Führungswechsel in der SPD:Jeder auf seinem Platz

Am Tag eins nach der Neuordnung der SPD ist klar, warum Kurt Beck in ihrer vordersten Reihe nicht bleiben konnte. Spätestens jetzt wird auch deutlich, dass von Münteferings Rückkehr nicht alle begeistert sind.

Nico Fried, Susanne Höll und Christoph Hickmann

Wieder wird es spät. Wieder braucht die SPD für die Bewältigung der Ereignisse länger als sie sich selbst zunächst Zeit gegeben hat. Mit 45 Minuten Verspätung kommen Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier aus der Vorstandssitzung an diesem Montag.

Franz M?ring, Frank-Walter Steinmeier, dpa

Seite an Seite: der designierte SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering und der designierte SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier.

(Foto: Foto: dpa)

Für Müntefering ist es die Rückkehr auf die Berliner Bühne, nicht einmal ein Jahr nach seinem Abschied aus privaten Gründen. Diese Bühne steht im Willy-Brandt-Haus gegenüber von dem Ort, an dem Müntefering 2005 schon seinen Rücktritt als Parteichef erklärt hat. Müntefering ist oft gegangen in den vergangenen Jahren.

Jetzt ist er wieder da. Er lächelt. Der Kanzlerkandidat auch. "Ich freue mich, dass Franz Müntefering wieder bei uns ist", sagt Steinmeier und referiert kurz noch zur eigenen Person, dass er "viel, viel Unterstützung erfahren" habe. Zeugen der Vorstandssitzung bestätigen das.

Dann sagt Franz Müntefering, er freue sich, "mal wieder hier im Willy-Brandt-Haus zu stehen". Interessanterweise kommt er von sich aus sehr schnell zum heikelsten Punkt, sagt aber dann, über sein Verhältnis zu Kurt Beck wolle er nicht sprechen. Aber er werde den Kontakt zu ihm suchen. Das dürfte schwierig werden. Doch dazu später mehr.

Abgang mit Beigeschmack

Tag eins nach dem Rücktritt von Kurt Beck, der Tag, an dem das Wort "Geschlossenheit" in der SPD mal wieder wie eine Autosuggestion aus vielen Mündern kommt. Es ist aber auch der Tag, an dem alle noch einmal eine Nacht Zeit hatten, über das nachzudenken, was am Sonntag auf der Klausur der Parteispitze am Schwielowsee geschehen ist.

Ja, sie wollen nach vorne schauen, natürlich, soweit die Rhetorik. Das sagen vor allem jene, deren Freude über die neue Konstellation an der Parteispitze das Bedauern über den Rücktritt Becks deutlich überwiegt, auch wenn sie es nie öffentlich zugeben würden. Es gibt aber auch jene, die von der Rückkehr Münteferings nicht so begeistert sind - auch weil sie eine Intrige gegen Beck vermuten und Müntefering als Drahtzieher. Aber das würde natürlich auch keiner offen sagen.

Zwei prominente SPD-Politiker stehen an diesem Montag stellvertretend für die durchaus unterschiedlichen Stimmungen. Da ist zum einen Matthias Platzeck, der brandenburgische Ministerpräsident und enge Vertraute des Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier. Nach dem ersten Schock über Becks Rücktritt sei in der SPD viel Kampfesmut gewachsen. "Ich bin sicher, dass es mit der Partei vorwärts geht", sagt Platzeck und sieht dabei, wie meistens, unheimlich fröhlich aus.

Da ist aber auch Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister von Berlin, dem für die Zukunft selbst höhere Ambitionen unterstellt werden. Er sagt, die Art des Abgangs von Beck habe für ihn einen "Beigeschmack".

Der Beigeschmack. Er erschwert den Neustart. Die Diskussionen über die Umstände von Becks Rücktritt hemmen das Getriebe der SPD wie altes Öl, das seine Viskosität verloren hat, auch wenn Steinmeier in der Vorstandssitzung einstimmig zum Kanzlerkandidaten ernannt wird und bei Müntefering als Parteichef nur fünf Enthaltungen verzeichnet werden. Eine Gegenstimme hat es auch gegeben: Ottmar Schreiner.

Da vorne aber stehen die Sieger. Steinmeier, der sagt, er habe sich die Kanzlerkandidatur gut überlegt. Der aber auch hinzufügt, er habe in den vergangenen Jahren gelernt, seine Kräfte richtig einzuschätzen. Deshalb habe er sich dagegen entschieden, auch noch den Parteivorsitz zu übernehmen, und statt dessen eine Arbeitsteilung mit Müntefering gewählt. Er findet, das sei "eine kluge Entscheidung" gewesen.

Müntefering spricht von den Chancen für die Bundestagswahl, "wenn die Lebendigkeit der Partei bleibt". Er sei nicht gegen Streit, "keiner hat die Wahrheit von Anfang an". Aber danach gehöre zur Lebendigkeit auch, "entschlossen und geschlossen zu sein". Er verstehe sich nicht als Aufsichtsratsvorsitzender einer Holding, in der es viele Gruppierungen gebe, "sondern als Vorsitzender der einen SPD". Für wie lange, das lässt er offen. "Ich fühle mich gut", sagt Müntefering. Am Morgen sei er auf dem Laufband 3000 Meter in 18 Minuten und 45 Sekunden gelaufen. "Das ist nicht schlecht für meine Altersklasse."

Lesen Sie auf der nächste Seite, wie die Rivalität zwischen Beck und Müntefering eskalierte...

Jeder auf seinem Platz

Geschichtsschreibung kann so kurz danach nicht wirklich geschehen. Zu viel ist durcheinander gegangen. Zu offensichtlich ist der Versuch, Legenden zu bilden. Aber ein Kern schält sich heraus, der offensichtlich entscheidend mit zum Eklat am Schwielowsee geführt hat: Es ist der alte Konflikt zwischen Kurt Beck und Franz Müntefering, der noch einmal eskalierte, die Rivalität zweier Männer, die für eine gewisse Zeit gemeinsam die Geschicke der SPD als Partei und als Teil der Regierung führten, viel länger aber schon durch Missgunst und Misstrauen miteinander verbunden sind.

Immer wieder sind sie seit 2005 aneinadergeraten. Rente mit 67, Arbeitslosengeld, der Showdown vor dem Parteitag in Hamburg 2007. Müntefering schweigt dazu. Steinmeier auch. Zur Begründung sagt er, das sei besser für beide Seiten.

Beide Seiten. Wie ein Puzzle muss man zusammensetzen, was sich da abgespielt hat. Und das erste Puzzleteil dieser Annäherung an eine Art von Wahrheit findet man am vergangenen Donnerstag. Da treffen sich Beck, Müntefering und Steinmeier und besprechen den Zeitplan und die Einbindung Münteferings in den Wahlkampf.

Der Außenminister soll diese Begegnung in mühsamen Vier-Augen-Gesprächen herbeigeführt haben. Viereinhalb Stunden hätten die drei zusammengesessen, heißt es. Dann habe man sich auf ein sogenanntes Kanzlerteam verständigt, mit Steinmeier als Chef, mit Beck, Steinbrück, Nahles, Generalsekretär Hubertus Heil sowie Müntefering, auf den Steinmeier keinesfalls habe verzichten wollen.

Verabredung zum Fototermin

Am Ende verständigt man sich sogar darauf, für den Montag nach der Klausur in Schwielowsee einen gemeinsamen Fototermin für Steinmeier, Beck und Müntefering zu organisieren. "Ich bedauere, dass es bei dieser Verabredung nicht geblieben ist", sagt Steinmeier am Montag. Warum sich Beck darauf aber überhaupt eingelassen hat, ist nicht erklärlich. Der Parteichef hätte ahnen müssen, neben Steinmeier und Müntefering nur noch als einer unter vielen gesehen zu werden.

Am Samstagabend, als die Absprachen über die Nominierung Steinmeiers zum Kanzlerkandidaten bekannt werden und die ersten Interpretationen Beck als Verlierer zeichnen, beschließt der Parteichef, von seinem Amt zurückzutreten. Noch in der Nacht telefoniert er mit Steinmeier und Nahles und kündigt seinen Schritt an, am Morgen spricht er mit Steinbrück und noch einmal mit Steinmeier, der versucht haben soll, ihn doch noch von seinem Vorhaben abzubringen.

Für die Urheberschaft der Berichte gibt es zwei Versionen. Gezielt sei die Information an die Presse gegeben worden, dass Steinmeier Kandidat werde - und zwar auf sein eigenes Betreiben, nicht auf den Vorschlag des Vorsitzenden hin, heißt es im Beck-Lager. "Die Hinweisgeber müssen so hochkarätig gewesen sein, dass die Information auch tatsächlich getragen hat", sagt einer aus Becks engstem Umfeld, und die Wut in seiner Stimme ist nicht zu überhören. "Das sind nicht irgendwelche Heckenschützen aus den hinteren Reihen." Der Name Müntefering fällt dabei nicht, doch die Feststellung, dass er gemeint sei, bleibt unwidersprochen.

Die andere Lesart aber besagt, dass Müntefering zwar sehr wohl auf eine zügige Berufung Steinmeiers drängte, damit aber keine Ambitionen auf ein eigenes Amt verband und auch mit den Indiskretionen nichts zu tun gehabt habe. Franz Müntefering ist es gewohnt, dass in seine Aktivitäten immer noch mehr hineininterpretiert wird als in Wirklichkeit dahinter steckt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Becks letzter Versuch aussah...

Jeder auf seinem Platz

Nach seinem Rücktritt als Parteichef 2005 kam alsbald die Mutmaßung auf, er habe den Eklat bewusst provoziert, um der Doppelbelastung als Vorsitzender und Vizekanzler zu entgehen. Nach seinem Abschied aus dem Kabinett vor knapp einem Jahr scherzte Müntefering, er habe sich manchmal darüber gewundert, wieviel strategisches Geschick ihm gerade von den Medien zugetraut worden sei.

Die Atmosphäre des Treffens der engsten Parteispitze am Sonntag morgen geben Beteiligte so wieder: übermüdete Akteure, eine dramatische Situation, aber auch eine konzentrierte Diskussion. Beck ist angespannt, aber gefasst. Seine Entscheidung steht fest, das ist klar. Und deshalb geht es auch hier letztlich nur um eine, um die entscheidende Frage: Müntefering oder nicht Müntefering?

Ein letzter Spaziergang

Beck schlägt Olaf Scholz als seinen Nachfolger vor. Er habe mit dem Arbeitsminister gesprochen, der stünde bereit. Es ist der vorletzte Versuch, Müntefering zu verhindern. Steinmeier und Steinbrück widersprechen mit dem Argument, der Einzige, der die Partei stabilisieren könne, sei Müntefering.

Beck und Steinmeier ziehen sich noch einmal zu einem Spaziergang am See zurück. Nun geht es darum, ob der Kanzlerkandidat auch den Parteivorsitz übernimmt. Es ist Becks letzter Versuch. Auch Struck hält das für die beste Variante. Steinmeier lehnt ab. Letztlich fügt sich die Runde seinem Wunsch: Franz Müntefering soll es machen.

Beck kündigt daraufhin an, nur noch kurz zur Klausur der Parteispitze zu kommen, seinen Rücktritt bekanntzugeben und die Veranstaltung dann zu verlassen. Er wolle, so wird Beck von Kundigen zitiert, nicht einem Ereignis beiwohnen, bei dem Müntefering zu seinem Nachfolger benannt werde.

Am Montag dann zieht er sich dorthin zurück, wo er sich sicher fühlen kann: Im Gästehaus der rheinland-pfälzischen Landesregierung in Mainz sitzen Becks Kabinett und die Spitze der Landtagsfraktion zusammen. Der Chef berichtet zunächst, natürlich geht es auch um die Ereignisse der vergangenen Wochen und Tage. Die Runde diskutiert, doch nach Angaben von Teilnehmern richtet sie recht bald den Blick nach vorn: Beck soll SPD-Landesvorsitzender und Ministerpräsident bleiben, das ist hier vollkommen klar.

Zurück zur Kurt-Beck-Partei

Jeder im Raum weiß, dass die rheinland-pfälzische SPD ohne ihn nicht viel wäre, dass sie zehrt von jener Popularität, die der in Berlin Gescheiterte sich hier über die Jahre aufgebaut hat und die viele Wähler in diesem strukturell konservativen Bundesland immer wieder dazu bringt, die Kurt-Beck-Partei zu wählen, die eben zufällig auch SPD heißt.

Das Gästehaus ist die Trutzburg, in die sich Beck zurückgezogen hat. Es liegt erhöht, zum Portal führt eine steile Auffahrt. Beck ist nun zurück in jener Welt, deren Regeln er beherrscht, weil er sie größtenteils selbst macht. Es ist eine Welt, in der man ihn stützt, statt querzuschießen - auch wenn man in Mainz genügend Menschen findet, die über den beratungsresistenten, sturköpfigen Chef klagen. Aber eben nicht öffentlich, weshalb nun die Wut auf jene umso größer ist, die Beck vor allem mit ihrer sehr speziellen Form der Öffentlichkeitsarbeit zu Fall gebracht haben - so zumindest geht die Version der Beck-Leute.

"In Rheinland-Pfalz", heißt es bei ihnen, "ist so etwas nicht möglich. Solche Zustände würde man hier in der SPD nie zulassen." Und auch deshalb wird Kurt Beck beim SPD-Landesparteitag am Samstag wieder als Landesvorsitzender antreten. Weil, so sehen er und seine Leute das, die eine Welt nichts mit der anderen zu tun hat. Weil in der Mainzer Welt selbst auf dem Höhepunkt der Berliner Turbulenzen nichts irreparabel zu Bruch gegangen ist. Weil Kurt Beck hier immer noch ein Wahlsieger ist.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: