Biografie über Friedrich EbertRufmord am Reichspräsidenten

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Unruhige Republik: Reichspräsident Friedrich Ebert 1922 in Berlin.
Unruhige Republik: Reichspräsident Friedrich Ebert 1922 in Berlin. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Verlacht, verleumdet, verhasst: Walter Mühlhausens Ebert-Biografie zeigt eindrucksvoll, wie Demokratiefeinde das Ansehen des SPD-Politikers und der Republik systematisch zerstörten.

Rezension von Werner Bührer

Zu seinem Todestag vor 100 Jahren haben jüngst viele Politiker und Publizisten an Friedrich Ebert erinnert, den einzigen demokratisch gesinnten Reichspräsidenten der Weimarer Republik – der unendliche Anfeindungen von links, aber vor allem von rechts zu ertragen hatte. Gerade angesichts der aktuellen Bedrohungen der Demokratie können Lehren, die sich aus dem Umgang prominenter Politiker mit Angriffen auf die Republik, aber auch auf sie persönlich ziehen lassen, durchaus hilfreich sein. Dafür eignet sich kaum etwas besser als die voluminöse Ebert-Biografie von Walter Mühlhausen. Sie erschien erstmals 2006; Autor und Verlag entschieden sich anlässlich des Gedenkjahres für eine lediglich um ein vierseitiges Vorwort erweiterte, ansonsten „ganz überwiegend unveränderte“ Neuauflage, weil sich der Forschungsstand seither kaum verändert habe. Dieser Einschätzung kann man ohne Bedenken zustimmen. Schließlich kennt sich Mühlhausen auf diesem Forschungsfeld bestens aus, war er doch fast 40 Jahre lang in leitenden Funktionen bei der „Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte“ in Heidelberg tätig.

Wie schon der Untertitel verrät, konzentriert sich Mühlhausen auf die Reichspräsidentenzeit. Eberts persönlichen und politischen Werdegang als sozialdemokratischer Arbeiterführer im Kaiserreich und in der Revolution handelt er auf 120 Seiten ab: Geboren als siebtes Kind eines Schneiders in Heidelberg, absolvierte das spätere Staatsoberhaupt nach dem Besuch der Volksschule eine Sattlerlehre. Während der anschließenden obligatorischen Wanderschaft kam er mit der Arbeiterbewegung in Berührung, 1889 wurde er Mitglied der sozialdemokratischen Partei. 1891 führte ihn der Weg nach Bremen, wo er für die Partei und die Sattlergewerkschaft ehrenamtlich arbeitete. 1900 stieg er zum besoldeten Funktionär auf, 1894 heiratete er die 20-jährige Fabrikarbeiterin Louise Rump – eine „Muss-Heirat“. Die Erziehung der fünf Kinder war geprägt von Familiensinn, Ordnungsliebe, Fleiß, Genügsamkeit und Sparsamkeit, also von jenen Werten, die auch ihm mitgegeben worden waren.

„Schlichter zwischen Radikalen und Reformern“

1905, mittlerweile in Berlin, rückte er in den Parteivorstand auf, 1913 wurde er zu einem von zwei Parteivorsitzenden gewählt. Die revolutionären Ereignisse im November 1918 trugen ihn schließlich in den sechsköpfigen „Rat der Volksbeauftragten“, die Übergangsregierung bis zur Konstituierung der Nationalversammlung. Mühlhausen charakterisiert Ebert als „im Grunde theoriefeindlichen Pragmatiker und Reformisten“, als „Schlichter zwischen Radikalen und Reformern“ und einen zutiefst „nationalen Sozialdemokraten“. Diese Eigenschaften bestimmten auch sein Wirken als erster und einziger demokratisch gesinnter Reichspräsident der Weimarer Republik.

Die Kapitel über die Präsidentschaft sind im Wesentlichen chronologisch organisiert, doch gelingt es dem Autor, die Probleme, die eine bestimmte Etappe kennzeichneten, jeweils zugleich systematisch zu erörtern. So erwähnt er im Kapitel über Amt und Aufgabe die Bedenken innerhalb der SPD gegen eine zu sehr auf Ebert zugeschnittene Machtfülle des Präsidenten: Was, wenn „eines Tages ein anderer Mann, aus einer anderen Partei, vielleicht sogar aus einer reaktionären, staatsstreichlüsternen Partei an dieser Stelle“ stehe und „die Verfassung gegen ihren Sinn“ anwende? Das war, wie sich wenige Jahre später zeigen sollte, keine abwegige Befürchtung. Die SPD forderte deshalb, „institutionelle Barrieren“ gegen die präsidiale Machtvollkommenheit zu errichten, drang aber im Verfassungsausschuss damit nicht durch.

Walter Mühlhausen: Friedrich Ebert 1871–1925. Reichspräsident der Weimarer Republik. Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn, 3. erw. Auflage 2025. 1064 Seiten, 68 Euro.
Walter Mühlhausen: Friedrich Ebert 1871–1925. Reichspräsident der Weimarer Republik. Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn, 3. erw. Auflage 2025. 1064 Seiten, 68 Euro. (Foto: J.H.W. Dietz Nachf.)

Im Kapitel über die Reaktionen auf den Versailler Vertrag problematisiert Mühlhausen den auch von Ebert vertretenen Standpunkt – „unerfüllbar, unerträglich und unannehmbar“ – mit Blick auf die langfristigen Folgen des nationalen „Taumels markiger öffentlicher Reden“. Schließlich musste der Reichspräsident bald einsehen, dass es zur Annahme des Vertrags keine realistische Alternative gab. Und im Bemühen, die Reichswehr zum republiktreuen Machtinstrument zu machen, verfolgte Ebert einen aus Sicht der SPD zu nachsichtigen Kurs gegenüber den Militärs, der letztlich ihre „Entrepublikanisierung“ eher förderte als verhinderte. Weitere Themen sind Eberts Rolle bei der Regierungsbildung und sein Gebrauch des Notverordnungsartikels 48 – in seiner Amtszeit erließ er 136 entsprechende Verordnungen, meist zur Sicherstellung von Ruhe und Ordnung und in wirtschafts- und finanzpolitischen Angelegenheiten.

Juristischer Kampf um das Ansehen der Republik

In einem übergreifenden Kapitel gegen Ende des Buches geht Mühlhausen ausführlich auf den mit juristischen Mitteln geführten Kampf um das Ansehen von Amt, Republik und Person ein: Wie kaum ein anderer Politiker stand Ebert im Mittelpunkt einer hasserfüllten, verleumderischen und herabwürdigenden Kampagne demokratie- und republikfeindlicher Kreise. Die „schlichte Lüge wurde zum gängigen Mittel der politischen Auseinandersetzung“. Waren es zunächst „nur“ die „Realität überzeichnende“, aber die Person nicht verunglimpfende Karikaturen, wurden Zeichnungen und Presseartikel bald polemischer und gehässiger, und zwar von rechts- wie linksradikaler Seite. Nach den Morden an Matthias Erzberger und Walther Rathenau entschloss sich Ebert, gegen Beleidigungen und Verleumdungen schärfer vorzugehen: „Der Strafantrag wurde nun sein Kampfmittel für das Ansehen der Republik.“

Erst beim Tod ein Mann des Volkes: Der Sarg des Reichspräsidenten Friedrich Ebert am Bahnhof Potsdam; von dort wurde er in seine Heimatstadt Heidelberg überführt.
Erst beim Tod ein Mann des Volkes: Der Sarg des Reichspräsidenten Friedrich Ebert am Bahnhof Potsdam; von dort wurde er in seine Heimatstadt Heidelberg überführt. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Den Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen stellte ein Prozess in Magdeburg dar, mit dem Ebert den Vorwurf, er habe durch seine Rolle bei einem Streik der Munitionsarbeiter im Januar 1918 Landesverrat begangen, aus der Welt schaffen wollte. Dieses Vorhaben misslang völlig. Der angeklagte Redakteur wurde zwar der Beleidigung des Reichspräsidenten für schuldig befunden, doch gleichzeitig stellte das Gericht in seinem Urteil vom 23. Dezember 1924 fest, Ebert habe durch sein Verhalten während des Streiks Landesverrat begangen. Für die antidemokratischen Kreise, die das Verfahren geschickt genutzt und choreografiert hatten, „entpuppte sich das Schmierentheater von Magdeburg“, so Mühlhausen, als gewaltiger Propagandaerfolg. Da half es nicht, dass zahlreiche Kommentatoren das Urteil als falsch kritisierten. Aus Eberts Sicht war es politischer Rufmord. Die fatalen Folgen machte der sozialdemokratische Rechtsanwalt Hugo Sinzheimer deutlich: Eine solche „‚juristische‘ Verurteilung ist dann die Grundlage für einen mit allen Mitteln der Demagogie hemmungslos geführten Kampf gegen den politischen Gegner“. Ebert ging das Urteil sehr nahe. Endgültig rehabilitiert wurde er erst sechs Jahre nach seinem Tod.

Wäre es politisch klüger gewesen, auf eine Klage zu verzichten? Möglicherweise ja – doch den Vorwurf des Landesverrats glaubte der Reichspräsident nicht ignorieren zu dürfen, zumal er nicht nur ihm, sondern der Weimarer Demokratie insgesamt galt. Welchen Gefährdungen diese Demokratie ausgesetzt war, und welche Probleme es bereitete, die „richtigen“ Mittel und Wege zu ihrer Verteidigung zu finden, das zeigt Mühlhausen mit seiner Würdigung dieses großen Staatsmannes, der unermüdlich für die Zusammenarbeit zwischen demokratischer Arbeiterbewegung und demokratischem Bürgertum warb, auf ebenso beeindruckende wie beunruhigende Weise.

Werner Bührer ist Zeithistoriker. Er lebt in München.

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