Friedensnobelpreis für die Europäische Union:"Grund, stolz zu sein"

Europäische Politiker reagieren stolz auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU - manche zeigen sich gar tief bewegt. Kommissionspräsident Barroso betont, die Auszeichnung gelte "allen 500 Millionen Bürgern" in Europa. Kanzlerin Merkel sieht in der Ehrung auch einen Ansporn für die Zukunft. Ihr Vorvorgänger Kohl spricht von einer Bestätigung für das Friedensprojekt Europa. Doch es gibt auch Kritik.

In Zeiten der Euro-Krise hat das Nobelpreiskomitee in Oslo ein Zeichen gesetzt - und die Europäische Union mit dem Friedensnobelpreis auszeichnet. Der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, bezeichnete den Friedensnobelpreis für die Europäische Union (EU) als große Ehre. Sie gelte "der ganzen EU, allen 500 Millionen Bürgern", teilte Barroso via Twitter mit.

Wenig später trat er vor die Presse: "Ich muss gestehen, als ich am Morgen aufgewacht bin, habe ich nicht erwartet, dass dies ein so guter Tag wird", sagte er. Die EU habe den Preis verdient für ihre Arbeit zum Nutzen der Bürger und der Welt.

Auch auf die gegenwärtig schwierige Lage in der EU spielte Barroso an: Der Preis sei eine wichtige Botschaft für Europa: Die Europäische Union sei so kostbar, dass sie zum Nutzen der Europäer und der Welt bewahrt werden müsse. Entstanden in den Ruinen des Zweiten Weltkriegs sei die EU heute ein Ort, von dem aus die Demokratie und die Menschenrechte verbreitet würden, um die Welt zu einem besseren Platz zu machen. Auch kämpfe man an vorderster Front, um den Planeten Erde zu schützen und den Klimawandel zu bekämpfen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete die Vergabe des diesjährigen Friedensnobelpreises an die EU als "wunderbare Entscheidung". "Wir Europäer, wir sind zu unserem Glück vereint", so die Kanzlerin. "Das ist Ansporn und Verpflichtung zugleich - auch für mich ganz persönlich." Das Nobelpreiskomitee würdige mit dem Preis die Idee der europäischen Einigung. Nach Jahrhunderten schrecklicher Kriege sei mit den Römischen Verträgen Ende der fünfziger Jahre der Grundstein für eine Friedensgemeinschaft gelegt worden. Merkel verwies zugleich auf die gemeinsame Währung, den Euro. Dieser sei mehr als nur eine Währung.

Der Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker sagte, manchmal sei es gut, einen derartigen Zuruf von außerhalb zu bekommen: "Die weite Welt möchte uns daran erinnern, wieso wir in der Welt als ein Modell für andere angesehen werden."

Die Mitverantwortung für Europa muss nach Ansicht des designierten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück täglich neu begründet werden. "Dies ist das eigentlich Signal dieses Preises", sagte Steinbrück am Rande der Frankfurter Buchmesse. Steinbrück kritisierte "kleinkarierte Debatten" um eine Transfer- und Haftungsunion. Europa dürfe nicht nur auf die Währungsunion oder andere ökonomischen Institutionen reduziert werden, sagte Steinbrück. Wichtig sei es, den Menschen die europäischen Traditionen des Rechts- und Sozialstaats und der kulturellen Vielfalt deutlich zu machen. Damit könne auch "rechtspopulistischen dumpfbackigen Parolen" begegnet werden.

Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle sprach von einer "großartigen Entscheidung, die mich stolz und glücklich macht". Die europäische Integration sei das erfolgreichste Friedensprojekt der Geschichte. "Aus den Trümmern von zwei schrecklichen Weltkriegen sind Frieden und Freiheit gewachsen, aus Erbfeinden sind gute Freunde und untrennbare Partner geworden", sagte Westerwelle.

Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz zeigte sich "tief bewegt" und "geehrt" über den Friedensnobelpreis. "Das kann als Inspiration dienen", erklärte der deutsche SPD-Politiker über den Internet-Kurznachrichtendienst Twitter. "Die EU ist ein einzigartiges Projekt, das Krieg durch Frieden, Hass durch Solidarität ersetzte."

Kohl spricht von kluger und weitsichtiger Entscheidung

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy würdigte die Rolle der Gemeinschaft als "größter Friedensstifter der Geschichte". "Wir sind alle sehr stolz, dass die Bemühungen der EU anerkannt werden, den Frieden in Europa zu bewahren", sagte Van Rompuy vor Journalisten in Helsinki. "Europa hat zwei Kriege im 20. Jahrhundert erlebt, und wir haben dank der EU Frieden geschaffen. Damit ist die Europäische Union der größte Friedensstifter in der Geschichte."

Auch der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger betonte die friedensstiftende Wirkung der EU: "Der Preis zeigt: Europa ist eine Friedensunion und nicht nur ein Wirtschaftsraum. Das Nobelpreis-Komitee zeichnet damit insbesondere die friedliche Erweiterung der EU nach Mittel- und Osteuropa aus. Dieser Preis verpflichtet uns auch, uns für Frieden und Sicherheit in Europas direkter Nachbarschaft und in anderen Weltregionen einzusetzen, zum Beispiel in Nordafrika und im Nahen Osten."

"Wünsche mir höhere Maßstäbe"

Altkanzler Helmut Kohl würdigte die Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union als "kluge und weitsichtige Entscheidung" gewürdigt. "Ich freue mich sehr", sagte Kohl, der Anfang der neunziger Jahre den Maastricht-Vertrag aushandelte und gemeinsam mit den anderen Staats- und Regierungschefs die Währungsunion auf den Weg brachte. Der Friedensnobelpreis 2012 sei vor allem eine Bestätigung für das Friedensprojekt Europa. "Er ist auch eine Ermutigung für uns alle, auf dem Weg des geeinten Europa weiter voranzugehen. Als Europäer haben wir heute allen Grund, stolz zu sein."

Der ehemalige französische Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing sagte, es sei richtig, dass die gemeinsame Anstrengung der Europäer und ihrer Führer, einen dauerhaften Frieden zu etablieren, belohnt und geehrt werde.

Kritik von der Linken

Kohls Nachfolger Gerhard Schröder sprach von einer "großen Ermutigung" für die Europäer. "Für das Zusammenwachsen Europas kommt sie zum richtigen Zeitpunkt und stärkt die Kräfte, die sich für eine weitere Integration der Europäischen Union einsetzen", sagte Schröder der Nachrichtenagentur Reuters. "Sie ist eine deutliche Absage an Nationalismus und Kleinstaaterei."

Alle Entscheidungsebenen der Europäischen Union müssten diese höchste Auszeichnung als Ansporn nehmen, den Weg zu einer verstärkten Integration mit aller Kraft fortzusetzen. Nur so könne die Europäische Union als eine sozial, wirtschaftlich, kulturell und politisch erfolgreiche Gemeinschaft Vorbild für andere Regionen sein.

Doch es gibt auch Kritik an der Entscheidung des Komitees: "Die EU ist gerade dabei, sich aufzurüsten, weil sie außerhalb Europas an Kriegen teilnehmen will", sagte Linke-Fraktionschef Gregor Gysi am Rande einer Konferenz aller Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei in Hannover. Schon über die Vergabe des Preises an den amerikanischen Präsidenten Barack Obama im Jahr 2009 sei er sehr erstaunt gewesen. "Da wünsche ich mir höhere Maßstäbe", sagte er.

Der Präsident und EU-Skeptiker Vaclav Klaus hat die Vergabe an die EU in einer ersten Reaktion als "Scherz" abgetan. Der neoliberale Staatschef könne die Nachricht nicht glauben, sagte sein Sprecher der Zeitung "Pravo".

Die russische Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa zeigt sich enttäuscht. "Ich hätte es besser gefunden, wenn zum Beispiel ein politischer Häftling in Iran den Preis erhalten hätte", sagte die 85-Jährige nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax.

Eine andere Möglichkeit wäre Alexejewa zufolge gewesen, die russische Opposition auszuzeichnen. Das Nobelpreis-Komitee habe die Chance verpasst, eine Rolle bei der Stärkung der Menschenrechte und der von Kremlchef Putin zunehmend geschwächten Zivilgesellschaft in Russland zu spielen.

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