Frühere Bundespräsidenten heute:Herr Herzog hat nichts zu verbergen

Während ihrer Amtszeit standen sie im Licht, tauchten in der Tagesschau auf und hielten Ruck-Reden. Aber was machen sie heute, die vier noch lebenden Vorgänger von Christian Wulff? Ein Blick in den Alltag ehemaliger Bundespräsidenten.

Thorsten Schmitz

Wie amtierende Bundespräsidenten ihren Amtsalltag verbringen, das weiß man. Sie stehen im Licht. Sie tauchen in der "Tagesschau" auf und in den Zeitungen. Wenn ihre Amtszeit endet (oder wenn sie zurücktreten), bekommen sie ein Leben lang Ehrensold, Büros, Assistenten, Fahrer, Personenschutz. Man nennt sie dann Altbundespräsidenten - und sie stehen im Schatten der Republik.

Ehemalige Bundespräsidenten

Ein Blick in den Alltag von Horst Köhler, Richard von Weizsäcker, Walter Scheel und Roman Herzog (von links) zeigt: Auch nach dem Ende der Amtszeit gibt es für einen Bundespräsidenten noch viel zu tun.

(Foto: dpa)

Was machen sie eigentlich, die vier noch lebenden Vorgänger von Christian Wulff? Sind sie Privatiers oder fühlen sie sich noch "im Amt"? Wie verbringen sie ihre Tage ohne das Terminkorsett, das ihnen einst Mitarbeiter des Bundespräsidialamts schnürten? Wer sich auf die Suche nach Antworten begibt, endet in den Vorzimmern der Altbundespräsidenten. Interessant ist: Aus den Berliner Büros von Richard von Weizsäcker und Horst Köhler dringt spärlich Information. Leutselig dagegen sind die Referenten von Walter Scheel und Roman Herzog.

Herzog überarbeitet seine Reden im Auto

Irene Schacht ist seit zwei Jahren die persönliche Referentin von Roman Herzog. Am Telefon sagt sie gleich: "Ich rufe Sie sofort zurück, ich spreche kurz mit dem Bundespräsidenten Herzog. Er ist gerade im Auto unterwegs, dann melde ich mich gleich." Ein paar Minuten später ist sie wieder am Apparat: "Der Bundespräsident hat gesagt, ich könne alle Fragen beantworten. Wir haben ja nichts zu verbergen."

Roman Herzog wird 75

Alt-Bundespräsident Roman Herzog hat aus terminlichen Gründen nicht am Großen Zapfenstreich für Christian Wulff teilgenommen.

(Foto: ddp)

Prof. Dr. Roman Herzog war von 1994 bis 1999 Bundespräsident. Besonders in Erinnerung geblieben ist seine "Ruck-Rede", in der er mahnte, die Deutschen "müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen". Die Rede und Herzogs Jovialität haben zu seiner Beliebtheit beigetragen. Herzog wird im April 78 Jahre alt - aber über Zeit verfügt er noch immer nicht ausreichend. Wer ihn treffen möchte, muss seine Anfrage mindestens sechs Monate im voraus stellen, besser aber, sagt seine Referentin, seien neun Monate: "90 Prozent aller Anfragen müssen wir ablehnen." Wichtig sei der Zeitfaktor, aber auch die Anfrage selbst: "Wenn jemand in einer E-Mail ein ,Hallo, Herr Herzog' hinhuscht, lehnen wir in der Regel sofort ab", sagt Schacht.

Dass Herzog nicht zum Großen Zapfenstreich von Wulff erschienen ist, habe mit einem anderen Termin zu tun gehabt. Herzog hatte eine Rede vor einem mittelständischen Unternehmen zugesagt, und die hatten bereits im März vergangenen Jahres angefragt. Nach Amtsende hat Herzog nichts unversucht gelassen. Er hatte eine eigene Talkshow, beriet junge Existenzgründer, schrieb Bücher. Er redet gerne und gut, nächste Woche wird er von Reinhold Beckmann interviewt. Aber auch die jüngere Generation hört ihm gerne zu: Im Juli besucht er ein Gymnasium in Dresden, die Schüler nehmen gerade seine Ruck-Rede durch.

Das Flugzeug nutzt Herzog so gut wie nie. Er lebt bei Heilbronn, und Flughäfen gibt es keine in der unmittelbaren Umgebung. Wenn er nach München, Berlin oder Frankfurt muss, zu Sitzungen der Stiftung "Bündnis Kinder - gegen Gewalt", Kuratoriumstreffen, Schirmherrschaftsveranstaltungen oder zu Sitzungen der Reformbewegung "Konvent für Deutschland", lässt er sich fahren. Im Auto überarbeitet er seine Reden, die er alle selbst schreibt - zu Hause auf einer Schreibmaschine.

Einmal in der Woche kommt Herzog ins Büro, "manchmal aber ist er so beschäftigt, dass ich ihn zwei Wochen lang nicht sehe", sagt Irene Schacht. Das Büro liegt in einer Vier-Zimmer-Wohnung zu ortsüblicher Miete in einem Mehrfamilienhaus in Heilbronn. Draußen an der Klingel steht einfach nur der Name "Herzog". Der Altbundespräsident mag es bescheiden: "Er hat Anspruch auf mehr Personen", sagt Schacht, "aber die beansprucht er nicht." Sogar beim Internet liebt es Herzog schlicht: Anstatt mit dem Intranet des Bundespräsidialamts in Berlin verbunden zu sein, wie es bei Köhler und Weizsäcker der Fall ist, besitzt sein Büro eine Mail-Adresse beim Gratis-Anbieter gmx.

Köhlers Lieblingsthema bleibt Afrika

Ex-Bundespräsident Köhler bei Wittenberger Gesprächen

Zu der Behauptung, er würde freiwillig auf seinen Ehrensold verzichten, will sich Horst Köhler nicht äußern.

(Foto: dpa)

Altbundespräsident Horst Köhler (2004-2010) lebt in Berlin und hat sich vor kurzem ein Haus am Chiemsee gekauft. Sein Büro liegt in der Friedrichstraße nahe Unter den Linden. Wie oft er im Büro ist, wie er seinen Alltag als Ex-Bundespräsident verbringt, wie er über seine Rolle als Altbundespräsident denkt, darüber wird auf Nachfrage keine Auskunft gegeben. Sein Büroleiter Hendrik Barkeling sagt: "Altbundespräsident Horst Köhler hält sich weiterhin medial sehr zurück, so dass eine Antwort auf all Ihre Fragen leider nicht möglich ist."

Eine Meldung der Bild-Zeitung, wonach Köhler angesichts der Wulff-Affäre auf seinen Ehrensold verzichtet habe, wird von Köhlers Büro nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert: "Zu seinen persönlichen finanziellen Angelegenheiten äußert sich Herr Köhler grundsätzlich nicht", schreibt Barkeling in einer E-Mail. Das Blatt hatte berichtet, Prof. Dr. Köhler habe als Staatssekretär, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes und als Direktor des Internationalen Währungsfonds derart hohe Pensionsansprüche, dass diese den Ehrensold übersteigen und er daher auf diesen verzichte.

Verraten werden lediglich ein paar Termine im April und Mai. Dabei bleibt Köhler seinem Lieblingsthema treu: Afrika. Im Mai reist er auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung unter anderem nach Benin und Burkina Faso, Ende März nach Äthiopien, um an einer Podiumsdiskussion teilzunehmen. In Ludwigsburg wird Köhler im April das Grußwort sprechen zu einer Veranstaltung über die Afrikanische Diaspora.

Weizäcker kann sich vor Einladungen kaum retten

Johannes Rau und Richard von Weizäcker, 2002

Nach wie vor einer der beliebtesten Bundespräsidenten ist Richard von Weizäcker (rechts, im Bild mit dem 2004 verstorbenen Nachfolger Johannes Rau)

(Foto: AP)

Bei Richard von Weizsäcker ist es, als sei er noch immer Bundespräsident - wenn man die Flut von Post als Maßstab nimmt. Seine Büroleiterin Katharina Boß sagt: "Herr von Weizsäcker hat bis heute einen vergleichbaren Posteingang wie zu seiner Amtszeit." Die liegt immerhin schon 18 Jahre zurück. Weizsäcker war von 1984 bis 1994 Bundespräsident. Bis heute verbindet man mit ihm seine großartige Rede am 8. Mai 1985 zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, in der er das Ende als "Befreiung" bezeichnete. Weizsäcker reist viel, sagt seine Bürochefin Boß, "so weit sein hohes Alter und Befinden es erlauben". Er verfügt über einen Fahrer.

Im April wird Weizsäcker 92 Jahre alt. Vor Einladungen kann er sich kaum retten. Allerdings: "Die vierte Flugreise ins Ausland in einem Monat muss man dann auch nicht machen", sagt Boß. Nach welchen weiteren Kriterien er zu- oder absagt? "Er sucht schon nach Interessengebieten aus. Er ist kein Wirtschaftsfachmann, also wird er auch darüber keinen Vortrag halten."

Weizsäcker sitzt in Kuratorien, ist Ehrenvorsitzender von Akademien und Hilfsfonds. Um die Flut all der Anfragen zu bewältigen, hat sein Büro Am Kupfergraben gegenüber der Museumsinsel jetzt eine zusätzliche Hilfskraft eingestellt. Finanziert wird die Hilfskraft nicht vom Bund, sondern aus privaten Drittmitteln, wie Boß betont.

Scheel lässt sich von seiner Gattin ins Büro fahren

Scheel prophezeit Linder grosse Solidarisierung

Trotz einer Blutvergiftung vor vier Jahren, die ihn in seiner Mobilität erheblich eingeschränkt hat, ist Walter Scheel "sehr rege im Büro".

(Foto: dapd)

Weit weg von Berlin lebt und arbeitet der 92 Jahre alte Walter Scheel im badischen Bad Krozingen. Scheel war von 1974 bis 1979 Bundespräsident. Trotz einer Blutvergiftung vor vier Jahren, die ihn in seiner Mobilität erheblich eingeschränkt hat, sei Scheel "sehr rege im Büro", wie sein persönlicher Referent Christoph Höppel berichtet. Jeden Tag wird Scheel nach Bad Krozingen gefahren, in sein vom Bundespräsidialamt angemietetes 80 Quadratmeter großes Büro, das im Gebäude der Stadtverwaltung liegt.

Gegen halb zehn morgens ist er dort, lässt sich Postmappen vorlegen und berät sich mit Höppel, "dann folgt ein frühes Mittagessen, anschließend Zeitungslektüre, bis wir ihm einen zweiten Schub Postmappen vorlegen". Scheel lege Wert darauf, dass sämtliche Anfragen beantwortet werden. Im Gegensatz zu seinen Nachfolgern hat er in der Debatte um Wulff mitgeredet. Er riet Wulff ab, Ehrensold zu beziehen. Er selbst, Scheel, bezieht den Ehrensold. Scheel betrachte sich "keinesfalls als Privatperson", sagt Referent Höppel, "sondern als Person des öffentlichen Lebens".

Zwischen 14 und 16 Uhr lässt sich Scheel zurück nach Hause fahren. Den Transfer ins Büro am Morgen und am Nachmittag zurück nach Hause übernimmt seine Gattin im Privatwagen. Die Stelle des Chefkraftfahrers ist nicht mehr besetzt.

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