AußenpolitikDer Sultan lässt bitten

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Sie hoffen auf gute Stimmung: Bundeskanzler Friedrich Merz (li.) fliegt zu Gesprächen mt dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach Ankara – hier beide im Mai in der albanischen Hauptstadt Tirana.
Sie hoffen auf gute Stimmung: Bundeskanzler Friedrich Merz (li.) fliegt zu Gesprächen mt dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach Ankara – hier beide im Mai in der albanischen Hauptstadt Tirana. (Foto: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa)
  • Bundeskanzler Friedrich Merz reist an diesem Mittwoch zu einem Antrittsbesuch nach Ankara, um mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan zu sprechen.
  • Im Zentrum der Gespräche stehen der Friedensprozess im Gazastreifen und eine mögliche Rolle der Türkei bei der Beendigung des Ukraine-Krieges.
  • Deutschland hofft auf Erdoğans Einfluss auf die Hamas und seine Vermittlerrolle, während die Türkei von der kürzlich genehmigten Eurofighter-Lieferung profitiert.
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Ob Gaza, Syrien oder die Ukraine: Am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan führt kaum ein Weg vorbei. Das wird den Antrittsbesuch von Bundeskanzler Friedrich Merz in Ankara prägen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Wenn es Zufall war, dann aus Sicht des Kanzlers ein glücklicher. Zwei Tage, bevor Friedrich Merz an diesem Mittwoch zu einem Antrittsbesuch in der Türkei aufbricht, ist der britische Premierminister Keir Starmer in Ankara zu Gast gewesen. Mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan unterzeichnete Starmer einen Waffendeal, auf den der Türke schon seit Jahren gedrungen hatte. Die Türkei erwirbt 20 neue Eurofighter-Kampfflugzeuge im Wert von etwa 9,2 Milliarden Euro. Es ist ein Geschäft, das viel zu tun hat mit den Ambitionen Erdoğans, erhebliche Sorgen auslöst in Griechenland und Israel – und das lange durch Widerstand aus Berlin gebremst worden war.

Deutschland ist an dem Gemeinschaftsprojekt beteiligt; ihre daher nötige Zustimmung hatte die Bundesregierung zu Ampel-Zeiten vor allem auf Druck der Grünen verweigert. Erst im Sommer gab der Bundessicherheitsrat grünes Licht. Nun darf Merz Erdoğans gute Laune ernten und womöglich auf Gegenleistungen hoffen. Der Deal steht für einen grundlegenden Wandel in den Beziehungen zur Türkei in einer Welt, die zunehmend von selbstbewussten und häufig selbstherrlichen Potentaten geprägt wird. Mitte Oktober nutzte Merz eine Regierungserklärung für einen ausdrücklichen Dank an führende Köpfe dieses Clubs für ihren Einsatz, den „schrecklichen Krieg“ im Gazstreifen zu beenden.

Israel sieht Erdoğans Rolle mit gemischten Gefühlen

Neben US-Präsident Donald Trump nannte Merz den ägyptischen Staatspräsidenten Abdel Fattah al-Sisi, den Emir von Katar, Tamim bin Hamad al-Thani – und eben Erdoğan. Der türkische Präsident spielt in dem Konflikt eine schillernde Rolle. Während des Gazakriegs hatte er Israel mit Völkermord-Vorwürfen überzogen und sich als Unterstützer der islamistischen Hamas profiliert, die er nicht als Terrororganisation behandelt, sondern als Freiheitsbewegung feiert. Eben deshalb galt Erdoğan neben dem Emir von Katar bei den Verhandlungen für einen Waffenstillstand als Schlüsselfigur mit Einfluss auf die Hamas. In Israel wird Erdoğans Rolle mit gemischten Gefühlen gesehen. Aus Jerusalem wird die Bundesregierung jedenfalls davor gewarnt, zu sehr auf die guten Absichten des Türken zu vertrauen.

Nur, so sieht man es in Berlin, gibt es zum machtbewussten türkischen Präsidenten keine wirkliche Alternative. Im Gespräch des Kanzlers mit Erdoğan soll der Friedensprozess für den Gazastreifen eine zentrale Rolle spielen. Ohne Druck des türkischen Präsidenten, lautet die Einschätzung, werden die Hamas-Kämpfer ihre Waffen nicht niederlegen. Hebel dafür hätte Erdoğan, gilt die Türkei doch als einer der wesentlichen Rückzugsräume und wohl auch als Finanzquelle der Hamas. Was Deutschland mitbringt, sind der Draht nach Israel sowie Geld und Know-how für den Wiederaufbau im Gazastreifen. In einem vermutlich ausführlichen Vieraugengespräch des Kanzlers mit dem Präsidenten dürfte es daher auch um eine gewisse Arbeitsteilung gehen.

Erdoğan ist, das weiß Merz spätestens seit einem Treffen während des Nato-Gipfels im Juni in Den Haag, kein wirklich einfacher Gesprächspartner. Der 71-Jährige legt Wert auf Formalitäten und verliest gerne ausführlich aus seinen Unterlagen. Dem Kanzler ist er aber erkennbar gewogen, was nicht unwesentlich mit der zu Zeiten seines Vorgängers Olaf Scholz verzögerten Eurofighter-Entscheidung zu tun haben könnte. Obwohl das offiziell nicht auf dem Programm steht, wird damit gerechnet, dass der Präsident am Donnerstagabend zu seinem „spontanen“ Abendessen bittet.

Im Ukraine-Konflikt beansprucht Ankara eine Art Neutralität

Da soll die gute Stimmung möglichst nicht verdorben werden. Treffen mit Politikern der unter Verfolgung leidenden Opposition oder mit Menschenrechtlern sind nicht geplant, wobei dies bei Antrittsbesuchen auch nicht üblich sei, wie es aus der Bundesregierung heißt. Den offiziellen Teil seiner Reise beginnt Merz am Donnerstag mit einer Kranzniederlegung am Atatürk-Mausoleum. Danach ist ein Treffen mit deutschen und türkischen Wirtschaftsvertretern geplant. Das bilaterale Handelsvolumen beider Länder erreichte 2023 nach Angaben der Bundesregierung einen Rekordwert in Höhe von etwa 55 Milliarden US-Dollar (47 Milliarden Euro). Mehr als 500 deutsche Unternehmen seien in der Türkei tätig.

Dem schwer zu stillenden Bedürfnis Erdoğans, die Türkei und ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Großmachtambitionen gewürdigt zu sehen, dürfte Merz, so gut es geht, entgegenkommen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Erdoğan sich nicht nur im Gaza-Konflikt unverzichtbar gemacht hat, sondern etwa auch in Syrien die entscheidenden Fäden zieht. Noch wichtiger dürfte aus Sicht von Merz sein, welche Rolle der Türke bei den Bemühungen zur Beendigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine spielen könnte. Erdoğan hatte sich von Anfang an als Vermittler mit guten Beziehungen sowohl nach Moskau als auch nach Kiew angeboten. In der Türkei fanden mehrmals russisch-ukrainische Verhandlungen statt. Erdoğan vermittelte ein mittlerweile obsoletes Getreideabkommen.

Obwohl sie Nato-Mitglied ist, beansprucht die Türkei eine Art Neutralität in dem Konflikt. Einerseits liefert sie Waffen an die Ukraine. Andererseits beteiligt sie sich nicht an Sanktionen gegen Moskau und bietet so für den russischen Handel ein wichtiges Schlupfloch. Bei den Bemühungen, stärkeren wirtschaftlichen Druck auf Russlands Gewaltherrscher Wladimir Putin auszuüben, könnte die Türkei also eine wesentliche Rolle spielen – wenn Erdoğan es wollte. Zuletzt hatten die chaotischen Friedensbemühungen von US-Präsident Trump fast alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Erdoğans Naturell entspräche nun der Versuch, auch hier wieder eine größere Rolle zu spielen.

Aus Sicht der Opposition sollte Merz Erdoğan dennoch Kritik nicht ersparen. „Die kontinuierliche Einschränkung von Grundrechten und die Inhaftierung politischer Gegner darf der Kanzler nicht ignorieren“, sagte der Grünen-Politiker und Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, der Süddeutschen Zeitung. Erdoğan müsse politische Gefangene wie Oppositionsführer Ekrem İmamoğlu umgehend freilassen und demokratische Verfahren sicherstellen.

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