Front National:Wie Marine Le Pen wurde, was sie ist

Die Front-National-Chefin wollte Frankreichs Präsidentin werden - und ist gescheitert. Ein Rückblick auf ihren Aufstieg zur Führungsfigur.

Von Ulrike Schuster

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Presidential Candidate Marine Pen Votes In Henin-Beaumont

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Marine Le Pen wählte im nordfranzösischen Henin-Beaumont, einer Hochburg ihrer Partei Front National. In der Stichwahl um das Amt des Präsidenten musste sie laut den ersten Hochrechnungen eine schmerzhafte Schlappe einstecken. Sie erhielt demnach nur 35 Prozent der Stimmen während der links-liberale Emmanuel Macron mehr als 65 Prozent der Wähler überzeugen konnte.

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Quelle: AFP

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Vor zwei Wochen, nach dem ersten Wahlgang, hatten die Anhänger des Front National noch Grund zum Feiern. Ihre Kandidatin Marine Le Pen schaffte es in die Stichwahl: Sie lag hinter Emmuanel Macron auf Platz zwei, mehr als zwei Prozentpunkte vor dem Linken Jean-Luc Mélenchon und dem Konservativen François Fillon.

General view before a political rally of Marine Le Pen in Saint-Herblain near Nantes

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Lange sah es gut aus für Le Pen. Rückblick zum Wahlkampfauftakt, 5. Februar, Kongresszentrum in Lyon: Noch ist alles ruhig, gleich werden 3000 Le-Pen-Fans vor Begeisterung in "Wir werden gewinnen-Rufe" ausbrechen. Auf die Parteivorsitzende des Front National warten eine Bühne, ein Pult, drei Trikoloren und das Versprechen: "Marine Présidente".

Die Begriffe "Le Pen" und "Front National" sind nirgends zu sehen. Die Botschaft ist wohl: Dies ist eine ganz normale Partei, eine ganz normale Frau - die Freundin von nebenan, "Marine" eben.

French National Front (FN) political party leader and candidate for French 2017 presidential election Le Pen attends a political rally in Chateauroux

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Marine Le Pen wollte "Frankreich binnen fünf Jahren wieder in Ordnung bringen". In ihrem Wahlprogramm stehen 144 Versprechungen ab, alle laufen unter dem Titel "Frankreich zuerst". Sie wollte Frankreich aus der EU führen, sprach vom "Frexit", dem Ende des Euro und der Wiedereinführung des Francs.

Le Pen versprach 15 000 neue Polizisten und mehr Soldaten, zudem 40 000 neue Gefängnis-Plätze. Die Angst sollte verschwinden, gegen Kriminelle sollte "null Toleranz" herrschen. Der lahmenden Wirtschaft prophezeite sie: "Arbeit für alle Franzosen."

France's National Front political party deputy Marion Marechal-Le Pen seen with vice-president Aliot during their congress in Lyon

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Mit Marion Maréchal-Le Pen (im Bild) ist bereits die dritte Generation der Familie politisch aktiv. Die 22-Jährige ist die Nichte von Marine, die Partei feiert sie bereits. Als jüngste Abgeordnete der Fünften Republik zog die Jurastudentin 2012 in die französische Nationalversammlung ein.

Eine Partei für die Familie, eine Familie für die Partei - bei den Le Pens geht das Hand in Hand. 1972 hat Vater Jean-Marie den Front National (FN) gegründet, mit 18 Jahren trat Tochter Marine in die Partei ein, ihr aktueller Partner, Louis Aliot, ist Vizepräsident des FN. Marine Le Pens Mutter ist Mitglied, ebenso die beiden Schwestern, auch ihre Männer sind FN-Funktionäre.

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Die Franzosen kennen Marine Le Pen seit sie klein ist; als blondes Mädchen auf dem Schoß des Vaters, als Teenager im Sommerhaus in der Bretagne. Sie selbst verbindet diese Jahre mit Mitschülern, die sie hänselten und mit Lehrern, die "Vater Faschist" an den Rand der Klassenarbeit schrieben. So schreibt sie es in ihrer Autobiografie.

Dann kommt der 2. November 1976: Marine Le Pen ist acht Jahre alt, als mehrere Kilo Sprengstoff morgens um 4.50 Uhr in ihrem Wohnhaus explodieren, wo auch das Parteibüro untergebracht ist. 20 Meter tief ist der Krater, den die Bombe ins Treppenhaus reißt. Die Täter werden nie gefasst. Seitdem ist das Gefühl, das ihr Leben bestimmt: "Die anderen gegen uns". An diesem Tag habe sie verstanden, "dass Politik Gewalt ist". Ihre Autobiografie beginnt sie mit dem Satz: "Willkommen in einer gnadenlosen Welt".

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In knapp zwei Dutzend Fällen wurde Jean-Marie Le Pen seit den sechziger Jahren verurteilt - wegen Körperverletzung, Morddrohung, rassistischer Erklärungen und Verleumdung; im Algerienkrieg zwischen 1954 und 1962 folterte er als Fremdenlegionär.

Die Tochter aber verliert nie ein schlechtes Wort über den Vater. Von ihm hat sie gelernt, er hat sie geprägt. Als die Mutter, ein Ex-Model, mit dem Biografen ihres Mannes durchbrennt, kümmert sich der Vater um die 16-jährige Marine. Seitdem nennt sie ihn "Mann meines Lebens".

2015 aber kommt es zum Bruch. Dass der Vater die Gaskammern der Nazis immer wieder als "Detail der Geschichte" bezeichnete, wird zum Problem für den FN. Marine Le Pen veranlasst, dass ihm die Partei die Ehrenpräsidentschaft, danach auch die einfache Mitgliedschaft entzieht. Der Vater passt nicht mehr zum sauberen Image, das die Tochter für den FN entworfen hat.

France's far-right leader Jean-Marie le Pen and his daughter Marine sing their national anthem during the National Front's annual May Day rally in Paris

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Marine Le Pen steckt das Ziel höher als der Vater, sie will mehr. Ihm reichte es der Stachel im Fleisch der Etablierten zu sein, sie hingegen will regieren. Also durfte der FN nicht länger nur für Rassisten und Antisemiten wählbar sein; er musste für die Enttäuschten und auch für Frauen attraktiv werden.

Marine Le Pen führte die Partei von der Tabu-Zone hinein in die Mitte der Gesellschaft, in die bürgerlichen Salons. Eine "neue Sprache zwischen Gewalt und Euphemismus" nennt das die französische Literaturprofessorin Cécile Alduy, die Le Pens Sprache analysiert hat.

French Presidential Elections - The March Of The Far Right

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Die Taktik geht auf: Bei den Präsidentschaftswahlen 2012 geben Marine Le Pen im ersten Wahlgang 17,9 Prozent der Wähler ihre Stimme. Einen Monat später, im Juni, holt der FN bei den Parlamentswahlen in der zweiten Runde zwei Abgeordnetensitze.

Dann bei den Europawahlen 2014, wird der FN mit nahezu 25 Prozent zur stärksten politischen Kraft von den Franzosen gewählt. Und so geht es weiter: Im September besetzen die Frontisten erstmalig zwei Sitze im Senat. 2015 bei den Regionalwahlen, toppt Le Pen das Rekordergebnis der Europawahl. Der Front National erhält 27,7 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang.

Parallel treten immer mehr Menschen der Partei bei. Seit Marine Le Pen an vorderster Front steht, hat sich die Mitgliederzahl beinahe vervierfacht. Waren es 2011 noch 22 000 Menschen, sind es drei Jahre später schon 84 000.

Statue von Jeanne d'Arc

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Marine Le Pen inszeniert sich als Jeanne d'Arc, als französische Nationalheldin Johanna von Orléans. Auf den öffentlichen Bühnen performt sie als leidenschaftliche, kämpferische und besorgte Mutter.

War es Jeanne d'Arc (im Bild, Statue in Paris), die im 15. Jahrhundert die Engländer aus dem Land vertrieb und die Nation vor neuen Eindringlingen verteidigte, gibt Marine Le Pen vor, im 21. Jahrhundert die Frau zu sein, die die Muslime aus Frankreich verscheucht und die Elite von "da oben" vertreibt. Sie wolle das französische Volk, wieder zum "Herr im eigenen Haus" machen.

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Dabei gehört Marine Le Pen selbst zur Elite, ihre geistige und soziale Heimat ist die Oberschicht. Macht, Einfluss und Privilegien sind für sie keine leeren Hülsen, sie ist damit aufgewachsen. Heute ist sie Politprofi, seit Jahrzehnten Teil des Systems.

Die Dandy-Partys des Vaters sind legendär, die Eliten der 70er waren häufig bei den Le Pens zu Gast, auch Stars wie Alain Delon und Brigitte Bardot.

Gefeiert wurde zu Hause, in der napoleonischen, weinroten Le-Pen-Villa Montretout, mit riesigem Privatpark, in den Hügeln von Saint-Cloud, einem Pariser Nobelviertel. Ein nationalistischer Zementfabrikant hat das Anwesen Jean-Marie Le Pen vor seinem Tod vererbt.

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Quelle: AFP

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Öffentlich in Szene setzt sich der Front lieber antielitär. Marine Le Pen erzählt gerne die Geschichte von den aufrechten und anständigen Frontisten, an der Seite der hart arbeitenden, ehrlichen Steuerzahler. Dabei ermittelt die französische Justiz in zwei Fällen gegen den FN, in einem dritten Fall gegen Marine Le Pen selbst.

Einmal sollen mehrere Europaabgeordnete des Front National etliche Mitarbeiter als parlamentarische Assistenten beschäftigt haben, die zwar reine Parteiarbeit geleistet, ihre Gehälter aber vom EU-Parlament kassiert hätten - Scheinbeschäftigung. Im zweiten Fall geht es um Korruptionsaffären, um illegale Wahlkampffinanzierung.

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Quelle: AFP

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Es schien zunächst, als hätten die Affären Marine Le Pen kaum geschadet. Sie zog als Kandidatin in die entscheidende Stichwahl ein, der Ausgang blieb bis zum Abend des Wahltags nicht vorhersehbar. Dennoch gewann der proeuropäische Kandidat Emmanuel Macron laut Hochrechnungen die deutliche Mehrheit der Stimmen. Le Pen hat eine Erneuerung ihrer Partei angekündigt.

© sueddeutsche.de/ghe/lalse/oko
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