Führungswechsel in China:Unter dem Make-up lauern schwere Probleme

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Smogwolken über den Städten, Mangel an Frauen, Korruption: Auf dem Nationalen Volkskongress soll Xi Jinping zum neuen Staatspräsidenten Chinas ernannt werden. Wenn er den Glauben der Bevölkerung an die Regierung zurückgewinnen will, muss er sich den drängendsten Problemen des Landes stellen.

Eine Übersicht von Barbara Galaktionow und Antonie Rietzschel

Saftig grün - so sollte ein gesunder Rasen aussehen. Doch in einer chinesischen Stadt wie Chengdu, die immer wieder unter einer Smogwolke verschwindet, hat sich das Gras längst gelb verfärbt. Kein schöner Anblick. Statt aber über die Eindämmung der Luftverpestung nachzudenken, hatte die Stadtverwaltung eine andere Idee: Wie die Zeitung The Telegraph berichtet, schickte sie Arbeiter aus, die grüne Farbe auf das trostlose Gewächs sprühte. Nach Angaben des Herstellers hält sie zehn bis 14 Wochen.

Die Make-up-Taktik von Chengdu ist eine passende Metapher für den aktuellen Zustand in China: Der scheidende Ministerpräsident Wen Jiabao feiert auf dem Nationalen Volkskongress in einer Rede die "strahlenden Erfolge" seiner fünf Amtsjahre. Doch unter der Oberfläche sieht es anders aus. Das Volk ist unzufrieden. Wenn die neue Führung unter dem künftigen Staatspräsidenten Xi Jinping die Glaubwürdigkeit zurückgewinnen will, muss sie mehr tun, als die Probleme zu übertünchen oder schönzureden. Sie wird sich ernsthaft mit ihnen befassen müssen.

  • Umwelt

Das rasante aber oft unregulierte Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte hatte für die Umwelt dramatische Konsequenzen. China hat mittlerweile die USA beim CO2-Ausstoß überholt, von den zehn meistverschmutzten Städten der Welt liegen sieben in China, in Peking wurde Mitte Januar der Feinstaubwert um ein Vielfaches überschritten. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua wurden teilweise mehr als 993 Mikrogramm der gefährlichen Partikel pro Kubikmeter gemessen. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt einen Grenzwert von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter. Die Stadt verschwand tagelang unter einer Smog-Glocke.

Die Regierung muss nun endlich handeln - nicht zuletzt weil im vergangenen Jahr immer häufiger Chinesen auf die Straße gegangen sind, um gegen Umweltverschmutzung zu demonstrieren. Doch um Umweltstandards umzusetzen, müsste die chinesische Führung die lokale Verwaltung ein Stück weit entmachten, wie das Magazin The Diplomat berichtet. Oft seien sie dafür verantwortlich, dass vor Ort an luftverschmutzenden Technologien festgehalten werde. Laut The Diplomat hat das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie bereits erste Schritte eingeleitet, um die Situation zu verbessern.

Doch Luftverschmutzung ist nicht das einzige Problem: Sauberes Trinkwasser wird knapp, genau wie Holz und fruchtbarer Boden. Der amerikanische Nachrichtensender CNN berichtet, dass die Lebensmittelpreise zu explodieren drohen, was zu Unruhen führen könnte.

  • Zu viele Männer, zu wenige Frauen

Sie war durchaus gut gemeint, die in den späten siebziger Jahren verordnete Ein-Kind-Politik Chinas. Der Kampf gegen die Überbevölkerung sollte Wohlstand sichern. Doch die Idee, dass, wenn weniger Menschen da sind, genug für alle zum Leben bleibt, ging nicht auf. Es zeigt sich nun, dass sich die staatlich verordnete Familienplanung negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirkt. Denn durch die damit verbundene Überalterung der Gesellschaft fehlen Arbeitskräfte, es kommt zu Problemen bei der Rentenfinanzierung und der sozialen Absicherung. Zudem bremsen die Folgen der Ein-Kind-Politik die Nachfrage.

Drastisch sind vor allem die gesellschaftlichen Auswirkungen: Da Söhne in China traditionell bevorzugt werden, führte die Begrenzung auf ein Kind dazu, dass Töchter getötet wurden und inzwischen vermehrt weibliche Föten abgetrieben werden. Schon jetzt gibt es einen gravierenden Männerüberschuss. Bis 2020 werden Prognosen zufolge etwa 30 Millionen mehr chinesische Männer als Frauen das Erwachsenenalter erreichen, berichtet CNN.

Eine gesellschaftliche Zeitbombe: Mit der Zahl der jungen Männer, die keine Chance haben, jemals eine Frau zu finden, nimmt die Zahl schwerer Gewalttaten zu. Schon jetzt steigt die Zahl der Spiel-, Alkohol- oder Drogensüchtigen steil an. Frauenraub, Vergewaltigung und Prostitution sind weit verbreitet, wie CNN berichtet. Trotzdem hält die chinesische Führung offiziell an der Ein-Kind-Politik fest - sie soll noch mindestens bis 2015 gelten.

  • China als internationaler Player

Bereits zu Beginn des Volkskongresses wird deutlich: China rüstet auf. Bei der Eröffnungssitzung kündigt der scheidende Ministerpräsident Wen Jiabao eine Erhöhung der Rüstungsausgaben um 10,7 Prozent an. Der neuerliche Anstieg des Militäretats könnte den Inselstreit mit Japan weiter verschärfen.

Auch ihre Haltung zu Nordkorea muss die neue Führung überdenken. Während die chinesische Führung Nordkorea als strategischem Puffer bisher freundlich gesinnt war, ist die Mehrheit der Bevölkerung angesichts der Atomwaffentests vor allem beunruhigt und fordert einen Kurswechsel, wie die New York Times berichtet. Damit steht die Regierung vor einem Dilemma, das die New York Times in einem weiteren Artikel beschreibt: Verhängt China zukünftig Sanktionen gegen Nordkorea, könnte das Land kollabieren. Tut die chinesische Führung nichts, setzt sie möglicherweise die von Xi Jinping gewollte Annäherung an die USA aufs Spiel.

  • Kontrollverlust bei der öffentlichen Meinung
Xi Jinping beim Nationalen Volkskongress: Bald soll er in China die Richtung vorgeben. (Foto: REUTERS)

Durch die Vorherrschaft staatlich kontrollierter Medien und eine strikte Zensur war es der Führung der Volksrepublik China über Jahrzehnte hinweg möglich, die öffentliche Meinung zu steuern - und gegnerische Stimmen nicht allzu laut werden zu lassen. Mit dem Aufkommen des Internets und vor allem der Ausbreitung sozialer Netzwerke hat sich das geändert.

Vor allem der seit 2009 existierende Mikrobloggingdienst Weibo - das chinesische Äquivalent zu Twitter - hat mit seinen mittlerweise mehr als 500 Millionen registrierten Nutzern dazu beigetragen, dass dem Staat die Kontrolle über die Kommunikation seiner Einwohner entgleitet: "Wenn Minuten reichen, um einen Text zehntausendfach zu verbreiten, dann kommt die Zensur nicht nach", heißt es dazu auf der heutigen Seite 3 der Süddeutschen Zeitung.

Auch bei den herkömmlichen Medien steigt die Bereitschaft, sich dem staatlichen Informationsdiktat zu widersetzen: So traten im Januar Journalisten der liberalen Zeitung Südliches Wochenende nach der Zensur eine kritischen Artikels in Streik und erhielten dafür enorme öffentliche Unterstützung (unter anderem nachzulesen bei der britischen BBC).

  • Korruption

Korruption ist in China weit verbreitet, dennoch nahm Wen Jiabao in seiner Rede nur kurz zu diesem Thema Stellung: "Wir werden den Kampf gegen die Korruption und für das integre Verhalten der Beamten fortsetzen." Möglicherweise wollte er auch nicht mehr dazu sagen, weil er im Herbst vergangenen Jahres selbst mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert war. Die New York Times hatte herausgefunden, dass seine Familie Vermögenswerte in Höhe von umgerechnet 2,7 Milliarden Dollar angehäuft haben soll. Wen dementierte dies.

Wen ist nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, wie viele Facetten Korruption in China hat. Dabei geht es nicht nur um die alltägliche Bestechung von Behörden, sondern um ein Netzwerk der Elite, dessen Mitglieder sich gegenseitig Vorteile verschaffen, wenn es um Investitionsgenehmigungen, Regierungsaufträge oder die Vergabe lukrativer Lizenzen geht. Die Nachrichtenagentur Reuters hat versucht, dieses Machtgeflecht in einer interaktiven Grafik sichtbar zu machen.

  • Wachsende soziale Ungleichheit

Die Einkommensungleichheit in China wächst: CNN zufolge ist der sogenannte Gini-Koeffizient, der Ungleichverteilungen beim Einkommen aufzeigt, in den vergangenen 25 Jahren von weniger als 0,3 auf fast 0,5 angewachsen - wobei der Wert 0 für perfekte Gleichheit steht, während bei 1 komplette Ungleichheit erreicht ist. Ein großes Problem ist die Verarmung auf dem Land. In der Stadt lebende Chinesen sollen inzwischen durchschnittlich fünf Mal so viel verdienen wie die Landbevölkerung.

Chinas Führung versucht, die Folgen abzumildern. Im Februar kündigte die Regierung einen Plan an, wonach die Sozialfürsorge-Ausgaben innerhalb der kommenden fünf Jahre um zwei Prozentpunkte angehoben werden sollen. Das sei bei weitem nicht genug, um die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich abzumildern, kritisiert ein chinesischer Ökonom auf CNN.

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