Fünf Thesen zur US-Präsidentschaftswahl:Wie Obama und Romney sich in Stellung bringen

In ihren Reden sind sie höflich - noch. Hinter den Kulissen tobt zwischen US-Präsident Obama und seinem Herausforderer Romney inzwischen ein erbitterter Kampf um die Wählergunst. Jeder Schritt wird akribisch geplant, frühe Fehler können den Sieg gefährden, es gibt viele Unwägbarkeiten. Beobachter sind sich einig: Der Wahlkampf wird schmutzig.

Matthias Kolb, Washington

Es ist noch knapp ein halbes Jahr bis zur Präsidentschaftswahl am 6. November. Dann werden die 320 Millionen Amerikaner und der Rest der Welt wissen, wer künftig im Weißen Haus sitzen wird. Doch heute schon wird jede Äußerung der beiden Kandidaten genau unter die Lupe genommen und auf ihre Konsequenzen für den Wahlausgang hin überprüft. Was könnte in den nächsten Monaten bis zur Wahl geschehen? Fünf Thesen.

mitt romney im wahlkampf mit obama usa

Der amtierende US-Präsident und der selbsternannte Mr. Fix it: Barack Obama und Mitt Romney rüsten sich für den Kampf ums Präsidentenamt.

(Foto: AP)

Es gibt keine Pause - für niemanden

Beginnen wir mit einer Frage: Wann hat der US-Präsidentschaftswahlkampf für 2012 angefangen? Am 5. Mai 2011, als die erste TV-Debatte der republikanischen Bewerber ausgestrahlte wurde? Am 3. Januar 2012, als in Iowa die erste Vorwahl stattfand? Am 10. April diesen Jahres, als Rick Santorum aufgab und den Weg für Mitt Romney als Obama-Herausforderer freimachte? Oder beginnt er erst mit den Parteitagen im Spätsommer, wenn die Republikaner Ende August und die Demokraten Anfang September ihren Kandidaten nominieren?

Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass in Amerika immer Wahlkampf herrscht. Die Antwort auf obige Frage lautet deshalb: Am 5. November 2008, einen Tag nach Obamas Sieg. Die Polarisierung des Landes, die ständige Suche von Fox News, CNN und MSNBC nach Stories, der eigene Wirtschaftszweig aus Beratern, Demoskopen, Lobbyisten und PR-Leuten - all das führt zu aufgeregten Debatten, welche Folgen ein reales oder hypothetisches Ereignis für den Wahltag haben könnte.

Die Zeiten, in denen der Wahlkampf am Labor Day Anfang September begann, sind vorbei. Heute sind Beobachter wie Dan Balz von der Washington Post überzeugt, dass die Weichen bereits im Frühsommer gestellt werden. "Die kommenden 60 bis 90 Tage könnten entscheidend sein", so Balz. Es geht darum, die Organisation aufzubauen und die für den eigenen Kandidaten positiven Themen zu setzen.

"Die grundlegenden Dinge werden früh festgelegt. Es gilt, alle Ressourcen zu mobilisieren, um Angriffe der Gegenseite kontern zu können und sich jeden Vorteil so früh wie möglich zu verschaffen", erläutert Mark McKinnon, der 2000 und 2004 für George W. Bush arbeitete. Ähnlich urteilt Steve Schmidt, 2008 Chefstratege von John McCain: "Es gibt keinen Herbstwahlkampf mehr." Nach dem Labor Day werde das umgesetzt, was zuvor vorbereitet wurde.

Vorangegangene Fehler lassen sich danach kaum mehr aufholen: Bis auf zwei Ausnahmen (Reagan vs. Carter 1980 und Gore vs. Bush 2000) wurde seit 1964 stets der Kandidat ins Weiße Haus gewählt, der am Labor Day in der Gallup-Umfrage führte.

Was im Weißen Haus Kopfschmerzen bereitet

In Boston und Chicago wird nahezu rund um die Uhr gearbeitet. Hunderte Mitarbeiter kümmern sich im Hauptquartier von "Obama for America" um Wählergruppen wie Frauen, Rentner, Minderheiten oder Homosexuelle, überfluten Twitter und Facebook mit Nachrichten und planen regionale Einsätze. Der Amtsinhaber hat viele Vorteile: Obama musste keinen Vorwahlkampf führen, kann auf die bestehende Infrastruktur zurückgreifen und mit Präsidenten-Pomp auftreten. Das Romney-Team hält von einem ehemaligen Möbelgeschäft in Boston aus dagegen.

In swing states wie Florida, Ohio und Virginia hat "Obama for America" Dutzende neue Büros eröffnet und es zählt jeder Tag, um genügend Freiwillige für die Strategie zu gewinnen, die Obama beim Wahlkampfauftakt ausgab: "Wir werden diese Wahl auf altmodische Art gewinnen: Tür um Tür, Straßenzug für Straßenzug, Viertel für Viertel." Und da es beim Rennen um das Weiße Haus um die Mehrheit von nur 270 Wahlmännern geht, werden bestimmte Staaten besonders intensiv beackert. So haben die Demokraten, wie die New York Times beschreibt, Arizona ins Visier genommen. Das Erfolgsrezept ist meist ähnlich: Es gilt, so viele (junge) Wähler wie möglich zu registrieren und die Latinos zum Urnengang zu bewegen.

Es wird knapp werden

Mit Umfragen ist das so eine Sache. Natürlich ändern sich die Meinungen der Wähler schnell und natürlich beeinflusst auch die Formulierung der Frage die Antwort. Dennoch ergeben sich mitunter kuriose Konstellationen: In der vergangenen Woche wurden drei Ergebnisse über die Popularität der beiden Kandidaten unter Wechselwählern veröffentlicht: Bei Politico liegt Romney zehn Punkte vorn, die New York Times (NYT) sieht beide gleichauf, während Obama bei AP zwölf Punkte Vorsprung bei Unabhängigen hat. Bei der NYT liegt in dieser Woche Romney knapp vorn.

Ähnlich schwankend sind die Zahlen der Demoskopen, wenn sie die Wähler in den swing states (hier lag Obama vor seinem Plädoyer für die Homo-Ehe meist vorn) befragen oder landesweit Daten erheben (die sind jedoch wegen des Wahlsystems nur begrenzt aussagekräftig). Momentan scheint Obama laut Real Clear Politics knapp die Nase vorn zu haben, doch die Bandbreite lässt einen Schluss zu: Am 6. November wird Barack Obama seinen Erdrutschsieg nicht wiederholen können. Stattdessen wird es knapp werden - in Ohio, Florida oder Colorado können einige tausend Stimmen den Ausschlag geben und im Wahlmännerkollegium über Sieg oder Niederlage entscheiden.

Es dreht sich fast alles um die Wirtschaft

Tut er es oder tut er es nicht? Das Bekenntnis von Barack Obama für die Homo-Ehe war das Thema der letzten Tage, doch bald wird die wirtschaftliche Lage Amerikas wieder die Debatte beherrschen. Das liegt einerseits daran, dass Mitt Romney und seine Berater hier ihre Stärke und Obamas Achillesferse sehen, weshalb sie so oft wie möglich darauf zurückkommen werden (mehr Details zu Romneys Strategie bei Politico). Andererseits müssen noch immer viele Amerikaner sehr genau überlegen, wofür sie in Zeiten von steigenden Preisen und stagnierenden Löhnen ihre Dollars ausgeben.

Einige Zahlen dürften im Weißen Haus Kopfschmerzen verursachen: Die Arbeitslosigkeit liegt weiter bei acht Prozent, in Umfragen wird Romney eine höhere ökonomische Kompetenz beigemessen und 70 Prozent der Bürger sind unzufrieden mit dem Zustand ihres Landes. Noch schlimmer: Eine Studie der Brookings Institution zeigt, dass zwischen 69 und 83 Prozent der Amerikaner glauben, dass sich ihr Land in der Rezession befindet - dabei wächst die Wirtschaft seit vielen Monaten wieder. Obama und die Demokraten müssen also alles daran setzen, die Amerikaner davon zu überzeugen, dass der Aufschwung kommt - zwar langsam, aber doch unaufhaltsam.

Wenn Obama zu oft über Homo-Ehe oder den "War on Women" redet, könnte sich dies rächen, sobald etwa der Ölpreis weiter steigt oder sich die europäische Schuldenkrise verschlimmert. Der Zwei-Milliarden-Dollar-Verlust der US-Großbank JP Morgan zeigt, wie ein externes Ereignis die Themenlage verändert. Die Zockerei macht deutlich, wie verwundbar beide Kandidaten sind: Der Vorfall erinnert daran, dass sich trotz Obamas markiger Worte an der Wall Street wenig geändert hat und dass es vielleicht doch keine gute Idee ist, Romneys Forderung nach weniger Regulierung umzusetzen.

"It's the economy, stupid." Der millionenfach zitierte und adaptierte Spruch von Bill Clinton aus dem Wahljahr 1992 hat auch zwanzig Jahre später nicht an Symbolkraft verloren. Hier liegt die größte Herausforderung für Amtsinhaber Barack Obama. Bis November wird der monatliche job report mit den aktuellen Arbeitsmarktzahlen mit Spannung erwartet werden - von beiden Seiten.

Es wird ein hässlicher Zweikampf werden

In ihren Reden sind sie noch höflich. Im Gegensatz zu Rick Santorum oder Newt Gingrich hat Romney den US-Präsidenten im Wahljahr 2012 nur selten als "teuflisch" bezeichnet. Er beschreibt Obama oft als einen Mann, der beim Versuch, Amerika aus der Krise zu führen, gescheitert sei. Als Chef würde Romney, der selbsternannte "Mr. Fix it", dem Angestellten Obama "Er hat sich stets bemüht" ins Arbeitszeugnis schreiben und ihm viel Glück beim nächsten Job wünschen.

Barack Obama wiederum rief beim offiziellen Auftakt seiner Wahlkampfkampagne in Richmond den 8000 Zuhörern zu, Romney sei ein "Patriot" und guter Familienvater. In der Late-Night-Show von Jimmy Fallon sagte der US-Präsident, der Republikaner wirke wie jemand, der sich gut um seine Freunde kümmere. Kritik äußerte Obama an Romneys "grausamer" Politikvision aus Kürzungen und Steuersenkungen.

Persönliche Attacken? Eine Sache der Berater

Die persönlichen Attacken übernehmen bislang Berater oder sie werden in Videoclips gepackt. Allein vergangene Woche hat das Obama-Lager dafür 25 Millionen Dollar ausgegeben. Deren Botschaft lautet: Romney nimmt Geld von der Öl-Lobby, er wolle die US-Autoindustrie bankrott gehen lassen und zahlt unverschämt wenig Steuern.

Hier geht es auch um den Charakter: Ein Clip suggeriert, Romney hätte sich nicht getraut, Bin Laden ergreifen zu lassen und in einem anderen Video heißt es: "Genau so etwas erwartet man von jemandem, der ein Konto in der Schweiz hat." Seit kurzem präsentiert die Website Romney Economics Beispiele von entlassenen Arbeitern und geschlossenen Firmen - sie alle waren zuvor von Bain Capital aufgekauft worden, dem von Romney mitgegründeten Finanzinvestor.

Auch das Romney-Lager nutzt jede Gelegenheit zum Angriff. Zum Muttertag wurde Ann Romney als aufopferungsvolle Mutter gezeigt und Obama für die Aussage von Hillary Rosen verantwortlich gemacht - diese hatte Romneys Ehefrau vorgeworfen, keinen Tag in ihrem Leben gearbeitet zu haben. Andere Clips attackieren Obama als "Celebrity President" oder als Maulhelden, der trotz seiner Versprechen die Schulden in den Himmel wachsen lasse.

Nicht nur das Wirtschaftsmagazin Economist vermutet: "Der Kampf 2012 wird schmutziger werden als 2008." Romney muss seine konservative Basis bei Laune halten und Attacken auf den verhassten Präsidenten, den viele entweder für einen Sozialisten, Muslim oder Ausländer halten, kommen da gut an. Und Obama kann sich nicht mehr als über der Parteipolitik stehender Erneuerer präsentieren. Er muss seine ersten vier Jahre verteidigen und wird stets betonen müssen, dass er anders als Multimillionär Romney die Alltagssorgen der Amerikaner kennt.

Es wird teuer - sehr teuer

Dass dieser Wahlkampf erneut ein Wahlkampf der Superlative werden wird, liegt vor allem an den Richtern des Supreme Court. Sie entschieden mehrheitlich, dass Privatpersonen, Gewerkschaften und Firmen Geldspenden in unbegrenzter Höhe an Wahlvereine, sogenannte Political Action Committees, spendieren dürfen, wenn diese formell unabhängig sind und ihre Aktionen nicht mit den Kandidaten absprechen. Dies wurde damit begründet, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung auch für Unternehmen oder Verbände gelte.

Die Auswirkungen sind auf dieser Website oft beschrieben worden: Während der Vorwahlen der Republikaner wurden die Wähler mit einer Flut an Negativwerbung überschüttet. Einzelne Milliardäre haben enormen Einfluss. Während Barack Obama 2008 rund 750 Millionen Dollar ausgeben konnte und damit 300 Millionen mehr als sein Gegner John McCain zur Verfügung hatte, werden die beiden Kandidaten sich auch in dieser Disziplin ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern.

Im Obama-Hauptquartier in Chicago fürchten einige Berater gar, dass Romney über mehr finanzielle Mittel verfügt - der Republikaner erhält in diesem Jahr deutlich mehr Schecks von der Wall Street. Es wird jedoch angenommen, dass beide Kampagnen etwa eine Milliarde Dollar kosten werden.

Es ist alles offen

In den knapp sechs Monaten bis zum Wahltag kann und wird viel Unvorhersehbares passieren, was einige der obigen Annahmen über den Haufen werfen könnte. Wird der Supreme Court im Juni die Gesundheitsreform kippen und damit Obamas wichtigstes Gesetzeswerk für verfassungswidrig erklären? Wie verlaufen die Verhandlungen der internationalen Gemeinschaft mit Iran wegen des Nuklearprogramms? Wird der Euro in allen bisherigen Mitgliedsstaaten bleiben?

Niemand kennt die Antwort auf diese Fragen, aber auch hier gilt: Jetzt ist es Zeit für alle Beteiligten, sich einen Plan B oder gar Plan C zu überlegen.

Linktipp: Die New York Times präsentiert den Stand der Umfragen in einer interaktiven Wahlkarte und bietet Usern die Möglichkeit, ihr eigenes Wahlergebnis zusammenzustellen - und so das US-Wahlsystem besser zu verstehen.

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