Fünf Jahre Benedikt XVI.:Der Unverstandene

Als Joseph Ratzinger im April 2005 zum Papst gewählt wurde, bejubelten Gläubige weltweit ihren "Benedetto Superstar". Fünf Jahre später stecken Benedikt XVI. und seine Kirche in einer schweren Krise. SZ-Autoren über die wichtigsten und die umstrittensten Stationen seines Pontifikats.

2005: Das erste Jahr

2006: Das zweite Jahr

Von Matthias Drobinski

Der neue Papst ist da, die Jugend der Welt kommt nach Köln - es sind glückliche Tage für die katholische Kirche. 800.000 strömen auf das Marienfeld, die untergehende Sonne rötet den Abendhimmel und beleuchtet eine Wolkensäule am Horizont; 7000 Kerzen brennen am Papsthügel, ungezählte in der Menge. Hunderttausende junge Christen werden diese Nacht, in Schlafsäcke gehüllt, wachen und beten, singen und reden und manche sich auch küssen und umarmen.

Am Sonntag feiern dann mehr als eine Million Menschen zum Ende des Weltjugendtages die heilige Messe mit dem Papst. Sie stellen sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu sehen, und sei es nur als weit entfernten weißen Punkt: Joseph Ratzinger, der gestern noch als harter Glaubenswächter galt und heute der schüchtern lächelnde Papst Benedikt XVI. ist.

Es sind jene Monate, in denen Philosophen, Theologen, Journalisten über die Renaissance des Religiösen sinnen und staunend beobachten, wie viele junge Menschen erst nach Rom pilgern, um vom aufgebahrten Papst Johannes PaulII. Abschied zu nehmen, und dann nach Köln kommen, um den neuen Papst in Sprechchören zu feiern: Benedetto Superstar.

Und der scheue Gelehrte fährt mit dem Schiff an der jubelnden Menge vorbei, mit dem Papamobil durch die Stadt, den Kölner Kardinal Joachim Meisner zu seinen Füßen, übers Marienfeld, wo die Menge vor Begeisterung die Sicherheitssperren durchbricht. Was der neue Papst den Besuchern des Weltjugendtags sagt, ist so freundlich wie abstrakt, weder aufregend noch aufrüttelnd, fast alles liest er vom Manuskript ab.

Aber das macht nichts, es zählt die Absicht, es wirkt der Zauber des Anfangs, mit Tränen in den Augen knien da Jugendliche nieder, die sonst vielleicht ihre Probleme mit der kirchlichen Sexualmoral haben mögen - in diesem Augenblick zählt das nicht.

Auch nicht, dass Papst Benedikt bei seinen Treffen mit evangelischen und orthodoxen Kirchenvertretern und dem Besuch der Synagoge in Köln wenig Neues sagt - vor allem der Freitagmittag in der Synagoge bewegt alle, die dabei sind. Joseph Ratzinger, so heißt es damals bei den Papst-Beobachtern, wachse in eine neue Rolle, eine neue Funktion hinein: Als Präfekt der Glaubenskongregation musste er Grenzen setzen, kontrollieren und auch maßregeln; nun, als Papst, könne er sich öffnen, von den Möglichkeiten des Glaubens reden und seiner Schönheit, von der Freiheit der Kinder Gottes.

Jung und begeistert

Vor seiner Wahl zum Papst hat Joseph Ratzinger im Petersdom die "Diktatur des Relativismus" gegeißelt, jetzt, in Köln, predigt er über den "Sieg der Liebe über den Hass", ermuntert die Jugendlichen, ihren Glauben zu leben, gegen die "merkwürdige Gottvergessenheit" der Zeit. Er will erkennbar ein Papst sein, der ermuntert, Mut macht, Freude am Glauben vermitteln will.

Die Kirche ist in diesen Tagen jung und begeistert, es macht nichts, dass es frühmorgens vor dem Abschlussgottesdienst zehn Grad kühl ist und den Helfern die goldbedampften Wärmedecken ausgehen - wer keine bekommt, tanzt halt die Nacht mit den Afrikanern durch und bleibt auf diese Weise warm. Papst Benedikt XVI. wirkt an diesem Morgen müde - das Programm war hart für einen 78-Jährigen. Aber er wirkt froh, er lächelt immer wieder. Selbst als der Schlagzeuger der Musikgruppe, die hier spielt, aus dem Kirchenlied "Großer Gott wir loben dich" eine Art schnellen Walzer macht.

2006: Das zweite Jahr

Von Matthias Drobinski

Oft merkt man erst später, welche Bedeutung diese oder jene Stunde hatte, erst, wenn aus dem feinen, kaum wahrnehmbaren Riss in der Mauer der klaffende Spalt geworden ist. Der Riss, der sich ädernd und vertiefend durch die weitere Amtszeit Benedikt XVI. ziehen soll, entsteht am 12. September 2006 in feierlichster Atmosphäre.

Der Theologieprofessor Joseph Ratzinger besucht als Papst die Universität Regensburg, an der er gelehrt hat, sie haben ihm einen Rokokostuhl in Rot und Gold vor das Betongebirge des Audimax gestellt, die 1500 Wissenschaftler und Ehrengäste sind gerührt: Der Papst ist da, dem auf seiner Bayernreise so viel Zuneigung zuteil wird. Nun soll er die Summe seiner Theologie vortragen.

Und dann zitiert Papst Benedikt den byzantinischen Kaiser Manuel II.: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." Beiläufig kommt der Satz daher, als Zitat zur Illustration der Aussage, dass eine Bekehrung mit Gewalt nicht dem Willen Gottes entsprechen kann.

Die Sprengkraft eines Satzes

Kaum einer im großen Saal ahnt die Sprengkraft des Satzes in der muslimischen Welt. Kaum einer benennt auch die Sprengkraft, die in der These des Papstes liegt: Die Reformation und die Aufklärung haben eine gefährliche Subjektivierung des Glaubens mit sich gebracht, letztlich ist nur der objektivierbare - katholische - Glaube wahr und aus dieser Wahrheit heraus fähig zum Dialog der Religionen. Die Professoren und Honoratioren stehen nach der Vorlesung da und raunen, wie klug und gebildet dies gewesen sei, wenn auch vielleicht doch ein wenig theoretisch.

Später sitzen die ausgewählten Journalisten, die Benedikt im päpstlichen Tross begleiten dürfen, müde vom Ritt durch die Geistesgeschichte im Bus, diskutieren, ob Joseph Ratzinger nun Immanuel Kant unrecht getan hat oder nicht. Nur Mario Politi, der erfahrene Korrespondent der römischen La Repubblica, ahnt, was passieren wird: "Das dürfte Ärger mit den Muslimen geben", sagt er.

Der Ärger kommt, als der Papst auf dem Heimflug nach Rom ist, mitten in die herbstgoldene Glückseligkeit in München und Marktl, Regensburg und Altötting. Papstpuppen brennen von Pakistan bis Ägypten, eine Nonne wird von einem muslimischen Fanatiker erstochen. Die Wut ist ungerecht: Benedikt hat sich den Satz des byzantinischen Kaisers überhaupt nicht zu eigen gemacht, und hätte ihm einer gesagt, was dieses Zitat auslösen kann, er hätte es nicht verwendet.

Dies aber hat ihm keiner gesagt. Und doch war dies keine zufällige Panne: Der Papst hatte schon sagen wollen, wo sich der christliche Glaube an einen vernünftigen Gott von der muslimische Vorstellung von einem Gott, der sich den menschlichen Vernunftkategorien entzieht, unterscheidet. Und auch, welche der beiden Optionen er besser findet.

Der Streit wird beigelegt, 138 muslimische Gelehrte schreiben an den Papst, Benedikt erklärt ihnen, dass er keinesfalls den Islam habe herabsetzen wollen, Ruhe kehrt wieder ein. Doch es ist etwas passiert in diesen warmen bayerischen Herbsttagen des Jahres 2006. In München und Marktl, Regensburg und Altötting feiern die Gläubigen noch bewegt Benedetto, den Superstar. Und doch hat sich der erste Riss aufgetan, ist der Weg beschritten hin zu Benedikt, dem Unverstandenen.

2007: Das dritte Jahr

Von Peter Burghardt

Zur Sambamusik rollt das Papamobil ins Fußballstadion Pacaembu von São Paulo. Papst Benedikt XVI. besucht Brasilien, das größte katholische Land der Erde: Annähernd die Hälfte der 1,1 Milliarden Katholiken leben in Lateinamerika, fast 140Millionen davon allein in Brasilien. Sie aber laufen derzeit scharenweise zu den evangelischen Freikirchen über.

Für den Papst wird der Besuch in der wankenden Bastion deshalb zum großen Test: Kann er den Exodus der Gläubigen stoppen? Finden ihn die Brasilianer so sympathisch wie seinen Vorgänger Johannes Paul II.? 40.000 vornehmlich jüngere Menschen haben sich in der Arena versammelt - weniger als erhofft. Nach den Begrüßungsrednern treten Tänzer auf. Akrobaten interpretieren Capoeira, den Kampftanz der Sklaven aus Afrika. Indianische Ureinwohner tragen Federschmuck.

Papa Bento XVI., wie er auf Portugiesisch heißt, sieht freundlich zu, aber seine Welt und die der Gastgeber finden nur schwer zusammen. Der spröde Bayer versucht volksnah zu wirken - in seiner Residenz tritt er zwischendurch mehrmals ans Fenster. Er lässt sich sogar umarmen und zeigt für sein Alter gute Kondition. Er will "dem Kontinent neuen Schwung und missionarischen Impuls#2 geben.

Ein konservativer Missionar indes passt nicht zum unverkrampften Lebensstil vieler Brasilianer. Schon im Flugzeug hatte der Pontifex mitgeteilt, man müsse Politiker exkommunizieren, die Abtreibungen legalisieren wollen. Später spricht er von Treue und Keuschheit, dabei sind Kondome in São Paulo oder Rio Standard, die Zahl der Aids-Infektionen konnte so erheblich gesenkt werden.

Linke Ideologie und indigene Religionen tadelt er auch, obwohl sein Gastgeber, Brasiliens Präsident Lula da Silva, beides fördert. Eine Zeitung stänkert nach der Abreise, evangelikale Großveranstaltungen, die Schwulenparade und die Rolling Stones hätten mehr Publikum angezogen als der Papst.

2008: Das vierte Jahr

Von Christian Wernicke

Am Tag davor wirkte alles noch so harmonisch: Washingtons gleißende Frühlingssonne hatte Benedikt XVI. gewärmt, als er neben Präsident George W. Bush auf dem Balkon des Weißen Hauses stand. Amerika inszenierte einen donnernden Empfang für den Staatsgast, samt 21 Salutschüssen. Unten im Garten stimmten 9000 erlesene Besucher ein Ständchen an: "Happy birthday, holy father!" Es war der 16. April 2008, der Pontifex feierte seinen 81.Geburtstag. Und lächelte.

Jetzt aber, am Tag danach, ist es kalt. Düster wirkt die enge Kapelle der päpstlichen Nuntiatur, wo an diesem Nachmittag fünf Laien in der vordersten Kirchenbank hocken. Wie Geschworene zu Gericht wirken sie, und als der Papst erscheint und direkt ihnen gegenüber Platz nimmt, da will es einem Augenzeugen scheinen, als "sei der Heilige Vater der Angeklagte". Ein Bischof überreicht Benedikt ein handgefertigtes Buch mit mehr als 1500 Namen - allesamt Opfer sexueller Übergriffe von katholischen Priestern in der Diözese Boston. Der Papst stößt einen lauten Seufzer aus, er weiß: Fünf der Opfer sitzen vor ihm.

Ernst und demütig

Einer von ihnen ist Olan Horne. Der 48-jährige Mann hat die katholische Kirche längst verlassen, aus Zorn und Verzweiflung über all das, was ihm als kleinem Buben im Beichtstuhl widerfahren ist. Und doch ist es Horne, der jetzt seinen Kopf senkt, hinüber zum Papst geht, zu seinen fünf Minuten privater Audienz: "Ich hab's nicht geglaubt, bis ich auf seine kleinen, roten Schuhe blickte." Horne schaut auf, da der Papst seine Hände ergreift - und er blickt direkt in die müden Augen des Kirchenoberhaupts: "Er sah aus wie ein Großvater. Sehr ernst, sehr demütig."

Ja, Olan Horne gewinnt in diesem Augenblick seine Glauben daran zurück, dass es Gerechtigkeit gibt. Und daran, dass dieser Papst richten wird, was seine Vorgänger versäumten: "Da läutete eine Glocke, das kann niemand mehr ungeschehen machen." Der bullige Mann im schneeweißen Hemd überreicht dem Papst einige Fotos, die ihn als achtjährigen Jungen zeigen: Zerbrechlich, verschüchtert - vergewaltigt. Auf diese Fotos eines kleinen, unschuldigen Jungen möge der Papst bitteschön ein Auge werfen, sobald er in Rom über den nächsten pädophilen Missetäter im Priestergewand zu entscheiden habe. Benedikt nickt. Und schweigt.

Ganz ähnlich erlebt Bernie McDaid seine fünf Minuten mit dem Papst. Sieben Jahre zuvor war McDaid nach Rom gereist, um eine Audienz bei Johannes PaulII. zu erzwingen. Vergeblich. Jetzt aber, da Karol Wojtylas früherer Inquisitor ihn anhört, ist McDaid von seinen Tränen überwältigt. "Heiliger Vater, sie müssen wissen, dass ein Krebs in ihrer Herde wütet." Wieder nickt Benedikt, wieder verspricht er wortlos, schärfer vorzugehen gegen Sex-Priester und deren Vertrauensbruch.

Und heute, zwei Jahre später? Olan Horne glaubt, da neue Skandale den Vatikan erschüttern, man müsse Benedikts Fußsohlen "mehr denn je ans Feuer halten". Noch unduldsamer reagiert Bernie McDaid. Die ganze Begegnung 2008 sei offenbar nur "ein PR-Manöver gewesen", sagt der inzwischen 54-jährige Mann. "Nie geht es um die Kinder, es geht immer nur um die Kirche." Man könnte auch sagen: Bernie McDaid fühlt sich abermals missbraucht, bloß auf andere Weise. Im Herbst will er erneut nach Rom reisen.

2009: Das fünfte Jahr

Von Stefan Ulrich

Es ist ein linder Frühlingsabend. Doch der zierliche Herr in weißen Gewändern, der da die Außenmauer von Jad Vaschem entlangschleicht, scheint nichts von Blütenpracht und Vogelgezwitscher zu bemerken. Zögerlich betritt er die Gedenkstätte für die sechs Millionen ermordeten Juden. Vorsichtig steigt er die Stufen in die "Halle der Erinnerung" mit ihren Wänden aus klobigen Steinbrocken hinab.

Nun steht er am Rednerpult vor der ewigen Flamme. Er blickt mit versteinertem Gesicht und starren Augen auf sein Manuskript. Dann beginnt er, im ungeliebten Englisch, zu sprechen. Mühsam, leise, monoton kommen die Worte über seine Lippen. Dieser Besuch im Nahen Osten ist seine schwerste Reise. Nun soll er sein belastetes Verhältnis zu den Juden und Muslimen bereinigen sowie zum Frieden zwischen Völkern und Religionen beitragen.

Das fordert alle Welt von ihm. Die Minuten in Jad Vaschem sind die wichtigsten dieser Pilgerfahrt. Sein Pontifikat wird daran gemessen. Wie viel Geschichte lastet jetzt auf ihm, hier in der Holocaust-Gedenkstätte: auf Joseph Ratzinger, der einst - wenn auch unfreiwillig - der Hitlerjugend und der Wehrmacht angehörte; und auf dem Papst Benedikt XVI., dessen Kirche in der Geschichte so viele Verbrechen an den Juden beging. Wie soll er sprechen? Als Mensch, als Deutscher, als Pontifex?

Joseph Ratzinger wählt die Rolle, die er am besten beherrscht - die des Theologen. Er erläutert, das Wort "Jad" bedeute "Denkmal", das Wort "Schem" stehe für "Name". Daraus leitet er ab, Gott werde keinen einzigen Namen eines Holocaust-Opfers vergessen. Er verspricht, seine Kirche werde dafür beten und arbeiten, dass nie wieder Hass die Menschen regiere. Und er fordert: "Mögen die Namen dieser Opfer niemals ausgelöscht werden! Mögen ihre Leiden niemals geleugnet, heruntergespielt oder vergessen werden."

Das ist eine klare Antwort an Holocaust-Leugner wie den Pius-Bruder Williamson. Dennoch kommt die Rede schlecht an in Israel. Emotionsarm, kühl und abstrakt sei der Papst gewesen. "Warum hat er nicht gesagt, dass die Deutschen den Holocaust begangen haben?", fragt eine junge Frau auf der Straße in Jerusalem. "Warum hat er uns nicht gezeigt, dass ihn der Mord an Millionen Juden persönlich schmerzt?"

Die Stimmung droht zu kippen. Dabei hatte Benedikts Morgenlandfahrt prächtig begonnen. In Jordanien empfing ihn König Abdullah wie einen Freund. Die Israeli nehmen ihn zurückhaltender auf. Zudem erschöpft das Protokoll den betagten Pontifex. Wie eine gehetzte Friedenstaube eilt der Mann zwischen Moscheen, Kirchen, Monumenten, Patriarchen, Oberrabbinern und dem Großmufti hin und her. Gerade noch trat er barfüßig in den Felsendom auf dem Tempelberg, nun steht er unten an der Klagemauer, um einen Zettel mit einem Gebet zwischen die Steine zu stecken. Angespannt versucht er Fehltritte zu vermeiden.

Leichter hat es Benedikt im Westjordanland. Auf dem Krippenplatz in Bethlehem und im Flüchtlingslager Aida umjubeln ihn die Leute. Der Papst revanchiert sich: Er unterstützt einen Palästinenserstaat und zeigt Mitgefühl für die Leiden der von Israel ummauerten Palästinenser. Zugleich ermahnt er sie, von der Gewalt zu lassen. Es ist der stärkste Teil seiner Reise. Drüben, in Israel, aber heißt es, soviel Anteilnahme wie für die Palästinenser hätten sich auch die Juden gewünscht.

So hinterlässt der Papst gemischte Gefühle, als er nach acht Tagen ins Flugzeug steigt. Sein letztes Wort im Heiligen Land lautet: "Schalom".

2010: Das sechste Jahr

Von Andrea Bachstein und Matthias Drobinski

Wie es ihm geht, dem Papst? Müde und zerbrechlich sah er aus zu Ostern; gealtert - mit nun 83 Jahren absolviert er noch ein enormes Programm, trägt die Last, eine Weltkirche zu leiten. Insider sagen, die Missbrauchsfälle und die Vorwürfe, er habe sich selbst falsch verhalten, träfen ihn sehr.

Seit Jahren tritt er für Strenge im Umgang mit Priestern ein, die Kindern und Jugendlichen sexuelle Gewalt antun, nun fühlt er sich offenbar unverstanden, bedrängt, in die falsche Ecke gestellt: Spricht er im Brief an Irlands Katholiken von Scham, kommt als Antwort, dies genüge nicht; spricht er von Buße, heißt es, nun sei es zu spät - eine Spirale, der er kaum noch entkommen kann.

Es gibt in diesen Tagen aber auch noch den anderen, den lächelnden Papst. Am Mittwoch ließ er sich mit dem Papamobil durch die Menge fahren, 16.000 Menschen sind zur Generalaudienz gekommen, unter ihnen viele junge Pilger, die "Be-ne-det-to" skandierten. Es heißt, der intellektuelle Papst habe Gefallen daran gefunden, Menschen aller Art zu begegnen, vor allem aber solchen, von denen er keine Feindseligkeit zu erwarten hat, die sich ihm zuneigen. Vor drei Wochen hat er in Rom Jugendliche getroffen, im Februar hat er ein Obdachlosenasyl der Caritas am Hauptbahnhof der Ewigen Stadt besucht, als Seelsorger, dessen Körpersprache nichts Herrisches hat, der immer noch scheu und leise zu den Menschen tritt.

Im Sommer wird Benedikt XVI. das erste Mal seinen Urlaub ganz in der Residenz Castel Gandolfo verbringen und nicht wie in früheren Jahren ins Gebirge fahren. Seine Körperkraft nimmt ab, er muss sich zumindest in den Ferien schonen, stehen doch die nächsten Reisen nach Malta und Zypern bevor.

Und am Donnerstag sprach er aus, was viele von ihm schon längst erwartet haben: Es ist Zeit für Reue und Buße in der Kirche, für Reinigung und Verwandlung. Der Gelehrte auf dem Stuhl Petri - eigentlich wollte er als Theologenpapst in Erinnerung bleiben, der Grundsätzliches und Bleibendes über Glaube, Hoffnung und Liebe gesagt hat.

Nun sieht es so aus, als würden die Vergehen von Priestern zur wahren Prüfung Benedikts werden - es geht schlicht um die Frage nach der Wandlungsfähigkeit einer Kirche, in der geweihte Männer Verbrechen begingen.

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