Friedensnobelpreis für Johnson-Sirleaf und Gbowee:Liberias unerschrockene Kämpferinnen für die Freiheit

Abgehackte Glieder, ungesühnte Morde und ein Land, in dem zwei Drittel aller Frauen Opfer sexueller Gewalt werden: Liberias Präsidentin Johnson-Sirleaf erhält den Friedensnobelpreis für ihren Kampf für Frauenrechte. Ebenfalls geehrt wird die Aktivistin Leymah Gbowee. Den Frauen gelingt, wozu die Männer in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land unfähig sind: Frieden schaffen ohne Waffen.

Oliver Das Gupta und Kathrin Haimerl

Bei ihrer Vereidigung 2006 brach Ellen Johnson-Sirleaf ein Tabu: Sie gelobte, gegen die Vergewaltigung liberianischer Frauen kämpfen zu wollen. "Vergewaltigung" - dieses Wort hört man in Liberia nicht häufig, und insbesondere würde man es nicht bei der Antrittsrede des neuen Staatsoberhaupts erwarten.

Und doch sprach Johnson-Sirleaf eines der drängendsten Probleme in Liberia an: In dem 14-jährigen Bürgerkrieg sind einer nicht-repräsentativen Studie der Internationalen Hilfsorganisation für Flüchtlinge (IRC) zufolge fast 74 Prozent der Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren Opfer sexueller Gewalt geworden. Die Gewalt dauerte nach dem Ende des Krieges 2003 noch an. Es waren denn auch die Stimmen der Frauen im Land, die der heute 72-Jährigen zur Macht verhalfen: Sie dürften gehofft haben, dass eine Frau mit den Schrecken der Vergangenheit aufräumen würde.

Die Ankündigung des Nobelkomitees, Johnson-Sirleaf für ihren Einsatz für Frauenrechte mit dem Friedensnobelpreis zu ehren, fällt mitten in ihren Wahlkampf: Am kommenden Dienstag wird in Liberia gewählt. Eine zweite Amtszeit schien lange fraglich, doch die Auszeichnung aus Oslo könnte der Amtshinhaberin nun Auftrieb verleihen.

Wichtige Wegbereiterin für Johnson-Sirleafs ersten Wahlsieg war die Friedensaktivistin Leymah Gbowee, die ebenso wie Tawakkul Karman aus dem Jemen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird. Sie hatte eine Frauenbewegung gegründet, die Christinnen und Muslima bei Protesten für ein Ende des Bürgerkrieges zusammenführte. Um Frieden zu erzwingen, verweigerten die Frauen ihren Männern unter anderem in einem "Sex-Streik" jeglichen Geschlechtsverkehr.

Das Nobelkomitee erklärte, Gbowee habe "Frauen über ethnische und religiöse Grenzen hinweg zusammengeführt, um einen langen Krieg in Liberia zu beenden und die Teilnahme von Frauen an Wahlen sicherzustellen". Weiter heißt es in der Begründung: "Wir können keine Demokratie und keinen dauerhaften Frieden erlangen, solange Frauen nicht die gleichen Möglichkeiten wie Männer bekommen, die Entwicklungen in allen Gesellschaftsbereichen zu beeinflussen." Das Gremium hoffe, dass die diesjährige Entscheidung dazu beitragen werde, "die Unterdrückung von Frauen zu beenden, die immer noch in vielen Ländern stattfindet, und sich des großen Potentials bewusst zu werden, das Frauen für Demokratie und Frauen bedeuten."

In Amerika ausgebildet, in Afrika engagiert

Ellen Johnson-Sirleaf hat eine atemberaubende Karriere hinter sich: Seit den sechziger Jahren war die Harvard-Ökonomin und vierfache Mutter mehrfach Ministerin, arbeitete für die Weltbank und war Leiterin des UN-Entwicklungsprogramms für Afrika. Allerdings wurde sie in den achtziger Jahren wegen ihres Widerstandes gegen Diktator Samuel Doe zwei Mal inhaftiert. Im November 2005 gewann sie die Präsidentschaftswahlen gegen den Fußballstar George Weah und brach damit die 158-jährige Männerherrschaft in Liberia. Zugleich stand erstmals eine Frau an der Spitze eines afrikanischen Staates.

Anders als Johnson-Sirleaf bekleidete Leymah Gbowee keine wichtigen Positionen, auch wenn beide für dieselben Ziele kämpfen: Frauenrechte, Frieden und Freiheit. Gbowees Weg führte nicht über Gremien, sondern über die Straße. Als sie als 17-Jährige in die Haupstadt Monrovia kam, sei sie innerhalb weniger Stunden von einem Kind zu einer Erwachsenen geworden, erzählt die selbstbewusste Frau mit der tiefen Stimme.

In Liberia tobte der Bürgerkrieg und die im Hinterland aufgewachsene Gbowee fand eine aussichtslose Lage vor: Blutlachen in den Straßen, Männer, Frauen und Kinder, denen Hände abgehackt waren oder auf einem Bein vorbei humpelten. Zigtausende wurden verstümmelt, vergewaltigt und ermordet von den Schergen des Diktators Charles Taylor und anderen Warlords.

Gbowee, die in den USA an der Eastern Mennonite University in Harrisonburg (Virginia) studierte, besann sich anders: Sie engagierte sich als Streetworkerin in Monrovia, sorgte sich um traumatisierte Menschen und kümmerte sich auch um die zu Mordmaschinen abgerichteten Kindersoldaten. In der Endphase des Gemetzels 2003 schloss sie sich mit anderen Frauen zusammen, um das zu schaffen, wozu die Männer unfähig waren: Frieden auf gewaltlosem Wege zu erzwingen.

"Hoffnung auf ein neues Liberia"

Vor zehn Jahren wurde Gbowee Koordinatorin der Organisation "Women in Peacebuilding". Wenig später gründete sie "Women of Liberia Mass Action for Peace": Mit dieser überkonfessionellen Bewegung organisieren Gbowees Mitstreiterinnen ihre Aktionen: Sie brachten Frauen verschiedener Ethnien und unterschiedlicher christlicher Glaubensrichtungen mit Musliminnen zusammen. Die mutigen Frauen initiierten Protestgesänge und öffentliche Gebete auf den Marktplätzen Monrovias und tägliche Sit-ins.

Muslimische und christliche Frauen zogen sich weiße T-Shirts über als Zeichen der Gleichheit und des Friedens und fragten: "Kann eine Kugel einen Christen von einem Muslim unterscheiden?" Gbowee ist nicht nur Anführerin der Bewegung, sondern auch deren umsichtige und umfassende Organisatorin. Ihr Networking elektrisiert die Frauen, die zwischen Tradition, Machotum und Mutlosigkeit eingezwängt sind. "Die Treffen dienen auch als Raum, um Ärger und Frustration loszuwerden", stellte Gbowee einmal fest.

Wie klug und gewieft die 1972 geborene Gbowee agiert, zeigte sich in der Friedenskampagne, die sie zwischen den kriegführenden Ländern Liberia und Ghana vorantrieb: Die unerschrockenenen Frauen rangen dem blutrünstigen Machthaber Taylor nicht nur das Versprechen ab, mit Ghana über den Frieden zu verhandeln. Sie fuhren auch in das Nachbarland, um dort Mitstreiterinnen zu suchen, um gemeinsam Druck auf die ghanaische Regierung auszuüben.

2003 endete der Bürgerkrieg, Taylor sitzt inzwischen in Den Haag. Sein furchtbares Erbe beschäftigt Liberia noch immer, die Aufarbeitung der Schreckenstaten des Bürgerkriegs hat Johnson-Sirleaf zu einer ihrer Prioritäten erklärt. Dazu hat sie eine "Wahrheits- und Versöhnungskommission" nach südafrikanischem Vorbild eingerichtet. Mitglied in dem Gremium ist die Aktivistin Gbowee.

Zwei Generationen, ein Ziel

Die Enddreißigerin Gbowee und die Seniorin Johnson-Sirleaf - zwei Frauen aus unterschiedlichen Generationen streiten auf unterschiedlichen Wegen für dieselben Ideale und stehen nun in einer Reihe mit den anderen Friedensnobelpreisträgern wie Nelson Mandela, Willy Brandt, Bertha von Suttner und Mutter Teresa.

In einer ersten Reaktion auf die Nachricht würdigte Präsidentin Johnson-Sirleaf ihre Mitstreiterin Gbowee: "Viel von der Ehre dieses Preises gehört ihr und den anderen liberianischen Frauen, die die Diktatur herausgefordert haben." Für sich selbst sieht sie den Preis als "Anerkennung für sehr viele Jahre voller Kampf". Zudem sei der Preis "wunderbarer Ausdruck für die Hoffnung auf ein neues Liberia".

Seit ihrem Amtsantritt hat sich in Liberia viel getan: Schlüsselpositionen in ihrem Kabinett sind mit Frauen besetzt, eine ihrer ersten Amtshandlungen war es, den Posten des Polizeichefs mit einer Frau zu besetzen. Auch beim Militär gibt es mehr Frauen. "Meine Regierung soll die liberianischen Frauen in allen Lebensbereichen stärken", hatte sie 2006 angekündigt.

"Ma Ellen", wie sie ihr Volk nennt, ist zwar beliebt, aber nicht unumstritten: In einem Bericht der Kommission für Wahrheit und Versöhnung aus dem Jahr 2009 wird ihr angekreidet, Diktator Charles Taylor zeitweise unterstützt zu haben. Johnson-Sirleaf brachte zu ihrer Verteidigung vor, sie habe sich von Taylor abgewandt, als dessen Verbrechen offenkundig wurden.

Das norwegische Nobelpreiskomitee bescheinigte Sirleaf, zur "Absicherung des Friedens" beigetragen sowie die wirtschaftliche und soziale Entwicklung gefördert zu haben. Tatsächlich stand Liberia vor fünf Jahren am Rande des Abgrunds: 300.000 Menschen waren im Bürgerkrieg ums Leben gekommen. Die Staatsstrukturen waren zerstört, die Arbeitslosigkeit lag bei 85 Prozent. Der Wiederaufbau des westafrikanischen Küstenlands war eine gigantische Aufgabe.

Kaum ein anderer afrikanischer Staat hat seither größere Fortschritte gemacht. Außerdem sind Zehntausende Zivilisten aus dem ausländischen Exil zurückgekehrt. Aber ein Großteil der Bevölkerung ist noch immer bitterarm - und die Arbeitslosenquote ist nur marginal gesunken.

Mit Material von AFP, dapd und dpa

Linktipp: Im Oktober 2009 gab Ellen Johnson-Sirleaf der Süddeutschen Zeitung ein Interview.

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