Süddeutsche Zeitung

Konkurrenz um CDU-Vorsitz:Merz fehlt die Spielpraxis

Als Politiker ohne Amt und Mandat hatte der Sauerländer im Rennen um den CDU-Parteivorsitz zuletzt Nachteile. Bei einem Event in Düsseldorf ficht ihn das nicht an. Er sieht sich "vorne".

Von Boris Herrmann, Düsseldorf

Moment mal, eine Großveranstaltung in der Düsseldorfer Bundesliga-Arena? Da klingen doch noch die Worte von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet nach, der so ein Vorhaben unlängst als "kein gutes Signal" bezeichnete. Sein bayerischer Kollege Markus Söder, wie gewohnt etwas zupackender in der Ausdrucksweise, sprach gar von einer "katastrophalen Signalwirkung für das ganze Land". In der Sache waren sich Laschet und Söder da mal ausnahmsweise einig: Angesichts steigender Infektionszahlen besteht derzeit wenig Anlass, die seit Monaten aus guten Gründen sehr spärlich besuchten Fußballstadien auf andere Weise mit Zuschauern zu füllen. Und jetzt kommt da tatsächlich Friedrich Merz aus dem Spielertunnel.

Wild entschlossen und hochkonzentriert schreitet Merz in Richtung Anstoßpunkt, als ob er vorhabe, gleich ganz Paris Saint-Germain im Alleingang zu besiegen. Das wirkt nicht nur deshalb etwas befremdlich, weil es sich hier letztlich halt doch nur um das Stadion des Zweitligisten Fortuna Düsseldorf handelt. Höchst seltsam ist der Anblick auch deshalb, weil sie eigens für Merz einen roten Teppichstreifen über den grünen Rasen gerollt haben, der ihn direkt ins Mittelfeld führt. Und da ist an 51 runden Tischen bereits für gut 500 Dinner-Gäste eingedeckt. Merz kommt gerade noch rechtzeitig zur Vorspeise. Geeistes Gurken-Wasabi-Süppchen mit Eismeergarnelen und Limettensorbet.

Nochmal kurz zurück zu Laschet und Söder, die an diesem Montagabend selbstredend nicht unter den Süppchen-Essern sind. Fairerweise muss man dazu sagen, dass sich die beiden bei ihrer Warnung vor potenziellen Superspreader-Events in zweckentfremdeten Fußballstadien nicht auf eine Dinner-Podiumsdiskussion mit Friedrich Merz rund um den Mittelkreis bezogen. Ihnen ging es vielmehr um das an Ort und Stelle geplante Pop-Konzert mit Bryan Adams, Sarah Connor und 13 000 Zuhörern in knapp zwei Wochen. Und doch wird man das Gefühl nicht los, dass dieser Merz-Auftritt nicht unbedingt zur Beruhigung der Unions-Gemüter im Kanzlerkandidatenkomplex beitragen wird.

Merz macht klar: Er selbst wird nicht zurückziehen

"Wir reden natürlich miteinander", sagt Merz zum Auftakt über seine Konkurrenten um den CDU-Vorsitz, die nach Lage der Dinge Armin Laschet und Norbert Röttgen heißen. Dann merkt er an: "Ich habe nichts dagegen, wenn einer der beiden Mitbewerber nicht kandidiert." Er selbst werde jedenfalls nicht zurückziehen, das hält er gleich mal fest.

Da die SPD ihre Personalfragen einstweilen geklärt und damit plötzlich einen Wettbewerbsvorteil hat, wird ja seit einigen Tagen in der CDU wieder verstärkt über eine sogenannte "einvernehmliche Lösung" geredet. Die scheidende Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer wünscht sich das genau wie Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus. Und Laschet reiste am Montag ganz in den Norden, um gemeinsam mit Schleswigs-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther für den "Team-Gedanken" in der Partei zu werben. Merz mag den Ausdruck nicht, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie ihn Laschet aus seiner Sicht verwendet: "Merz soll aufhören, zu kandidieren und dann sind wir ein Team. Das ist aber nicht meine Vorstellung von einem Team", sagt Merz.

Überhaupt findet er nichts Verwerfliches dabei, eine so wichtige Personalentscheidung auf dem Parteitag im Dezember mit Alternativen wählen zu lassen. "Wir sind doch nicht in der DDR", ruft Merz. Und da lachen sie natürlich an den weiß gedeckten Tischen im Düsseldorfer Stadion. Der aus Infektionsschutzgründen hierher verlegte "Ständehaus-Treff", in dessen Rahmen Merz spricht, ist ein traditionsreiches High-Society-Event in dieser Stadt. Neben den Ersatzbänken wurden zu Deko-Zwecken noch zwei Porsche platziert.

Das hier geplante Konzert mit Bryan Adams und Sarah Connor soll ein Hoffnungszeichen für die gesamte Live-Musik-Industrie werden. Merz geht es da, auf seine Weise, ganz ähnlich. Auch er bräuchte mal wieder ein Hoffnungszeichen. Als Politiker ohne Amt und Mandat hat er seine Aussichten im Rennen um den Parteivorsitz in den vergangenen Monaten nicht eben verbessern können.

Er selbst sieht das zwar anders, "ich liege in allen Umfragen in der Partei und in der Öffentlichkeit vorne". Aber Moritz Döbler, Chefredakteur der Rheinischen Post, hält sich als Moderator des Gesprächs gar nicht erst mit Wohlfühlfragen auf und erinnert stattdessen an eine Erhebung, die jüngst einen deutlichen Popularitätsverlust für Merz seit Beginn der Corona-Krise auswies. Der entgegnet, er tauche da in einer Umfrage auf, in die er nicht reingehöre, weil er nämlich im Moment gar kein Politiker sei. Was denn dann, fragt Döbler. "Ich bin zurzeit freiberuflich tätig", sagt Merz.

Wenn ihm der Satz im weiteren Verlauf der innerparteilichen Kampagne mal nicht noch auf die Füße fällt. Im Fußball würde man sagen: Ihm fehlt nach der langen Pause wohl noch ein wenig die Spielpraxis.

Das letzte Heimspiel der Fortuna vor vollen Rängen fand Ende Februar statt. Damals spielte Düsseldorf noch in der Ersten Liga und die Gäste von Hertha BSC versuchten gerade, die filmreife Flucht ihres Trainers Jürgen Klinsmann zu verstehen. Friedrich Merz reiste in jenen Tagen wie ein Popstar auf Comeback-Tournee durch die Lande, an seiner Krönung zum Parteichef, der den angestaubten Laden demnächst mal ordentlich umkrempeln würde, schien kaum noch ein Weg vorbeizuführen. Lange her.

"Söder hat eine ziemlich hohe Flughöhe eingenommen"

Als ewiges Gegenmodell zu Angela Merkel wirkt er inzwischen ein bisschen aus der Zeit gefallen. Die Kanzlerin ist jetzt wieder so beliebt wie selten zuvor. Merz behält seine gesammelten Merkel-Kritiken deshalb lieber für sich. Er sagt stattdessen: "Wir hatten schwierige Zeiten. Und ich glaube, wir haben jetzt wieder gute Zeiten."

Das öffentliche Genörgel am Krisenmanagement von Armin Laschet findet er "teilweise überzogen". Auf Röttgen wird er erst gar nicht angesprochen. Und zu den Ambitionen von CSU-Chef Markus Söder auf die Kanzlerkandidatur, die es ja erstens gar nie gegeben hat und zweitens gerade eine Testpanne überstehen musste, sagt Merz den erstaunlichen Satz: "Söder hat eine ziemlich hohe Flughöhe eingenommen und da stürzt man halt ein bisschen weiter ab."

Alles in allem sieht er sich also bestens positioniert für die kommenden Wochen und Monate. Das Corona-bedingte Schneckenrennen um die Macht in der Union darf nach seinem Geschmack jetzt ruhig wieder ein wenig Fahrt aufnehmen.

Fragt sich nur, ob der Parteitag im Dezember in Stuttgart überhaupt stattfinden kann, wenn sich die zweite Welle noch weiter hochschaukelt. Der Parteitag sei "unverzichtbar", sagt Merz. Und er hätte auch schon eine Idee, wie es zur Not gehen könnte: Wie hier in Düsseldorf, im Fußballstadion. Tatsächlich wirkt die Arena an diesem Abend trotz ihrer 500 Dinner-Gäste angenehm (um nicht zu sagen gespenstisch) leer. Aber von der Größenordnung wäre das schon fast ein halber CDU-Parteitag.

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