Süddeutsche Zeitung

Friedensnobelpreis-Verleihung in Oslo:Europa, wir lieben uns

Amerika kommt gar nicht vor, die Krise eher am Rande: Die Spitze der EU gibt sich auf der Verleihung des Friedensnobelpreises verliebt in die europäische Idee. Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande werden bejubelt. Und auch Helmut Kohl bekommt endlich ein bisschen Nobelpreis.

Von Michael König

Das Lied zum Schluss ist ein bisschen überflüssig. "Dein ist mein ganzes Herz", schmettert da ein Opernsänger im Rathaus von Oslo auf Deutsch: "Sag mir noch einmal, mein einzig Lieb, oh sag noch einmal mir: Ich hab dich lieb!" Als hätten das alle Beteiligten nicht die ganze Zeit getan. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union ist eine einzige Liebeserklärung. Von den Europäern an die Europäer.

Für andere Dinge ist dabei kein Platz: Die USA etwa kommen in keiner einzigen Rede vor. Ihr Anteil an der europäischen Einigung wird ausgeblendet. Und auch die Krise wird eher am Rande abgehandelt. Dabei will in Italien Silvio Berlusconi mit anti-europäischen Parolen einmal mehr Regierungschef werden. Und Großbritanniens Premier Cameron blieb der Veranstaltung in Oslo gleich ganz fern, um seine Haltung zur EU zu untermauern.

Immerhin, vom Kompetenzgerangel innerhalb der EU ist kaum etwas zu spüren. Dabei sollen Diplomaten lange darum gestritten haben, wer genau den Friedensnobelpreis entgegen nehmen darf. Am Ende sind die Repräsentanten der wichtigsten Institutionen alle da: Kommissionspräsident José Manuel Barroso, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlamentes.

Knifflig wird es nur, als alle drei nebeneinander auf dem roten Teppich in das Rathaus von Oslo hinein schreiten wollen, mitsamt Gattinnen. So viel Platz gibt das Geläuf nicht her. Schulz reiht sich vor laufenden Kameras hinten ein. Er ist auch derjenige, der keine Rede halten darf. Obwohl er als Parlamentspräsident insbesondere für die 500 Millionen Bürger in der EU steht, die an diesem Montagabend geehrt werden.

Viele Staats- und Regierungschefs sind gekommen, Angela Merkel und François Hollande vorneweg. Die Bundeskanzlerin und der französische Präsident stehen besonders im Fokus, schließlich war die deutsch-französische Aussöhnung Grundlage für die Europäische Union. "Ihre Anwesenheit macht aus diesem Tag einen besonderen und symbolischen für uns alle", sagt Nobelpreis-Komiteepräsident Thorbjørn Jagland in seiner Rede. Langer Applaus. Merkel und Hollande stehen auf, fassen einander an den Händen und winken in den Saal. Merkel hat feuchte Augen, Hollande lächelt ihr zu.

Jagland nennt den Friedensnobelpreis für die EU "verdient und notwendig". Was die Union erreicht habe, sei "wirklich phantastisch". Sie habe geholfen, die "Bruderschaft zwischen den Nationen und den Frieden zu fördern. Den Frieden, über den Alfred Nobel in seinem Testament gesprochen hat." Nobel, Erfinder des Dynamits, hatte den Preis gestiftet. Er wird seit 1901 jedes Jahr an Nobels Todestag vergeben. Zuletzt hatten US-Präsident Barack Obama (2009), der chinesische Dissident Liu Xiaobo (2010) sowie die Frauenrechtlerinnen Ellen Johson Sirleaf, Leymah Gbowee und Tawakkul Karman (2011) den Preis erhalten.

Und auch Helmut Kohl hat ihn jetzt ein bisschen. Nicht nur als Teil der anonymen Masse, welche "die EU" bildet. Sondern ganz persönlich. "Wir müssen Kohl dafür danken, Verantwortung übernommen und enorme Kosten geschultert zu haben, um Ostdeutschland über Nacht in ein vereintes Deutschland zu führen", sagt Jagland. "Das hat uns allen genutzt, vielen Dank."

Der Altkanzler wird das mit Freude gehört haben, einerseits. Dass er, der seit Jahren als Kandidat für den Friedensnobelpreis gehandelt wird, ihn jetzt noch persönlich erhält, ist andererseits nicht wahrscheinlicher geworden.

Auch dass Jagland kurz darauf von "schwarzen Löchern" spricht, in denen Geld verschwinde, mag Kohl, der in die Spendenaffäre der CDU verwickelt war, irritieren. Jagland bezieht sich jedoch auf die Schuldenkrise in Europa. Ein Land nach dem anderen erlebe wegen "fehlgeleiteter Politik, Korruption und Steuerhinterziehung" derzeit soziale Unruhen. Zwar gehörten Demonstrationen zu einer Demokratie dazu. "Aber die Aufgabe der Politik ist es, die Proteste in konkretes politisches Handeln umzusetzen", sagt Jagland.

Er appelliert an die Zuhörer: "Möge gute Regierungsführung in Europa die Oberhand gewinnen." Dann sagt Jagland "Zusammen leben" in vielen europäischen Sprachen und schließt: "Es liegt an uns." Es ist der vielleicht stärkste Moment seiner Rede. Dann der Auftritt der EU-Troika.

Ratspräsident Van Rompuy und Kommissionspräsident Barroso erhalten die Urkunde, Parlamentspräsident Schulz bekommt die Ehrenmedaille. Van Rompuy übernimmt das Rednerpult. Er hält, wie auch später Barroso, eine persönliche Rede, die großes Selbstbewusstsein ausdrückt. Dabei gelingt es dem Ratspräsident, die feierliche Stimmung der Stunde aufzugreifen.

"Im Jahre 1940 musste mein Vater im Alter von 17 Jahren sein eigenes Grab ausheben", erzählt Van Rompuy vom Überfall der Nazis auf sein Heimatland Belgien. "Er konnte entkommen, sonst wäre ich heute nicht hier." Angesichts solcher Erfahrungen sei es ein mutiger Akt der Gründervater Europas gewesen, den Schritt zur Einigung zu wagen.

Van Rompuy erinnert an Konrad Adenauer und die Montanunion, an Willy Brandt in Warschau, an François Mitterand und Helmut Kohl, Hand in Hand. "All diese Momente haben Europa geheilt", sagt der Ratspräsident. Aber mit symbolischen Gesten allein sei es nicht getan. Als "Geheimwaffe" führe Europa deshalb ständige Verhandlungen, frei nach Jean Monnet, einem der Gründervater Europas: "Es ist besser, sich an einem Tisch zu streiten, als auf einem Schlachtfeld."

Er müsse zugeben, sagt Van Rompuy, dass die Arbeit manchmal mühselig sei. Etwa wenn es um Fischerei-Quoten und Olivenölpreise gehe. Doch die Union habe "die Kunst des Kompromisses" perfektioniert. "Dafür ist langweilige Politik doch ein angemessener Preis", sagt Van Rompuy und erntet Lacher.

Bei Barroso wird anschließend nicht gelacht. Auch der Kommissionspräsident beginnt mit persönlichen Erfahrungen: Er berichtet, wie er 1974 in Lissabon auf der Straße stand, als die Nelkenrevolution die Diktatur in Portugal beendete. Doch seine Rede driftet ab in eine etwas kraftmeierische Bestandaufnahme der Tagespolitik: Die internationale Gemeinschaft habe die Pflicht, sich um Syrien zu kümmern. Europa werde den Euro behalten. Frauenrechte und die Rechte von Kindern seien zu stärken. Und so weiter.

Er sei "demütig und dankbar" angesichts der Verleihung des Friedensnobelpreises und könne sich "keinen besseren Ort vorstellen als Norwegen", sagt Barroso. Das ist dann doch fast ein bisschen lustig: In Norwegen ist die EU gerade so unpopulär wie nie zuvor. Mehr als 70 Prozent sprechen sich in Umfragen gegen den Beitritt aus, den die 4,5 Millionen Skandinavier bereits in zwei Volksabstimmungen 1972 und 1994 gegen den Willen ihrer Regierung abgeschmettert hatten.

Barroso geht auf solche Probleme kaum ein, er sagt: "Sie können auf unsere Anstrengungen zählen, für anhaltenden Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit in Europa und der ganzen Welt zu kämpfen." Das klingt ein bisschen martialisch, ein bisschen nach Weltpolizei. Die EU wird sich an diesen Worten messen lassen müssen.

Linktipp: Auf der Website des Nobelpreis-Komitees sind die Reden im Wortlaut nachzulesen.

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