Süddeutsche Zeitung

Führungsstreit in der Linken:Linke vor der Zerreißprobe

Ost-West, Mann-Frau - nach diesen Kriterien wurde bislang die Doppelspitze der Linken besetzt. Kurz vor dem Parteitag gibt es allerdings nur einen männlichen Bewerber von Gewicht: Dietmar Bartsch. Eine Gruppe Parteiintellektueller warnt nun vor einem "der Funktionärslogik gehorchenden Deal". Doch eine Niederlage des Ost-Reformers könnte gravierende Folgen haben.

Daniel Brössler, Berlin

Wenige Tage vor ihrem Parteitag in Göttingen hat die Linkspartei zumindest einen Mangel beheben können - den Mangel an Kandidaten für den Vorsitz. Vier Bewerbungen von Frauen und sechs von Männern sind bis Dienstag in der Berliner Parteizentrale eingegangen. Im Falle der Männer führt die hohe Zahl allerdings ein wenig in die Irre.

Das chaotische Erscheinungsbild der Partei hat mehrere Genossen von der Basis veranlasst, ihre Hilfe anzubieten - den Frührentner Bernd Horn aus Herten etwa. "Der bürgerliche Parlamentarismus ist niemals in der Lage, den Kapitalismus zu überwinden", schrieb er in seiner Bewerbung.

Unverändert gibt es nach der Absage des Parteigründers Oskar Lafontaine nur einen männlichen Bewerber von politischem Gewicht: Dietmar Bartsch, den Vizechef der Linksfraktion im Bundestag und früheren Geschäftsführer.

Anders als bei der Wahl von Gesine Lötzsch und Klaus Ernst vor zwei Jahren will den Flügeln eine Verständigung auf ein Personaltableau vor dem Parteitag nicht gelingen. Zwar war für diesen Mittwoch noch ein Treffen des geschäftsführenden Parteivorstandes mit den Landeschefs angesetzt. Die Erfolgsaussichten wurden von maßgeblichen Unterhändlern aber als gering eingeschätzt. So werden Parteilinke aus dem Westen und Reformer aus dem Osten wohl im freien Spiel der Kräfte um die Macht ringen.

In dieser Lage stehen die bislang vier Kandidatinnen vor der Frage, ob sie bereit wären, die Partei mit Bartsch zu führen. Verneint hat das bisher nur die Landessprecherin aus Nordrhein-Westfalen, Katharina Schwabedissen. Sie möchte ein Duo bilden mit der bisherigen Vize-Vorsitzenden Katja Kipping aus Sachsen.

Die ebenfalls aus Sachsen stammende arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Sabine Zimmermann, wird dem Lager der Bartsch-Gegner zugerechnet, hat sich aber nicht festgelegt.

Als interessant für Bartsch erscheint die vor Pfingsten erklärte Kandidatur von Dora Heyenn. Sie ist Chefin der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft und kandidiert ausdrücklich, damit die Partei ihre Herausforderungen "gemeinsam bewältigen" könne.

Eine Doppelspitze Bartsch-Heyenn würde den inoffiziellen Ost-West-Proporz in der Partei wahren. Zudem wäre in Bartsch ein Exponent der früheren PDS, in Heyenn eine gewerkschaftsnahe Linke vertreten. Fraglich ist, inwieweit die Delegierten in Göttingen sich von solchen Überlegungen werden leiten lassen.

Unwägbar ist der Ausgang schon wegen des Stimmverfahrens. Die Satzung legt fest, dass zwei Vorsitzende, unter ihnen mindestens eine Frau, zu wählen sind. So wird zunächst eine Frau gekürt, bevor in einer gemischten Abstimmung Frauen und Männer antreten können. Möglich wäre ein Szenario, in dem Bartsch bei dieser zweiten Abstimmung Konkurrenz von einer oder mehreren Frauen bekommt.

Etliche Anhänger Lafontaines hoffen, dass in letzter Minute Sahra Wagenknecht sich als eine solche Konkurrentin erweisen könnte - diesen Wunsch äußerten am Dienstag auf einer Regionalkonferenz in Hamburg etwa Linken-Chef Klaus Ernst und die niedersächsische Landesvorsitzende, Giesela Brandes-Steggewentz. Wagenknecht, Vize-Fraktionschefin im Bundestag und Leitfigur der Parteilinken, hält sich die Kandidatur bisher offen.

Eine Niederlage Bartschs würde vom Reformer-Lager als "Durchmarsch" der westlich dominierten Parteilinken gewertet und dürfte die Partei vor eine Zerreißprobe stellen. Der frühere Vorsitzende Lothar Bisky sprach sich für Bartsch aus und nannte den andauernden Streit in der Partei eine "Super-Horror-Show".

Eine Gruppe intellektueller Parteimitglieder unterstützt hingegen in einem Aufruf den von Kipping und Schwabedissen vertretenen "dritten Weg". Es sei ungewiss, welche Wendungen der Streit in den nächsten Tagen nehmen werde, heißt es darin.

"Wir wissen aber, dass er für uns alle verloren sein wird, wenn er in einem bloß technokratischen, der politischen Funktionärslogik gehorchenden Deal endet", warnen die Unterzeichner, unter ihnen Bundestagsabgeordnete sowie Landes- und Regionalpolitiker.

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SZ vom 30.05.2012/gal
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