Koalition:Merz entfacht neuen Streit mit der SPD über Steuern und Mindestlohn

Lesezeit: 3 Min.

„Das haben wir so nicht verabredet“: Friedrich Merz dürfte mit seinen Äußerungen neue Unruhe bei den Sozialdemokraten auslösen. (Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa)

Die SPD lobte sich nach der Koalitionseinigung für sinkende Steuern bei niedrigen Einkommen und einen höheren Mindestlohn von 15 Euro. Doch nun widerspricht der designierte Kanzler Friedrich Merz und erklärt: Beides sei noch gar nicht fix.

Von Markus Balser

Dass es den kleinen Leuten bald besser geht – für die SPD war das eigentlich ausgemachte Sache. „Wir werden die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislatur senken“, heißt es im Koalitionsvertrag. Und auch an anderer Stelle feierten die Sozialdemokraten einen Prestigeerfolg: Man werde den Mindestlohn in Deutschland auf 15 Euro anheben, kündigte SPD-Chefin Saskia Esken am Mittwoch im Bundestag an, als das 144-Seiten-Papier öffentlich präsentiert wurde. „Es ist viel drin“, sagte ihr Co-Chef Lars Klingbeil und lobte damit vor allem die sozialdemokratische Handschrift des Vertrags.

Doch schon wenige Tage später ist fraglich, wie viel wirklich für die SPD drin ist. Denn der designierte Kanzler Friedrich Merz stellte am Sonntag beide Vorhaben wieder infrage. „Nein, die ist nicht fix“, sagte der CDU-Chef in einem Interview mit der Zeitung Bild am Sonntag zur Entlastung für kleine Einkommen. Man werde dies nur umsetzen, wenn es der Haushalt hergebe. Die Sorge, dass Arbeitnehmer angesichts steigender Sozialbeiträge und ausbleibender Steuersenkungen am Ende der schwarz-roten Regierungszeit weniger in der Tasche haben, nannte Merz „aus heutiger Sicht sicherlich nicht unberechtigt“.

Auch an anderer Stelle droht nur vier Tage nach der Einigung auf einen Koalitionsvertrag neuer Ärger. Denn Merz widersprach der SPD-Führung auch bei dem für 2026 angekündigten höheren Mindestlohn. „Das haben wir so nicht verabredet“, sagte Merz. Vereinbart sei lediglich, dass die Mindestlohnkommission „in diese Richtung denkt. Es wird keinen gesetzlichen Automatismus geben“. Der Mindestlohn könne „zum 01.01.2026 oder 2027“ bei dieser Höhe liegen, sagte Merz weiter.

Mit ausgelöst haben den Streit in beiden Fällen Formulierungen im Koalitionsvertrag, die viel Interpretationsspielraum lassen. So unterliegen Steuersenkung wie alle anderen Maßnahmen dem Vorbehalt, dass sich die Pläne finanzieren lassen. Im Koalitionsvertrag heißt es zudem, dass ein Mindestlohn von 15 Euro 2026 „erreichbar“ sei. Derzeit liegt er noch bei 12,82 Euro pro Stunde.

Koalitionsvertrag
:Welche Partei welche Ministerien bekommt

Die Verteilung der Häuser sagt viel über die Prioritäten der Parteien aus. Worauf Union und SPD sich geeinigt haben.

Von Michael Bauchmüller und Vivien Timmler

Der öffentliche Vorstoß aus der Union löst in der SPD Kopfschütteln aus. Die Partei lässt ihre Mitglieder von Dienstag an bis zum 29. April über den Koalitionsvertrag abstimmen. Merz’ Querschuss könne das Ergebnis negativ beeinflussen, heißt es warnend aus der Fraktion. Am 30. April soll bekannt gegeben werden, ob die Sozialdemokraten dem Plan für eine gemeinsame Regierung zustimmen. Bei der Union soll am 28. April ein kleiner Parteitag mit Vertretern der Bundestagsfraktion und der Länder die Koalitionsvereinbarung absegnen. Merz könnte dann bei einer Zustimmung am 6. Mai zum Kanzler gewählt und vereidigt werden – sofern beide Seiten zustimmen.

Doch der Weg zu einer gemeinsamen Regierung könnte holprig werden. Denn die SPD signalisiert bei den Vorhaben, hart bleiben zu wollen. „Die SPD steht zu ihrem Wort: Leistung muss sich lohnen – für die hart arbeitende Mitte, nicht nur für wenige“, sagt Fraktionsvizechefin Dagmar Schmidt. „Wir haben im Koalitionsvertrag klar die Orientierung am europäischen Mindestlohnziel, also 60 Prozent des Medianlohns, verankert.“ Damit sei der Weg geebnet: „Der Mindestlohn wird sich dynamisch bis 2026 in Richtung 15 Euro entwickeln – das stärkt Millionen Beschäftigte, entlastet die sozialen Sicherungssysteme und ist wirtschaftlich vernünftig.“ Deutschland brauche gerechte Löhne „und keine Steuergeschenke für Spitzenverdiener. Wir sagen klar: Die Krisen unserer Zeit lassen sich nur solidarisch meistern.“

Die IG Metall besteht auf der „Weiterentwicklung des Mindestlohns“

Auch die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, mahnte eine „Weiterentwicklung des Mindestlohns“ an. Entsprechendes zu vereinbaren, dafür sei „die Mindestlohnkommission der richtige Ort“, sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Im Übrigen werde die IG Metall die künftige Regierung „wachsam begleiten“. Eine Entlastung für kleine und mittlere Einkommen über steuerliche Instrumente sei „geboten“.

Aus der Opposition kommt ätzende Kritik an Merz. „Ich ahne nichts Gutes, wie ein zukünftiger Kanzler schwierige Entscheidungen treffen wird, wenn er jetzt schon vor Lobbyinteressen in die Knie geht und diese lieber bedient, als die Mitte der Gesellschaft zu entlasten“, sagt Co-Chefin Franziska Brantner der SZ. „Noch bevor die Mitglieder und die Gremien der Parteien zum Koalitionsvertrag befragt sind, stellen führende Leute aus Union und SPD bereits öffentlich infrage, was vereinbart ist“, sagt auch Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann. Zentrale Herausforderungen wie Rente, Pflege und Beiträge für Krankenversicherung würden dagegen nicht angegangen und in Kommissionen verschoben. „Das wird vor allem den künftigen Generationen nicht gerecht“, sagt Haßelmann.

Beim Thema Steuern lagen Union und SPD in den Koalitionsverhandlungen so weit auseinander wie bei kaum einem anderen. Zuletzt war bekannt geworden, dass die Koalitionsverhandlungen deshalb fast geplatzt wären. CDU und CSU wollten Steuern für Unternehmen, aber auch für Bürger mit großen und kleinen Einkommen senken. Die SPD wollte dagegen stärker umverteilen. Sie plante Steuersenkungen für Gering- und Normalverdiener, wollte aber dafür Mehrbelastungen für Vermögende und Erben.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Protokoll der Regierungsbildung
:„Da ist vielen von uns der Kragen geplatzt“

Im Wahlkampf waren Friedrich Merz und Lars Klingbeil Gegner. Dann mussten sie sich zusammenraufen, während die Welt außer Kontrolle zu sein schien. Die Geschichte einer schwarz-roten Annäherung, die am Ende noch in Gefahr geriet.

SZ PlusVon Georg Ismar, Nicolas Richter, Henrike Roßbach, Robert Roßmann und Vivien Timmler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: