Fünf Jahre arabischer Aufstand:Auf die Revolution folgen fünf Jahre Ernüchterung

Der Arabische Frühling in Ägypten hat gezeigt: Die Eins-zu-eins-Übernahme westlicher Polit-Blaupausen funktioniert nicht. Der Nahe Osten wird sein eigenes Demokratiemodell entwickeln müssen.

Von Tomas Avenarius

Wohl keiner wird den Ägyptern vorwerfen, dass sie es nicht versucht hätten: Gut zwei Wochen hatten Männer und Frauen, Junge und Ältere, Studierte und von Bildung und Wohlstand weit weniger Verwöhnte Stand gehalten. Eingekesselt von der Polizei und die kam mit Schlagstock, Tränengas, scharfer Munition. Die Tahrir-Ägypter haben den verhassten Hosni Mubarak vor fünf Jahren dennoch gestürzt und das fast im Handumdrehen. Der Tahrir-Aufstand mag aus der historischen Minimaldistanz betrachtet ein riesiger Fehlschlag gewesen sein, nach dem greisen Pharao Mubarak regiert heute mit Präsident Sisi ein Autokrat in seinen besten Jahren. Aber der Tahrir war auch Lehrstunde in revolutionärer Leichtigkeit. Für ein paar Wochen schien es, als lernte die Hoffnung auf dem Tahrir das Fliegen.

Was danach kam, war keine Lehrstunde. Libyen versank im Nach-Gaddafi-Chaos, heute zeigt sich der nordafrikanische Ölstaat bar jeder Staatlichkeit, dafür mit sehr viel Islamischem Staat und anderen Gotteskriegern. Syrien? Albtraum der Nachbarstaaten, der auch die Macher in Washington, Moskau, Brüssel, Berlin plagt. Vier Jahre Bürgerkrieg, Flüchtlinge, Giftgas, IS, am Himmel die Jets der Russen, Amerikaner, Franzosen, Briten, dazwischen die Tornado-Deutschen. Nach Jemen und Bahrain schaut keiner mehr, obwohl es wirklich Grund gäbe.

Der Arabische Frühling hat den Nahen Osten, dieses über Jahrzehnte von Diktatoren zusammengeklammerte Regionalsystem, zerbrochen. Herrscher sind gestürzt oder angezählt, Grenzen werden infrage gestellt. Ethnien erwachen, in den großen und kleinen Kriegen gibt es keine Deadline für die letzte Schlacht. Alle Gewissheiten der Amerikaner, Europäer und Israelis sind Geschichte, Stichwort Stabilität. Mit Ben Ali, Mubarak und selbst Assad konnten sie leben. Sie wussten, was sie an denen hatten. Über das, was missfiel - Menschenrechte, Armut, Frauenrechte - vergossen die Außenminister ihre Krokodilstränen.

Für die Zeit nach dem Nein hatten die Aufständischen keinen Plan

Der Arabische Scheinfrühling war eine Nein-Revolution. Nein zu Tunesiens Ben Ali, noch mehr Nein zu Ägyptens Mubarak und den anderen Despoten zwischen Tripolis und Sanaa. Für die Zeit nach dem Nein aber hatte keiner der Aufständischen einen Plan - weder auf dem Tahrir-Platz noch in Damaskus oder Bengasi. Die einen fingen nach dem Mubarak-Sturz das post-revolutionäre Chillen an, Talkshow-Getingel als finanziell lohnende Selbstvergewisserung. Die anderen liefen den betenden Rattenfängern nach. Doch auch die Islamisten waren komplett planfrei. In Ägypten brauchten sie ein Jahr, um in Regierung und Parlament ihre Inkompetenz zu beweisen und dem reaktionären Mubarak-Ziehsohn Sisi ins Putsch-Messer zu laufen. Und in Syrien? Erhoben sie den Dschihad zum Lebensinhalt, kämpfen nun Monty-Python-mäßig so viele Fraktionen an so vielen Fronten, dass die meisten nicht mehr wissen, wofür sie mit ihrem Leben eigentlich einstehen. Der arabische Aufstand hat gezeigt, dass Freiheit, Rechtsstaat und Menschenwürde Schlagwörter bleiben, wenn weder Persönlichkeiten noch Programme dafür einstehen.

Die Eins-zu-eins-Übernahme westlicher Denkmodelle und Blaupausen funktioniert nicht. Der Nahe Osten wird sein eigenes Demokratiemodell entwickeln müssen, bei dem sich unveräußerliche Standards der Menschenrechte und der Demokratie mit dem kulturellen Selbstverständnis des Orients versöhnen, ohne in die Islamisten-Falle zu laufen. Schwierig? Ja, sehr. Aber Alternativen gibt es keine und die Zeit läuft ab. In Tunesien werfen Kohorten arbeitsloser Jugendlicher schon wieder Steine auf die Polizei; es ist fast schon so wie vor fünf Jahren. Was dann kommt, sollten sowohl Autokraten als auch Politiker im Rest der Welt gelernt haben.

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