Die Deutsche Demokratische Republik, kurz DDR, trieb Schindluder nicht bloß mit dem Begriff der Demokratie, sondern auch mit dem des Friedens. Ähnliches begegnet heute wieder: dass man „Frieden“ sagt und die Unterwerfung unter eine gewaltsame Übermacht meint. Damals, in der DDR, prangte auf einer Häuserwand im Nikolaiviertel in Ostberlin, wo Funktionäre der Regimepartei SED gerne wohnten, eine große offizielle Inschrift mit einer Taube, und sie lautete: „Berlin – Stadt des Friedens“. Und das inmitten des waffenstarrenden Kalten Krieges, wo sich die Panzer und Raketen von Ost und West direkt gegenüberstanden.
Gegen diesen Missbrauch des Friedensgedankens formierte sich in der DDR eine Bewegung, die nicht zuletzt aus der evangelischen Kirche kam. Deshalb gab es Friedensgebete und Friedenswerkstätten, und es gab mutige Pfarrer, die die leere Rede vom Frieden, welche die kommunistische Diktatur vor sich hertrug, beim Wort nehmen wollten. Einen der großen symbolischen Akte dieser Friedensbewegung, die mit zur Revolution von 1989 führte, verantwortete im Jahr 1983 der Pfarrer Friedrich Schorlemmer.
Er ließ ein Schwert zu einer Pflugschar umschmieden
Er unterrichtete in Wittenberg, der Wirkungsstätte des 500 Jahre zuvor geborenen Reformators Martin Luther, Nachwuchstheologen und war Prediger an der Schlosskirche. Auf dem Kirchentag, der dort stattfand, ließ Friedrich Schorlemmer im Lutherhof ein Schwert von einem Schmied namens Stefan Nau zu einer Pflugschar umschmieden – obwohl der Oppositionsspruch „Schwerter zu Pflugscharen“ eigentlich verboten war. Dieses starke Zeichen der Dissidenz, das militärisches in agrarisches Gerät verwandelte, ging zurück auf Worte des Propheten Micha im Alten Testament: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“
Die Wirkung des Zeichens war groß, auch im Westen, Friedrich Schorlemmer wurde von der Staatssicherheit beobachtet, aber er wurde nicht eingesperrt, er gewann einfach zu viel Autorität durch die Macht seines Glaubens und die Kraft seiner Worte. Er war ein freier Kopf, der die Mächtigen nicht fürchtete, schon 1962, mit 18 Jahren, hatte er den Wehrdienst verweigert. Sein störrisches Beharren auf dem Frieden, der auch Freiheit von Unterdrückung bedeutete, machte ihn zu einer der führenden Figuren der Bürgerrechtsbewegung im Herbst 1989.
Auf der großen Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November, fünf Tage vor dem Mauerfall, lag es auch an besonnenen Stimmen wie Friedrich Schorlemmer, dass das DDR-Regime und die Sowjetmacht von Gewalt gegen die Opposition absahen. Dass die Revolution also friedlich blieb. Schorlemmer forderte zwar unmissverständlich Freiheit und Demokratie: „Wir lassen uns nicht mehr bevormunden.“ Aber er sagte zum Schluss seiner Rede auch: „Aus Wittenberg kommend, erinnere ich Regierende und Regierte – also uns alle – an ein Wort Martin Luthers: Lasset die Geister aufeinanderprallen, aber die Fäuste haltet stille.“
Schorlemmer gründete den „Demokratischen Aufbruch“ mit, wechselte aber noch vor der Wiedervereinigung zu den Sozialdemokraten. Dort wirkte er mit seiner Wortgewalt unermüdlich weiter als Prediger, moralische Autorität, Mahner für Gerechtigkeit und streitbarer Publizist, zeitweise auch als Mitherausgeber der Wochenzeitung Der Freitag.
1993 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, die Laudatio hielt kein Geringerer als der Bundespräsident Richard von Weizsäcker. In seinem Dank redete er auch über eines seiner Lebensthemen, das Verständnis zwischen Ost und West, und sagte über die Verletzungen seit der Wiedervereinigung, von denen heute manche wieder aufbrechen: „Da hatten wir unsere schöne Teilung wieder – mitten in der Einheit.“ Am vergangenen Sonntag ist Friedrich Schorlemmer nach langer Krankheit im Alter von 80 Jahren in Berlin gestorben.