendlich wirkende Populist Tsipras - und nicht der väterliche geläuterte Ex-Kommunist Kouvelis.

Der hat zwar wie Tsipras auch gegen die griechischen Sparpakete gestimmt, aber sich sonst eher verbindlich gezeigt. Zu verbindlich und damit zu unentschieden für den Geschmack der meisten Wähler. Nun ließ Kouvelis wissen, dass er angesichts der "sehr kritischen Situation" dabei helfen wolle, Neuwahlen doch noch zu vermeiden.

Venizelos nahm den Strohhalm sofort auf und bot Kouvelis am Donnerstagmorgen - ohne dessen Namen zu nennen - praktisch das Amt des Premiers an. Venizelos sagte, er könne sich vorstellen, dass ein Vertreter einer "neuen Partei" diese Aufgabe übernehme. Das passte auf Kouvelis wie ein Fahndungsfoto.

Griechische Beobachter äußerten allerdings Zweifel, ob eine Dreier-Koalition aus den Traditionsparteien ND und Pasok, die für den griechischen Schlamassel heftig abgestraft wurden, und dem eher wankelmütigen Kouvelis länger leuchten würde als die olympische Fackel.

Denn zu Kouvelis' Kleinpartei gehören auch viele enttäuschte Pasok-Anhänger, die den Sparprogrammen ihre Zustimmung verweigert hatten. Die Kouvelis-Partei könnte daher unter dem Druck der Regierungsverantwortung schnell zerbrechen.

Wenn Venizelos ebenfalls mit der Regierungsbildung scheitert, ist der Präsident dran. Papoulias wolle dann, wie es in Athen hieß, spätestens am Montag zum Allparteiengespräch in seinen Amtssitz laden.

Im Amt des Präsidenten machte man sich am Donnerstag bereits intensive Gedanken darüber, ob auch den erstmals ins Parlament gewählten Faschisten diese Ehre zuteilwerden soll. Die nationalistische und fremdenfeindliche Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) hat mit knapp sieben Prozent der Stimmen 21 Abgeordnete erhalten. Sie wurden bislang von jeder Suche nach Koalitionspartnern ausgenommen.

Bei Neuwahlen, so fürchten nicht wenige in ND und Pasok, könnten die Radikalen sowohl auf der extrem rechten wie linken Seite sogar noch mehr Stimmen fangen. Diese Angst erhöht den Einigungszwang unter den alten Regierungsparteien, und dies dürfte auch für gehörigen Druck auf das mögliche Zünglein an der Waage, Fotis Kouvelis, sorgen.

Ganze Familien leben von Spenden

Allerdings gibt es in den alten Parteien auch die gegenteilige Theorie: Die besagt, viele Griechen hätten nun ihre Wut und ihren Wunsch nach einem radikalen Neuanfang gezeigt, bei einer Wahlwiederholung würden dann die Sorgen vor weiterem politischen Chaos Pasok und ND zu mehr Stimmen verhelfen.

Bei vielen Bürgern wachsen jedenfalls die Ängste, noch mehr zu verlieren. Die Arbeitslosigkeit erreichte nach Angaben des griechischen Statistikamtes mit 21,7 Prozent einen neuen Rekord. Von denjenigen, die jünger als 25 Jahre alt sind, haben 53,8 Prozent keinen Job. Und es könnten sogar noch mehr sein, weil dies die Zahlen vom Februar sind, die jetzt erst veröffentlicht wurden.

Ganze Familien leben von Spenden der Noch-Besser-Verdienenden und Gaben, die von den Kirchen verteilt werden. Rund 380 Euro beträgt das Arbeitslosengeld, das nur für ein Jahr gezahlt wird. Bei vielen macht sich Fatalismus breit, nach dem Motto: "Wir erleben den Bankrott schon jetzt, schlimmer kann es gar nicht kommen."

Auch deshalb würde Präsident Papoulias gern bald einen Premier vereidigen. Kann er mit den Parteien keinen Kompromiss finden, muss er den Präsidenten von einem der drei hohen Gerichte des Landes mit einer Notregierung beauftragen. Und dann wird noch einmal gewählt. Ein mögliches Datum gibt es auch schon, den 17. Juni. Da ist das olympische Feuer dann schon lang außer Landes.

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Quelle:
SZ vom 11.05.2012/gal
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