Welternährungsprogramm:Suppenküche der Welt

Welternährungsprogramm: Südsudan: Eine Frau bereitet Mais zu, das ein Flugzeug im Auftrag der Welternährungsorganisation in der Krisenregion abgeworfen hat.

Südsudan: Eine Frau bereitet Mais zu, das ein Flugzeug im Auftrag der Welternährungsorganisation in der Krisenregion abgeworfen hat.

(Foto: Patrick Meinhardt/AFP)

Allein vergangenes Jahr hat die UN-Organisation fast 100 Millionen Menschen ernährt und damit viele Leben gerettet. Die Hilfe aber wird immer wieder abgezweigt - oder ausgenutzt.

Von Anna Reuß

Für nüchterne Worte ist dies nicht der Moment, die Welt ist in Aufruhr. Jetzt müssen alle zusammenstehen, jetzt müssen alle Staaten die große Herausforderung der Zeit gemeinsam angehen, das Übel gemeinsam bekämpfen.

Aber nicht Covid-19 ist gemeint, nicht die Corona-Seuche, sondern eine andere Pandemie, ein anderer globaler Notstand, der einer gemeinsamen Antwort der Welt bedarf. "Wir dürfen niemals vergessen, dass Hunderte Millionen Menschen, vor allem in den weniger entwickelten Teilen der Welt, an Hunger und Mangelernährung leiden, obwohl eine Reihe von Ländern, auch mein eigenes, Nahrungsmittel im Überfluss produzieren." Das war im Herbst 1960, mitten im Kalten Krieg. Und der Redner war niemand anderes als der amerikanische Präsident Dwight Eisenhower. Damals forderte er die Staatengemeinschaft auf, den Hunger in der Welt zu beseitigen.

Die Ansprache des US-Präsidenten vor den Vereinten Nationen in New York gilt als zentraler Meilenstein für das World Food Programme (WFP). Ein Jahr später wird es gegründet. Der erste große Einsatz ist in Iran. Für Überlebende eines Erdbebens bringt das WFP 1500 Tonnen Weizen, 270 Tonnen Zucker und 27 Tonnen Tee in die Krisenregion. Gedacht war das WFP sozusagen auf Probe, zunächst einmal nur für einen begrenzten Zeitraum. Doch nun besteht es bereits seit fast 60 Jahren. Und auch jetzt bleibt das selbstgesteckte oberste Ziel des WFP in weiter Ferne: "Zero Hunger", null Hunger, eine Welt, in der jeder Mensch ausreichend zu essen hat.

Der Friedensnobelpreis kommt überraschend, ganz gewiss. Andere galten als Favoriten, etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder die Klima-Aktivistin Greta Thunberg. Und doch klingt es nur logisch, wenn die Vorsitzende des Komitees, Berit Reiss-Andersen, als Begründung für die Preisvergabe davon spricht, dass damit der Kampf gegen den Hunger sowie der Beitrag des WFP zum Frieden in Konfliktgebieten ausgezeichnet werden sollen. Aufgaben, betonte Reiss-Andersen, die sich eben nur multilateral lösen lassen.

Natürlich ist das auch ein Signal. Diese Worte lassen sich als gegen Eisenhowers jetzigen Nachfolger im Weißen Haus gerichtet verstehen. Donald Trump hat vor ein paar Wochen ebenfalls vor der UN-Generalversammlung eine Ansprache gehalten, sie klingt wie das genaue Gegenteil der Worte Eisenhowers. Von Multilateralismus und hehren Zielen wie dem Kampf gegen Hunger ist da keine Rede. Trump ermuntert die Staaten der Welt vielmehr, seinem Beispiel zu folgen und sich nicht um die Interessen anderer zu scheren.

Sowohl das Desinteresse der Supermacht USA als auch politische Einflussnahme sind für das WFP indes nichts Neues. Zum Beispiel Jemen: Weil Nahrungsmittel in dem Bürgerkriegsland immer wieder abgezweigt wurden, stoppte das WFP 2014 teilweise die Versorgung. Eine lokale Partnerorganisation, die vom WFP mit der Verteilung beauftragt worden war, verkaufte die Notrationen offenbar im Auftrag der Mächtigen. WFP-Chef David Beasley nannte die Vorgänge eine "Schande". Ähnliche Vorwürfe wurden einige Jahre später laut. Von den Hilfslieferungen in Somalia komme höchstens die Hälfte bei den Menschen an, hieß es, der Rest werde von korrupten Politikern und Geschäftsleuten abgezwackt. Das WFP wies dies zurück. Doch immer wieder ist das WFP im Lauf seiner Geschichte zwischen die Fronten geraten. 2009 etwa mussten die UN alle Büros in Pakistan schließen, nachdem fünf WFP-Mitarbeiter bei einem Selbstmordanschlag umgekommen waren.

Bundesregierung ist der zweitgrößte Beitragszahler

Doch auch finanzielle Zwänge stellen das WFP vor Herausforderungen. Immer wieder mangelt es an Geld. Die Organisation ist ausschließlich von freiwilligen Beiträgen abhängig, vor allem von denen der rund 60 Regierungen, die das WFP unterstützen. Die Bundesregierung ist der zweitgrößte Beitragszahler. Ein fester UN-Etat steht dem WFP nicht zu. Im Jahr 2014 etwa musste es die Lebensmittelhilfe für die geschundene Bevölkerung in Syrien reduzieren, weil Geld fehlte.

Dabei ist das WFP die wichtigste Organisation der UN zur Eindämmung des weltweiten Hungers. Im vergangenen Jahr half die Organisation eigenen Angaben zufolge 97 Millionen Menschen in 88 Ländern. Das entspricht 12,6 Milliarden Mahlzeiten jedes Jahr. Es hilft Opfern von Naturkatastrophen und Menschen in Kriegsgebieten mit Lebensmitteln. Um ihre Wirtschaft anzukurbeln, kauft das WFP mehr Waren und Dienstleistungen von Entwicklungsländern als jede andere UN-Agentur.

Die Organisation wird seit drei Jahren von dem Amerikaner David Beasley geleitet. Beasley, 63, war Politiker, bevor er den WFP-Chefposten übernahm. Er war Republikaner und unterstützte früh Donald Trump im Wahlkampf. Von 1995 bis 1999 war er Gouverneur des Bundesstaates South Carolina, seiner Heimat. Doch er pflegte zweifellos einen anderen politischen Stil als Trump. Er setzte sich dafür ein, die Konföderiertenflagge von der Kuppel des Staatskapitols zu entfernen, und wurde dafür mit dem John F. Kennedy Profile in Courage Award ausgezeichnet.

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vor wenigen Monaten kam er sehr schnell darauf zu sprechen, vor welche immensen Herausforderungen nun das Coronavirus seine Organisation stellt. Er warnte eindringlich vor den Folgen von Grenzschließungen und Reisebeschränkungen für die Länder des globalen Südens. "So etwas wie das haben wir noch nie zuvor erlebt", sagte er angesichts der Pandemie. Sie mache alles komplizierter, etwa, weil Fluggesellschaften viele Flüge ausgesetzt hatten und so die Hilfslieferketten unterbrochen waren. Wenige Tage nach dem Interview warnte Beasley in einer virtuellen Sitzung des UN-Sicherheitsrates die Mitgliedstaaten vor der "schlimmsten humanitären Krise seit dem Zweiten Weltkrieg". Wenn die internationale Gemeinschaft nicht mit vereinten Kräften die Schwächsten vor den Auswirkungen schütze, sagte er wie einst Eisenhower, dann drohten mehr als 200 Millionen Menschen vor den Augen der Welt zu verhungern.

Kritik am WFP

Damals ahnte Beasley nicht, dass das norwegische Nobelkomitee dem WFP den Friedensnobelpreis verleihen wird. "Noch nie war die Arbeit der humanitären Organisationen kritischer als unter den außergewöhnlichen Umständen des Jahres 2020", erklärte nun das Komitee. Da die Auswirkungen von Covid-19 Hunderte Millionen Menschen in den Hunger trieben, sei humanitäre Nahrungsmittelnothilfe "absolut unerlässlich".

Doch das WFP muss sich, wie andere humanitäre Organisationen, auch Kritik stellen. Der zentrale Vorwurf: Was es bekämpfen will, perpetuiert es selbst. Indem das WFP an einigen Orten seit Jahren und gar Jahrzehnten die Aufgaben des Staates übernimmt, wo dieser versagt, kann sich der Staat seiner Verantwortung entziehen. Schon mit der globalen Finanzkrise vom Jahr 2008 an war eine Hungerkrise einhergegangen, das WFP musste sich damals dem Vorwurf stellen, es würde indirekt die Landwirte in den USA subventionieren, indem es Überschüsse der amerikanischen Bauern als Spende der US-Regierung annahm. Die Projekte des WFP könnten so zur Schwächung der landwirtschaftlichen Produktion in Entwicklungsländern beitragen. Der damalige Weltbank-Präsident hatte gefordert, die USA sollten wie die EU ihren Beitrag zum WFP direkt in Geld leisten, um die Landwirtschaft in den Armutsregionen zu stärken.

In bewaffneten Konflikten wird das Leid der Bevölkerung häufig als Druckmittel missbraucht - siehe Jemen. Daran ändert auch das WFP nichts. Es will allerdings verhindern, dass Hunger als Waffe in Konflikten eingesetzt wird. Und für dieses noble Ziel und seinen Beitrag dazu erhielt es an diesem Freitag den Friedensnobelpreis. Seit seiner Gründung ist es ihm gelungen, dass heute immerhin nicht einmal jeder zehnte Mensch weltweit von Hunger bedroht ist. In den 60er-Jahren, als das WFP gegründet wurde, war es jeder dritte.

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