Süddeutsche Zeitung

Tourismus:Der Berg sendet

Der majestätische Kegel des Fuji ist Japans wichtigstes Wahrzeichen. Wanderer können ihre Videos nun auch hochaufgelöst über das 5G-Netz verschicken. Paradoxerweise könnte das dazu führen, dass weniger Touristen auf den Gipfel steigen.

Von Thomas Hahn, Tokio

Die Bilder der Live-Kameras vom Fuji zeigten am Sonntag ein graues Nichts. Japans höchster und heiliger Berg lag in Wolken. Wer ihn bestieg, musste regenfest sein und auf schöne Aussichten verzichten. Immerhin, Fotos und Filme vom Nebel konnten die Wanderinnen und Wanderer an manchen Stellen des Gipfels ohne Verzögerung versenden. Denn das ist diese Saison neu am Fuji: Mobilfunk nach 5G-Standard. Neben den Göttern, die nach der Nationalreligion Shinto ohnehin schon auf dem Vulkan leben, wirken dort jetzt also auch die Kräfte des superschnellen Internets.

Seit 1. Juli ist die erste von vier Wanderrouten zum 3776 Meter hohen Gipfel des Fuji offen. Bis 10. September kann man hinauf. Eine sehr japanische Tradition lebt wieder auf, nachdem die Klettersaison im vergangenen Jahr wegen des Coronavirus zum ersten Mal komplett ausfiel. In normalen Zeiten besteigen täglich Tausende den Fuji, dicht an dicht, deshalb hatten die Behörden wohl Bedenken. Für dieses Jahr haben sie "neue Manieren für die Fuji-Besteigung im Zeitalter von Covid-19" aufgelegt. Man soll zum Beispiel zwei Meter Abstand zur nächsten Gruppe halten und die Sicherheitsseile am Routenrand nicht berühren.

Das schnelle Internet wirkt da fast wie eine Entschädigung. Sonst hatten Telekommunikations-Unternehmen wie KDDI immer Mobilfunk-Stationen für 4G-Technologie aufgebaut. Jetzt also 5G. "Damit können Sie Videos mit hoher Auflösung senden", sagte ein Firmenvertreter, "bitte haben Sie Freude dabei, sie mit Menschen zu teilen, die nicht auf den Berg kommen können". Die Botschaft lautete: Der Fuji geht mit den Medien der Zeit.

So war es ja immer. Der majestätische Kegel des Fuji ist Japans berühmteste Ikone und eine andauernde Inspiration für die Menschen im Inselstaat. Schon im achten Jahrhundert hat man ihn in Gedichten besungen. Seine markante Silhouette schmückte einst mit Papier bespannte Schiebetüren und Mandalas, mit denen Buddhisten für den Pilger-Tourismus warben. Katsushika Hokusai verbreitete im 19. Jahrhundert via Farbholzschnitt seinen berühmten Zyklus "36 Ansichten des Berges Fuji". Später wurde der Fuji ein Thema für Film und Fotografie. Heute ist er ein Star der sozialen Medien, täglich gepostet und gelikt. Eigentlich logisch, dass er jetzt auch ein Symbol für die fünfte Mobilfunk-Generation ist.

Glänzende PR für den Anbieter? Sicher. Aber diese Art des Marketings hat in Japan durchaus etwas mit echter Liebe zu tun. Der Blick auf den Fuji ist eine Dienstleistung am japanischen Heimatgefühl. Für Shinkansen-Fahrten zwischen Tokio und Kyoto kann man seinen Fensterplatz auf der Fuji-Seite buchen. Die Fuji Dream Airlines aus Shizuoka kam relativ gut durch die Pandemie, weil es Bedarf an Panoramaflügen gibt.

Auf dem Berg selbst war zum Auftakt der Wandersaison allerdings wenig los, berichtet die Zeitung Mainichi. Könnte am Wetter liegen. Oder an der Pandemie - Japan lässt weiterhin keine Auslandstouristen einreisen. Oder an einem Symptom des digitalen Zeitalters, gegen das auch 5G am Fuji nicht hilft: Immer mehr Menschen schauen lieber zu Hause Bilder im Internet an, statt nach stundenlangem Aufstieg selbst welche hineinzustellen.

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