Einwanderung:Verstörende Enthüllungen

Einwanderung: Frontex-Chef Fabrice Leggeri bei einem früheren Auftritt: Er ist nach schwerer Kritik zurückgetreten.

Frontex-Chef Fabrice Leggeri bei einem früheren Auftritt: Er ist nach schwerer Kritik zurückgetreten.

(Foto: Jan A. Nicolas/dpa)

Fabrice Leggeri, der Chef der EU-Behörde Frontex, ist zurückgetreten. Seine Beamten sollen illegale Aktionen gegen Migranten im Mittelmeer vertuscht haben.

Von Björn Finke, Brüssel

Das Schreiben ist kurz, vier Absätze, und es hat die beeindruckende Karriere von Fabrice Leggeri erst einmal beendet: Der 54-jährige Franzose ist seit sieben Jahren Direktor von Frontex, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Die EU-Behörde in Warschau koordiniert die Arbeit der nationalen Grenzschützer und unterstützt sie bei der Kontrolle der EU-Außengrenzen. Die Agentur steht aber seit langem in der Kritik. In dem Brief an Alexander Fritsch, den Vorsitzenden des Frontex-Verwaltungsrats, bat Leggeri nun darum, zurücktreten zu dürfen. Das Gremium kam am Freitagnachmittag zu einer Sondersitzung zusammen und nahm das Ersuchen an.

Der Franzose soll sein Büro sofort räumen; in dem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, wies er auf beeindruckende 61 Tage Resturlaub hin, die er jetzt nehmen wolle. Übergangsweise soll seine Stellvertreterin Aija Kalnaja die Behörde führen.

Leggeri begründet den Schritt damit, dass angeblich das Mandat der Agentur "im Stillen, aber effektiv" geändert worden sei. Dies scheint er zu missbilligen. Als wahrer Hintergrund gelten allerdings verstörende Enthüllungen und peinliche Ermittlungen gegen Frontex. So sollen Führungskräfte vertuscht haben, dass Grenzschützer im Mittelmeer Migranten illegal zurückgewiesen haben. Internationales Recht verbietet es, an Außengrenzen aufgegriffene Einwanderer einfach wieder wegzuschicken, ohne dass diese einen Asylantrag stellen können. "Pushback" lautet der Fachbegriff dafür.

Die EU-Anti-Betrugsbehörde Olaf ermittelte wegen dieser Vorwürfe gegen Frontex und verfasste einen mehr als 200 Seiten langen Abschlussbericht, der noch nicht veröffentlicht wurde. Nach Informationen des Spiegel wurde hierfür auch Leggeris Büro durchsucht. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums begrüßte am Freitag den Rücktritt. Der ermögliche einen Neuanfang bei Frontex und stelle eine Chance dar, Vorwürfe restlos aufzuklären und sicherzustellen, dass alle Einsätze der Agentur im vollen Einklang mit dem europäischen Recht erfolgten, sagte er.

Die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel sagte, ihre Fraktion habe bereits Ende 2020 den Rücktritt gefordert. "Leggeri ist für jahrelanges Missmanagement verantwortlich und hat dabei den Ruf von Frontex stark beschädigt und auch das Europaparlament in die Irre geführt", klagte die innenpolitische Sprecherin der europäischen Sozialdemokraten. Die EU-Abgeordnete Cornelia Ernst von den Linken sagte, der Franzose sei "persönlich und aktiv an der Komplizenschaft von Frontex bei Grundrechtsverletzungen beteiligt" gewesen. Lena Düpont, die Vorsitzende des Frontex-Kontrollgremiums im Europaparlament, kritisierte zudem die EU-Kommission: "Mit dem erweiterten Mandat von Frontex gehen unweigerlich administrative Schwierigkeiten einher", sagte die CDU-Abgeordnete. "Hier bedarf es deutlich mehr und klarerer Orientierung durch die EU-Kommission."

Migranten werden auf offener See ausgesetzt

Tatsächlich wurden die Kompetenzen der 2004 gegründeten Behörde nach der Flüchtlingskrise 2015 deutlich ausgeweitet. So baut Frontex eine Einsatztruppe für Grenzschutz und Küstenwache auf, die 10 000 Beamte umfassen soll. Grenzschutz bleibt zwar Hoheit der Mitgliedstaaten, aber Frontex soll besser unterstützen können. Diese Expansion scheint die Agentur manchmal zu überfordern: Es gab Probleme beim Einstellen neuen Personals und Berichte über schlechtes Betriebsklima und Fehlverhalten. Am schwersten wiegen jedoch die Vorwürfe, bei Pushbacks nationaler Grenzschützer wegzuschauen.

Erst diese Woche veröffentlichten mehrere europäische Medien eine gemeinsame Recherche: Frontex soll zwischen März 2020 und September 2021 in mindestens 22 Fällen die Zurückweisung von fast 1000 Migranten durch die griechische Küstenwache falsch deklariert und dadurch verschleiert haben. Die griechischen Beamten sollen die Boote der Einwanderer gestoppt und die Migranten auf offener See ausgesetzt haben, so dass sie zurück zur türkischen Küste getrieben wurden. In Anhörungen oder Interviews wies Leggeri Kritik an Frontex oder der griechischen Küstenwache stets zurück. Trotzdem scheint er nun keine andere Lösung als einen Rücktritt gesehen zu haben.

Zur SZ-Startseite
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg

Flüchtlinge
:Syrer klagen gegen Frontex vor dem EuGH

EU-Grenzschützer sollen eine Familie per Pushback von Griechenland in die Türkei zurückgeschoben haben.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: