Sie rollt die weißen Wollknäuel auf dem Holztisch nach vorne und zurück, lacht der graugemusterten Katze zu, die nach ihnen schnappt. Dann marschiert die blonde Frau hinaus in den Garten, stellt sich auf eine Wiese, um sie herum tollen Kätzchen. Und sie selbst fängt an, in fester, tiefer Stimme über die Rechte der Tiere zu sprechen.
Wer sich auf den Facebook-Seiten des französischen Front National (FN) informiert, erfährt so einiges. Dass Parteichefin und Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen Katzen liebt zum Beispiel. Der vierminütige Clip, in dem Le Pen Wollknäuel rollt, ist 1,5 Millionen Mal angesehen worden und hat mehr als 33 000 Reaktionen hervorgerufen. Auf Facebook sieht man sie auch durch Heu in Kuhställen steigen, bei Talkshows auftreten und gegen Herausforderer Emmanuel Macron wettern.
Was man nicht erfährt: Dass das Europäische Parlament ihre Immunität aufgehoben oder die französische Staatsanwaltschaft die Parteizentrale durchsucht hat. Aber das würde der eigenen Wahlkampagne ja auch wenig nützen. Marine Le Pen inszeniert sich dort als sanfte Beschützerin oder gleich als volksnahe Retterin ganz Frankreichs, als moderne Jeanne d'Arc. Auf Facebook hat Le Pen mehr als 1,2 Millionen Fans. Zum Vergleich: AfD-Chefin Frauke Petry liegt bei 190 000.
Der FN hatte als erste französische Partei eine Website
Die französischen Rechtspopulisten bespielen ihre Social-Media-Kanäle seit Jahren höchst effizient. Schon Mitte der 90er richtete der FN eine Website ein - als erste Partei in Frankreich. "Für den Front National ist der Wahlkampf im Internet besonders wichtig, da viele Anhänger sich nicht öffentlich bekennen wollen. Im Netz hat man dagegen eine gewisse Anonymität", erklärt Stefan Seidendorf vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg.
Das Epizentrum ihrer Internetaktivitäten ist Le Pens Wahlkampfbüro "l'Escale" ("Zwischenstopp"), es liegt auf 300 m² in einem Wohnhaus im Westen von Paris, gleich in der Nähe des Élysée-Palasts. Mehr als ein Dutzend Mitarbeiter sind dort nur für ihren Social-Media-Auftritt tätig. Täglich laden sie mehrere Videos hoch, und das nicht nur auf Marine Le Pens eigener Facebook-Seite, sondern auch auf den unzähligen Parteiseiten. Le Pens Stil dort ist konservativ. Emotionale Tweets mit vielen Ausrufezeichen wie man sie von einem anderen Politiker jenseits des Atlantiks kennt, sind selten.
Attacken aus der "Faschosphäre"
Was nicht bedeutet, dass der FN-Wahlkampf im Internet nicht schmutzig abläuft - die Angriffe laufen nur meist nicht von den offiziellen Accounts der Partei und ihrer Kandidaten aus ab, sondern von vielen kleineren Seiten, die nicht klar zuzuordnen sind. Für die vielen Online-Unterstützer des Front National hat sich in Frankreich sogar ein eigener Begriff etabliert: "Fachosphère" ("Faschosphäre"), nach einem investigativen Buch zweier Journalisten.
Frankreich:Marine Le Pen, die Unberührbare
Die Front-National-Chefin muss sich mit einigen Korruptionsaffären herumschlagen - das scheint der französischen Präsidentschaftskandidatin aber nicht zu schaden.
Auf Twitter werden Kampagnen geführt und eigene Hashtags gegen die anderen Kandidaten etabliert. So kursiert ein Twitter-Account names Farid Fillon, hinter dem FN-Aktivisten vermutet werden. Das Profilbild zeigt den konservativen Kandidaten François Fillon gephotoshopt mit Salafisten-Bart und Turban. Für Emmanuel Macron wurde das Twitter-Profil Djamel Macron eingerichtet. Le Pen meinte darauf angesprochen im französischen Fernsehen: "Alles was keine Beleidigung oder Diffamierung ist, fällt unter Meinungsfreiheit." Die Accounts wären aber nicht vom FN, fügte sie hinzu.
Zuletzt konzentriert sich die Arbeit gegen ihre Kontrahenten vor allem auf Macron. Auf der Facebook-Seite des FN finden sich eigene Erklärvideos, die den "wahren Macron" zeigen. Der Präsidentschaftskandidat wird dabei mit verzerrter Fratze dargestellt, der Frankreich mit seinen Problemen alleine lasse. "Macron wird immer stärker, auch in sozialen Netzwerken gewinnt er an Zuspruch. Deshalb richtet sich der Widerstand als Erstes gegen ihn", sagt Experte Seidendorf. Auch wenn die anderen Kandidaten Fillon, Benoît Hamon oder Jean-Luc Mélenchon ebenfalls im Netz aktiv sind - aber sie erzielen dort eben nur halb so viel Reichweite.
Der unabhängige Kandidat Macron hingegen hat innerhalb kürzester Zeit eine Bewegung mit Hunderttausenden Unterstützern aufgebaut - er ist der große Überraschungsfavorit dieser Wahl. "En Marche!" hat er seine Plattform genannt, "Vorwärts!". Abgekürzt wird sie auch einfach EM genannt, was wiederum auch für Emmanuel Macron stehen kann.
Ihm werden derzeit die besten Chancen eingeräumt, nächster Präsident Frankreichs zu werden. Und er steht Marine Le Pen in Sachen Selbstinszenierung in nichts nach. Als Macron Anfang März in Paris sein Programm vorstellte, tat er das vor 350 Journalisten. Zuvor servierte sein Team die Inhalte häppchenweise über Wochen hinweg. Die Rede schließlich wurde auf Twitter, Facebook und Youtube live gestreamt und kommentiert. Tausende schauten zu.
Netzwerk über die Grenzen Frankreichs hinaus
Noch liegt Macron in der Währung Facebook-Fans zwar weit hinter Le Pen (mit 200 000 zu 1,2 Millionen). Aber der frühere Finanzminister hat in nur wenigen Monaten ein großes Netz an Unterstützern aufgebaut, über die Grenzen Frankreichs hinaus. Im Internet vernetzen sich Tausende in lokalen Komitees. Auch in Deutschland ist "En Marche!" aktiv. Auslandsfranzosen organisieren in Berlin oder München Veranstaltungen. Stilisiert wird er dabei auch zu einer Art französischer Barack Obama oder wenn es eine Nummer kleiner sein soll, zu Justin Trudeau. In kurzen Videobotschaften richtet Macron sich fast täglich direkt an seine Unterstützer, jeder seiner Schritte wird auf Twitter und Facebook begleitet.
In der Inszenierung zeigen sich dabei durchaus Parallelen zu Marine Le Pen - auch wenn sie inhaltlich grundverschieden sind und Macron im Gegensatz zur FN-Chefin einen durch und durch positiven Wahlkampf führt. Beide stilisieren sich als Erneuerer Frankreichs, als eine Alternative zum verkrusteten Politsystem der Fünften Republik. Dabei verschwinden die Inhalte auch manchmal hinter dem Auftritt. Beide wollen zudem die politikverdrossenen Nichtwähler mobilisieren und bedienen sich dabei moderner Kommunikationskanäle. Nur als Katzenliebhaber hat sich Macron noch nicht hervorgetan.