Süddeutsche Zeitung

Fünf-Sterne-Bewegung in Italien:Gift der Anti-Politik

Lesezeit: 6 min

"Man kann alles aus dem Internet erfahren": Die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo lebt vom Glauben an das weltweite Netz, aber vor allem vom Frust über die italienische Politik und ihre Akteure. Das könnte dem früheren Komiker zum Erfolg verhelfen. Doch ein Experte warnt: Seine Wahl konserviere nur die Krise der Politik, die Berlusconi angerichtet habe.

Andrea Bachstein, Ostia

"Das ist ein Riesenbeschiss", sagt Alessandro und wedelt mit einem Fünf- Euro-Schein. "Da, was steht da drauf? EZB!" Dann zeigt er eine Dollarnote. "Hier steht The United States of America!" Für ihn ist das ein Beweis, dass der Euro gar nicht ihnen gehört, den Bürgern und ihren Ländern.

Alessandro Muccis Freunde Alessandro Nasetti und Attilio Anitori sind da ganz bei ihm: So einen Euro wollen sie nicht, der nicht gemeinsam regiert wird, sondern der Zentralbank gehört. Sie stehen in brütender Hitze in der Fußgängerzone von Ostia, dem Badeort der Römer.

Dort hat an diesem Samstagvormittag das "Movimento 5 Stelle" (Fünf-Sterne-Bewegung) ein Zelt aufgebaut, die Anti-Parteien-Organisation, die Italiens Politik aufmischen will. Seit Jahren sind die drei Freunde Anhänger der Initiative des Komikers Beppe Grillo. Mit ihren Bürgerlisten hat die Bewegung bei den Kommunalwahlen im Mai die Parteien das Fürchten gelehrt.

"Die Italiener sind Schafe", sagt Alessandro Mucci, der Solaranlagen verkauft, und Attilio fährt fort: "Grillo hat sie geweckt. Er hält sein Gesicht hin, aber jeder muss jetzt selber auf die Bühne gehen." Als Gründer und Koordinator sehen sie Grillo, nicht als Vorsitzenden, der etwas vorschreibt.

Deshalb mögen sie es nicht so gerne, wenn man sie "Grillini" nennt, was italienische Medien oft tun. "Wir sind Movimento 5 Stelle", und jeder rede hier nur für sich, erklären sie. Die drei engagierten Herren wirken nicht wie schrullige Weltverbesserer. 43, 50 und 54 Jahre alt sind sie, und wollen nichts mehr wissen von den bisherigen Parteien und Politikern.

Parteien - Geld statt Ideen

Die Parteien, sagt Alessandro, "haben null Ideen, das hat immer alles nur übers Geld funktioniert". 5 Stelle ist keine Partei, sondern ein Bündnis vieler lokaler Gruppen, und Attilio findet das gut. "In Parteien muss man sich immer auf Kompromisse einigen. Wie soll das gehen, zum Beispiel bei der Atomkraft?" Die Umwelt ist eines der fünf Hauptthemen von 5 Stelle - neben Wasserversorgung, Entwicklung, Internetanschluss, Transport.

Berufspolitiker wollen die Aktivisten in Ostia auch nicht mehr, weil die zu fern der Bürger seien. Mehr als ein Amt pro Kopf und eine Wiederwahl darf es auch nicht geben, wenn es nach ihnen geht. Außerdem brauche es doch für Politik keine besondere Qualifikation, argumentiert Attilio - "man kann alles aus dem Netz erfahren". Da ist er also, der Glaube ans Internet, der zur 5-Sterne-Bewegung gehört wie zur deutschen Piratenpartei.

Politik, erklärt Computerfachmann Attilio, solle nur eine Richtung vorgeben, "der Rest ist technische Anwendung". Laut Umfragen könnten sich bei Parlamentswahlen um die 15 Prozent der italienischen Wähler für die Fünf Sterne entscheiden. Dann wären sie drittgrößte Kraft neben der sozialdemokratischen PD und Silvio Berlusconis PDL.

Überdruss an der "Kaste" der Politiker und auch an Mario Montis parteiloser Regierung lässt Grillos Bewegung florieren. Bei ihr sollen Politiker aus der Mitte der Gesellschaft kommen, was sie tun, soll transparent sein und im Internet diskutiert werden. Dann sei "der Bürger der Souverän", sagt Alessandro Nasetti, der für eine große Autofirma gearbeitet hat.

Weil sie mit der Lokalpolitik unzufrieden waren, haben die drei sich engagiert, beispielsweise Unterschriften gesammelt für eine Ampel an einer gefährlichen Kreuzung. Jetzt liegen Listen an ihrem Stand mit der Forderung, jede Gemeinderatssitzung per Video aufzuzeichnen und online zu stellen.

Dass die Fünf-Sterne-Bewegung auch in Italiens Parlament sollte, auch da sind Attilio und beide Alessandros einig. So sind zwei von ihnen auch am Sonntagmorgen darauf unter den etwa 60 Leuten der Bewegung, die vor dem Abgeordnetenhaus in Rom debattieren und demonstrieren. Auch hier werden Dollar- und Euroscheine als Beweismittel gezückt.

Einige haben Erfahrung aus Stadtviertelinitiativen, wie der Maler Massimo Lazzari, der sich als Naturschützer und Schildkrötenexperte vorstellt. Er hat zum Beispiel Geld gesammelt für Grünanlagen in seinem Stadtteil. Jetzt will er möglichst viele Leute mobilisieren, Vorschläge für eine künftige Politik einzubringen. "Es ist ein revolutionärer Moment", sagt er, "wir ändern die Regeln."

So ganz schnell funktioniert das nicht mal auf lokaler Ebene, wie sich in Parma gezeigt hat. Dort stellt das "Movimento 5 Stelle" erstmals das Oberhaupt eine Großstadt. Der neue Bürgermeister Federico Pizzarotti wurde Überraschungsstar der Kommunalwahlen.

Doch 45 Tage hat er gebraucht, bis er nach mehreren Fehlversuchen endlich seinen letzten Referenten nennen konnte. Offenbar ist die Suche nach qualifiziertem, unbescholtenem Personal auch bei der Fünf-Sterne-Bewegung nicht so leicht. Mit Beppe Grillo hat sich Pizzarotti auch gleich ein bisschen verhakt, und sich Einmischung verbeten.

Der Komiker mit dem grauen Lockenkopf hat seine Anhänger über Jahre bei Veranstaltungen auf Plätzen gesammelt, aber vorrangig über das Internet. Seine Botschaften verbreitet der 64-Jährige fast nur in Blogs und Videos. In Berlusconis Ära war Grillo für viele vor allem Ventil des Zorns gegen den damaligen Regierungschef. Aber längst wettert Grillo gegen alle Parteien.

Das Ziel: ein schwacher Euro

Angriffsfläche liefern sie reichlich, mit Filz, Macht- und Postengeschacher sowie Finanzskandalen. Sie seien "zu Staub" geworden, hat er nach den Kommunalwahlen festgestellt und den PD-Chef "Zombie" genannt. Nun will Grillo "Prozesse" gegen Politiker auf den Plätzen abhalten. Er drischt Europa und den Euro, was auch Wähler von Berlusconi und, mehr noch, von der Lega Nord anzieht.

"Deutschland holt sich die D-Mark wieder", schlägt Grillo vor, "wir im Süden schaffen mit Griechen, Spaniern und Portugiesen einen schwachen Euro." So einfach ist das laut Grillo. Mal klingt seine oft wilde Mischung eher rechts, mal eher links. Die, die dem Ganzen nicht trauen wegen mangelnder Programmatik und knalliger Sprache, nennen es "Populismus 2.0". Grillo ficht das in seinem Selbstbewusstsein kaum an: "Wir sind die letzte Chance", behauptet er.

Dieser Ansicht ist Michele Prospero gar nicht. "Berlusconi war 20 Jahre lang ein Komiker in der Politik. Jetzt haben wir die Politik der Komiker", stellt der Politikprofessor der römischen Universität La Sapienza fest. Prospero, 52, hat sich mit dem Parteiensystem beschäftigt.

Er zieht weitere Parallelen: So wie Berlusconi mit seiner Sprache radikalisiert und Leute mobilisiert habe, die keine Steuern zahlen wollten, tue das jetzt Grillo. Was für Berlusconi das Fernsehen als Machtinstrument gewesen sei, sei bei Grillo das Internet.

Vor 20 Jahren, als die alten Parteien zusammenbrachen, seien Berlusconi und Lega-Gründer Umberto Bossi angetreten als Anti-Parteien-Parteien - wie jetzt das "Movimento 5 Stelle". Absurd sei das, sagt Prospero, dass man nun bei der Anti-Anti-Politik angekommen sei: "Italien ist verrückt geworden nach dem Zusammenbruch des Parteiwesens durch das Gift der Anti-Politik."

Seither habe sich kein neues Parteiensystem stabilisiert. "Derzeit gibt es eigentlich nur eine richtige Partei, die PD. Aber weil sie allein ist, hat sie kein System, in dem sie sich bewegen kann." Die Rechte habe in der um Berlusconi konstruierten PDL keine richtige Vertretung mehr, weil sie keinen Übergang findet weg von der Ein-Personen-Partei. Der Raum, den die Parteien nicht füllen, biete Platz für Extreme. Nicht unbedingt links oder rechts anzusiedeln, sondern in einer Haltung gegen Institutionen, Staat und Parteien.

Das gehöre zum Preis des Berlusconismus, sagt Prospero. Ein bis zwei Generationen sind mit ihm aufgewachsen, viele hätten den Niedergang der Staatsinstitutionen und Zweifel an ihnen aufgesogen. Oft würden die Jungen gar keine richtigen Parteien kennen, "nur Bossi und Berlusconi".

Ein Muster, in das jetzt Grillo passe. Der konserviere die Krise der Politik, die Berlusconis Irrationalismus angerichtet habe. Statt organisierter Politik gedeihe politischer Irrationalismus. Zu Grillos Erfolg trage zudem bei, dass Italien eine nicht in Wahlen entstandene, parteilose Regierung hat.

Auf den Heilsglauben ans Internet bei Grillo-Anhängern ist der Politologe nicht gut zu sprechen. Erst ging es um Demokratie via Internet, sagt er, inzwischen "ist das Instrument zur Ideologie geworden. Wahnsinn ist das."

Die Rettung? Parteien!

Anfangs seien Grillo durchaus Leute aus der denkenden Mittelschicht gefolgt, jetzt sei durch die Medien die nichtdenkende Mittelschicht auf die Fünf-Sterne-Bewegung aufmerksam geworden. Die würden dem Populismus und der Anti-Parteien-Strömung zunehmend Aufmerksamkeit widmen, weil es keine wirklich starken liberal-demokratischen Traditionen gebe - weder in den Medien noch in Italiens "verantwortungslosen Eliten".

Zwar räumt der Politologe ein, dass auf lokalem Niveau manches mit dem "Movimento 5 Stelle" funktionieren kann. Aber für die nationale und internationale Ebene reiche das nicht. Prospero klingt besorgt: "Italien riskiert drei Krisen zugleich - wirtschaftlich, sozial und politisch." In der Politik brauche es Parteien, "die einzige Rettung wären jetzt starke, funktionierende, gemäßigte Parteien."

Fragt man vor dem Abgeordnetenhaus in Rom die Freunde von der Fünf-Sterne-Bewegung aus Ostia oder den Maler vor dem Abgeordnetenhaus in Rom, wie ihre Nichtpolitiker im Parlament denn ohne Partei organisiert wären, meinen sie, es werde sich schon eine Form finden. "Da muss man vielleicht noch mal nachdenken", sagt Massimo Lazzari.

Und auf welcher Basis sollen die Abgeordneten entscheiden, wenn es nicht um Verkehrsampeln geht, sondern den Euro oder vielleicht Militäreinsätze? Da bleibt er ganz entspannt: Die Themen würden ja vom Volk der fünf Sterne diskutiert, und so lerne der Abgeordnete, was das Beste ist - aus den Foren im Internet.

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Quelle:
SZ vom 16.07.2012
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