Fünf Jahre Annexion der Krim:Wirtschaftliches Desaster für Russland

Birds fly past a road-and-rail bridge, which is constructed to connect the Russian mainland with the Crimean peninsula, at sunrise in the Kerch Strait, Crimea

Die umstrittene und teure Kertsch-Brücke, die Russland mit der Halbinsel Krim verbindet.

(Foto: REUTERS)
  • Früher machte die Krim Überschüsse - fünf Jahre nach der Annexion muss Moskau heute fast zwei Drittel des Haushaltes bezahlen, dazu Milliarden für die Infrastruktur.
  • Für den Kreml ist die Krim dadurch zur teuersten Region Russlands geworden.
  • Trinkwasserversorgung, Sanktionen und eine Klagewelle: Auf Russland könnten weitere hohe Kosten zukommen.

Von Silke Bigalke und Florian Hassel

Jahrzehntelang hat Andrej Klimenko überlegt, wie die Wirtschaft der Krim am besten zu fördern sei. Heute zerbricht sich der 59 Jahre alte Ingenieur den Kopf, "wie wir Ukrainer die Wirtschaft der Krim am besten zerstören können". Dabei hilft Klimenko seine Ortskenntnis. Jahrzehntelang entwarf er als Wirtschaftsberater in Jalta Konzepte für Häfen oder einen Ausbau der Infrastruktur. Als Russland die Krim vor fünf Jahren annektierte, floh Klimenko. Seitdem dokumentiert er mit dem Infodienst Black Sea News das Krim-Geschehen und macht Vorschläge, "wie wir die Kosten für die Besatzer in die Höhe treiben können".

Das ist den Ukrainern gut gelungen. Früher machte die Krim Überschüsse - heute muss Moskau fast zwei Drittel des Haushaltes der Krim bezahlen, dazu Milliarden für die Infrastruktur. Nachdem die Ukraine Stromlieferungen kappte, musste der Kreml neue Leitungen legen und Kraftwerke bauen. "Allein dies hat Moskau gut eine Milliarde Dollar gekostet", sagt Klimenko. Die neue Brücke über die Kertsch-Meerenge: mehr als drei Milliarden Euro. Offiziell plant Moskau, in Infrastruktur und Tourismus auf der Krim etwa elf Milliarden Euro zu investieren, verteilt über den Zeitraum seit 2015 bis Ende 2022. Klimenko jedoch hält viele Angaben Moskaus für geschönt: etwa die angeblich sechs Millionen Krim-Touristen jährlich. So seien 2017 gerade mal 1,5 Millionen Gäste gekommen.

Und das ist längst nicht alles. Die Kosten für die 600 000 Rentner unter den 2,3 Millionen Krim-Bewohnern belaufen sich laut der Politikwissenschaftlerin Jewgenija Gorjunowa auf rund 5,4 Milliarden Euro in den letzten vier Jahren. "Die Krim ist heute für den Kreml die teuerste Region Russlands - sie kommt ihn noch teurer als der Kaukasus", sagt Klimenko.

Enteignete Unternehmen haben Russland vor Schiedsgerichten verklagt

Zu den direkten Kosten der Annexion kommen die EU- und US-Sanktionen gegen russische Firmen, Amtsträger und Geschäftsleute und milliardenschwere Schadensersatzklagen. Zwar ist die Krim nicht der einzige Grund für die Sanktionen und es ist schwer messbar, wie stark sie Russland tatsächlich treffen. Die Wirtschaftsagentur Bloomberg überschlug, Russlands Wirtschaft sei heute zehn Prozent kleiner, als man vor dem Konflikt auf der Krim und in der Ostukraine erwarten konnte. Gewiss, Russland leidet auch unter dem gesunkenen Ölpreis. Trotzdem schätzt Bloomberg, dass die Sanktionen Moskau in den vergangenen vier Jahren bis zu sechs Prozent Wirtschaftsleistung gekostet haben. Klimenko kalkuliert die Verluste auf bis zu 20 Milliarden Euro. Jedes Jahr.

Zudem ist der Wert des Rubel gesunken: Die Fünf-Rubel-Münzen mit der Krim-Brücke, die Russlands Zentralbank anlässlich des Jubiläums prägte, wären vor der Krim-Annexion mehr als elf Cent wert gewesen - heute sind es weniger als sieben Cent. Der schwache Rubel hilft Unternehmen, die Waren gegen Dollar ausführen, aber in der Heimat in Rubel zahlen. Russlands Bevölkerung aber leidet, denn sie erhält Löhne und Renten natürlich weiter in Rubel.

Russland hat die Zeche für die Krim damit längst nicht beglichen: Der Kreml hat auf der Krim rund 4000 ukrainische Unternehmen enteignet, und die größten von ihnen haben Russland vor internationalen Schiedsgerichten bereits auf jeweils milliardenschwere Entschädigung verklagt. Die ersten Entscheidungen fielen sämtlich zuungunsten Moskaus aus.

Dem Kiewer Ex-Diplomaten Bohdan Jaremenko geht all dies nicht weit genug. "Spätestens seit Moskaus Aggression im Asowschen Meer ist es Zeit für neue Sanktionen: etwa gegen russische Häfen am Schwarzen Meer. Oder gegen russische Fluglinien, die ihre Flugzeuge trotz Sanktionen auf die Krim und weiter in EU-Länder oder in die USA fliegen lassen", sagt Jeremenko. "Viele dieser Flugzeuge sind geleast - Airbus und Boeing könnten die Leasingverträge kündigen." Doch bisher finden solche Ideen keinen Widerhall in Washington, Brüssel oder Berlin.

Der Ukraine bleibt nur die Politik der Nadelstiche

Fraglich ist auch, wann und wie Schiedsgerichtsurteile umgesetzt werden, die Moskau oft nicht anerkennt. Der ukrainische Gaskonzern Naftogaz verklagte Russland wegen der Enteignung auf der Krim auf Schadenersatz von fünf Milliarden Dollar. Ein Schiedsgericht in Den Haag gab den Ukrainern jetzt recht - die Höhe der Entschädigung wird noch festgelegt. Für den Fall, dass Moskau sich zu zahlen weigert, könnte die Ukraine russisches Eigentum im Ausland beschlagnahmen lassen. Doch Ex-Diplomat Jaremenko ist skeptisch. "Die nächsten 20 bis 30 Jahre hängt Europa noch von russischem Erdgas ab. Viele Länder werden sich hüten, etwa Eigentum von Gazprom zu beschlagnahmen."

Auch mit Kiew ist Jaremenko unzufrieden. "Sicher, es mag Jahrzehnte dauern, bis wir die Krim zurückgewinnen - aber dafür brauchen wir erst einmal eine Strategie. Fünf Jahre nach der Besetzung haben wir dazu kein Gesetz, kein Dokument, nicht einmal eine echte Diskussion." Als Jaremenko kürzlich im laufenden Präsidentschaftswahlkampf als Experte mit Julia Timoschenko und anderen Kandidaten bei einem Fernsehsender zusammensaß, "sprach in zwei Stunden Sendung kein Kandidat das Thema Krim an", sagt er.

Das ist aus Kandidatensicht nachvollziehbar: Angesichts der militärischen Übermacht Russlands bleibt nur die Politik der wirtschaftlichen Nadelstiche. Auch die ist nicht ohne Risiko. Seit die Ukraine nach der Besetzung den Cherson-Kanal sperrte, der Wasser des Dnjepr-Stroms über 400 Kilometer auf die Krim brachte, fehlen dort 85 Prozent des zuvor verbrauchten Wassers, stellte Russlands Nationaler Sicherheitsberater Nikolai Patruschew im Sommer 2017 fest.

Heute hat die Krim zwar noch genug Trinkwasser, doch viel zu wenig für Landwirtschaft und Industrie. Theoretisch könnte Russland Anlagen zur Meerwasserentsalzung aufstellen. Doch die Kosten dafür schätzte Russlands früherer Vize-Energieminister Wladimir Milow auf mindestens fünf Milliarden Dollar. Putins früherer Wirtschaftsberater Andrej Illarionow warnte, Russland könne weitere Teile der Ukraine erobern, um die Wasserversorgung der Krim zu sichern. "Die Gefahr besteht zweifellos", sagt auch Analyst Klimenko, "umso mehr, als Putin die Militarisierung der Krim weiter vorantreibt".

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