Fromm stellt Verfassungsschutzbericht 2011 vor:Versuchte Ehrenrettung

Innenminister Friedrich will das Bundesamt für Verfassungsschutz erhalten, dessen Präsident Fromm seinen eigenen guten Ruf. Darum kein Wort zu den Opfern, kein Wort zu den Hinterbliebenen. Das Versagen des Amtes, die Morde der NSU, das nennen sie "unglückselige Angelegenheit" oder "Misserfolg". Schafft man so neues Vertrauen?

Thorsten Denkler, Berlin

Vor den gläsernen Türen zum großen Saal der Bundespressekonferenz stapeln sich neben einem Tisch die Kisten mit dem offenbar noch geheimen Inhalt: der Verfassungsschutzbericht 2011. Und als wollten die Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz etwas beweisen, wachen sie darüber, dass die Kisten ja nicht eine Minute vor der Zeit geöffnet werden.

Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2011

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm (rechts) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2011. Fromm will das Amt nicht mit dem Eindruck hinterlassen, dort hätten nur Stümper und Dilettanten gesessen. Friedrich assistiert ihm bei diesem Versuch der Ehrenrettung.

(Foto: dapd)

Die Situation entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Da werden im Amt unkontrolliert Akten geschreddert, die vielleicht zur Aufklärung der NSU-Morde hätten beitragen können. Da laufen gegen drei Mitarbeiter des Amtes Disziplinarverfahren. Da zeigt sich das Amt über Jahre hinweg nicht in der Lage, die neun Morde des Terror-Trios als rechtsradikale Taten zu identifizieren. Und hier wird penibel darauf geachtet, dass ein Bericht, der in Teilen längst in den Medien gelandet ist, nicht zu früh verteilt wird.

Es ist der letzte Jahresbericht, den der scheidende Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm vorstellen "darf", wie er sagt. Wofür er "froh und dankbar" sei. Mehr Gefühle will er sich, was diesen Tag angeht, nicht zubilligen. Nach knapp zwölf Jahren an der Spitze des Amtes hat er sich in den vorzeitigen Ruhestand versetzen lassen, weil Mitarbeiter versucht haben, besagte Aktenschredderung am 11. November 2011 zu vertuschen.

An seiner Seite sitzt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, der Fromm pflichtschuldig seinen Dank ausspricht. "Sie haben mir nie Grund zu Misstrauen gegeben", sagt Friedrich. Es gehört schon eine gewisse Abgebrühtheit dazu, so einen Satz als Kompliment zu verstehen. Dem CSU-Mann fehlt es da zuweilen an Sensibilität. Als Beleg dafür darf wohl auch gelten, dass er ausgerechnet an diesem Tag Fromms Nachfolger Hans-Georg Maaßen vom Bundeskabinett hat bestellen lassen.

Auf die Frage, ob das der gebotenen Fairness gegenüber Fromm entspreche, antwortet Friedrich lapidar, es sei schließlich Fromm gewesen, der um Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand gebeten habe. Da sei es doch klar, dass ein Nachfolger bestellt werde. Damit habe Fromm "auch gerechnet".

Fromm lächelt gequält. Er hat an diesem Tag nur eine Mission: Er will das Amt nicht mit dem Eindruck hinterlassen, dort hätten unter seiner Führung nur Stümper und Dilettanten gesessen. Friedrich assistiert ihm bei diesem Versuch der Ehrenrettung immerhin, zählt Erfolge auf. Es seien seit 2001 mit Hilfe des Verfassungsschutzes sieben islamistische Anschlagsversuche vereitelt und acht islamistische Vereinigungen verboten worden. Gegen Salafisten sei genauso erfolgreich vorgegangen worden wie gegen rechtsextreme Gruppen. Neun Neonazi-Vereine seien seit 1989 verboten worden, weil das BfV die nötigen Informationen geliefert habe.

Nur die neun Morde der NSU, die hatten die Verfassungsschützer nicht auf dem Schirm. Vor einem Jahr noch hat das Amt ausdrücklich betont, es gebe keinen Hinweis auf rechtsterroristische Aktivitäten. Ein halbes Jahr später wurden die NSU-Morde bekannt.

Misserfolg oder Amtsversagen?

Friedrich nennt dies mehrfach einen den wenigen "Misserfolge" des Amtes. Ein Wort, in dem - anders als im wohl zutreffenden Begriff Amtsversagen - das Wort "Erfolg" breiten Raum einnimmt.

Fromm arbeitet sich durch die Kernpunkte des 368 Seiten starken Berichtes, als wäre es ein Bericht wie jeder andere in seiner langen Amtszeit. Zuerst beschreibt er ausführlich die Gefahren durch den islamistischen Terror. Dann noch ein Exkurs zu den Salafisten, genauer zu den gewaltbereiten, dschihadistischen Salafisten. Zuletzt der Rechtsextremismus (eher rückläufig) und der Linksextremismus (eher zunehmend).

Über die NSU verliert er nur wenige Worte. Im Bericht wird auf fünf Seiten der aktuelle Stand der Erkenntnisse zusammengefasst. Neue Informationen finden sich nicht.

Fromm beschränkt sich auf eine allgemeine Formel für die Gefahr von rechts: Es könne "nicht ausgeschlossen" werden, dass "Einzelne sich diese Taten zum Vorbild nehmen". Auf diese Passage im Bericht wolle er "besonders" hinweisen. Das klingt und liest sich wie die Allergie-Hinweise auf Lebensmittelverpackungen: Es könnten Spuren von Nüssen enthalten sein. Einziges Ziel: sich nur nicht angreifbar machen.

Eine Frage an Minister Friedrich regt Fromm nachhaltig auf. Ob der denn sicher sei, das alle Zahlen und Fakten im Bericht verlässlich seien. Friedrich wehrt die Frage ab; er habe keinen Grund daran zu zweifeln. Fromm lässt erkennen, dass er die Frage einigermaßen unverschämt findet. "Warum sollten solche Zahlen nicht belastbar sein?", fragt er. Der Generalverdacht, unter dem sein Haus seit Bekanntwerden der NSU-Morde stehe, passt ihm ganz und gar nicht. "Ich bin nicht bereit, all das, was an Positivem geleistet worden ist, zu ignorieren!" Das wäre gegenüber den Mitarbeitern geradezu "unfair".

Das Vertrauen ist "erschüttert"

Fromm geht es hier um die historische Bewertung seiner Arbeit. Friedrich geht es dagegen um den Erhalt des Amtes, das er für einen "unverzichtbaren Pfeiler in der deutschen Sicherheitsarchitektur" hält. Wenn auch vielleicht künftig in anderer Form. Friedrich will das Amt reformieren, hat dafür Arbeitsgruppen und Kommissionen eingerichtet. "Es muss darum gehen, eine Reform durchzusetzen, um das Vertrauen wiederherzustellen."

Vertrauen. Ein wichtiges Wort. "Erschüttert" sei dieses Vertrauen, sagt Friedrich. Und schränkt dann seltsamerweise ein: Das "erschüttert" beziehe sich "vor allem auf die Aktenvernichtung".

Nur auf die Aktenvernichtung also. Kein Wort über die Unfähigkeit einer Mammutbehörde, eine rechte Terrorzelle zu entdecken, die jahrelang mordend durch Deutschland reist. Kein Wort an diesem Tag zu den Opfern, den Hinterbliebenen. Auch von Fromm nicht. Die Morde, er nennt sie eine "unglückselige Angelegenheit", die leider überlagere, welch "erfolgreiche Arbeit" das Amt über die Jahre geleistet habe.

Wäre es ihm und Friedrich hier und heute darum gegangen, neues Vertrauen zu schaffen, sie hätten wohl anders reden müssen. So bleibt es beim Versuch der Ehrenrettung. Wie gesagt: Nur bei dem Versuch.

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