Friedensnobelpreis:Abiy Ahmed, der schnelle Revolutionär

Abiy Ahmed, Premierminister von Äthiopien 2019 in Addis Abeba

Abiy Ahmed, Ministerpräsident Äthiopiens, bei einem Treffen afrikanischer Staatsführer in Addid Abeba.

(Foto: AFP)

Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed schloss im Eiltempo Frieden mit Nachbar Eritrea und wirkt als Mediator in der Region. Allerdings führte seine Politik auch zu neuer Gewalt und Machtkämpfen.

Von Thomas Hummel

Berit Reiss-Andersen kam den Kritikern dieser Preisvergabe zuvor, indem sie die Bedenken in ihre Rede aufnahm. Kommt der Friedensnobelpreis für Abiy Ahmed zu früh? "Wir glauben", sagte Reiss-Andersen im norwegischen Nobel-Institut in Oslo, "die Anstrengungen von Abiy Ahmed verdienen Unterstützung und Ermutigung." In ihren Worten schwang die Hoffnung mit, dass die Entscheidung des fünfköpfigen Nobel-Instituts den Friedensbemühungen in Äthiopien und ganz Ostafrika neuen Schwung verleiht.

Abiy Ahmed, 43, ist seit April 2018 Ministerpräsident Äthiopiens. Seither staunt die eigene Bevölkerung und mit ihr die Nachbarstaaten über seine Politik, manche sprechen von Euphorie. Bisweilen herrschte auf den Straßen der Hauptstadt Addis Abeba eine wahre "Abiymania".

27 Jahre lang hatte die Partei mit dem Namen "Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker" (EPRDF) das Land beherrscht, Oppositionelle wurden verfolgt, eingesperrt oder aus dem Land gejagt. Auch Abiy Ahmed gehört der Partei an, weshalb Skeptiker keine großen Reformen erwarteten. Doch es kam anders. Er regierte von Beginn an so, als wäre er seinem Namen verpflichtet: Abiy leitet sich von Abiyot ab, dem Wort für "Revolution".

Abiy beendete den herrschenden Ausnahmezustand in Äthiopien, entließ politische Gefangene aus der Haft und öffnete staatliche Firmen für private Investoren. In seine Regierung holte er so viele Frauen wie Männer, was gerade für Afrika wahrlich einer Revolution im Verhältnis der Geschlechter gleicht. Zudem bot er schon im Juni vergangenen Jahres dem Nachbarn Eritrea Friedensgespräche an. Jahrzehntelang standen sich die beiden Länder feindlich gegenüber, Krieg gehörte zur Normalität. Schon am 9. Juli 2018 unterschrieben Abiy Ahmed und der eritreische Präsident Isaias Afewerki eine "Gemeinsame Erklärung des Friedens und der Freundschaft". Es erschien unglaublich, wie schnell das alles ging. In Oslo erkannte das Nobel-Institut nun an, dass es für Frieden immer zwei Seiten brauche. Also in diesem Fall auch den eritreischen Diktator Afewerki, der die ausgestreckte Hand Abiys ergriffen habe.

Abiy Ahmed vermittelt in der Region

Dass die Norweger nicht beide mit dem Friedenspreis auszeichneten, hängt offenbar mit dem weiteren Wirken Abiys für die ganze Region zusammen. Abiy Ahmed vermittelte zwischen den feindlich gesinnten Staaten Eritrea und Dschibuti, im Streit um Seerechte zwischen Kenia und Somalia bot er sich als Mediator an, "es gibt Hoffnung, diesen Konflikt jetzt zu lösen", sagte Reiss-Andersen in Oslo. Zudem habe Abiy eine Schlüsselrolle im Friedensprozess im Sudan gespielt, dort haben im August das Militärregime und die Opposition gemeinsam einen Entwurf für eine neue Verfassung veröffentlicht.

"Das ist ein Preis, der Afrika verliehen wird, der Äthiopien verliehen wird", sagte Abiy nach der Vergabe in einem Telefonat mit dem Sekretär des Nobelkomitees. Er sei sehr froh über die Ehrung. "Ich danke Ihnen vielmals. Ich bin so glücklich und so begeistert über die Nachricht." Ist Abiy Ahmed der Friedensengel für eine Region, die seit Jahrzehnten unter immer neuen und anhaltenden Konflikten leidet?

Abiy ist das Kind eines muslimischen Vaters und einer christlichen Mutter. Diese Herkunft verschaffte ihm Glaubwürdigkeit, als ihn die Regierung 2010 in seine Heimatregion Beshasha schickte, um dort einen Religionskonflikt zu befrieden. Dem damals 34-Jährigen gelang es, die Spannungen zwischen Muslimen und Christen zu befrieden. Später promovierte er über die Lösung interreligiöser Konflikte an einer Universität in Addis Abeba.

Doch nicht alle Brandherde lösten sich seit seiner Amtsübernahme als Ministerpräsident in Wohlgefallen auf. Die harte Hand, mit der die Partei EPRDF zuvor regiert hatte, hatte viele Interessen unterdrückt. Manche vergleichen Äthiopien mit Jugoslawien, das nach dem Tod des langjährigen Herrschers Tito in seine ethnischen Einzelteile zerbrach.

Zwar verspricht Abiy freie Wahlen für das Jahr 2020, doch die Rückkehr einiger Oppositioneller aus dem Exil sowie die Freilassung politischer Gefangenen führte auch zu neuer Gewalt und Machtkämpfen. Im September 2018 gab es schwere Unruhen in einem Vorort der Hauptstadt mit Plünderungen und Brandstiftungen, mindestens 23 Menschen sollen ums Leben gekommen sein, 800 aus ihren Häusern vertrieben.

Putschversuch im Juni

Im Juni dieses Jahres gab es einen Putschversuch. Der Regionalpräsident im Norden des Landes wurde getötet, ebenso der Chef der äthiopischen Streitkräfte. Die Regierung Abiy reagierte mit den Mitteln ihrer Vorgänger, schaltete das Internet im ganzen Land ab und schlug zurück. Als Drahtzieher beschuldigte sie einen Mann, der von der politischen Amnestie profitiert hatte. Dieser wurde kurz darauf von Sicherheitskräften getötet.

Unter anderem dieser Vorfall entfachte erste Kritik an der Abiy. Kann er wirklich die Region dauerhaft befrieden oder wird auch er hineingezogen in den Kreislauf aus Macht und Gewalt? Kommt der Friedensnobelpreis doch zu früh? Die Zuversicht, es möge anders kommen, hat das Nobel-Institut offenbar überzeugt.

Reiss-Andersen sagte in Oslo: "Ethnische Auseinandersetzungen eskalieren weiter und wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten beunruhigende Beispiele dafür gesehen." Das Komitee hoffe aber, der Friedensnobelpreis werde Abiy in seinem wichtigen Werk für Frieden und Versöhnung stärken. In einer ersten Reaktion sagte António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen: "Ich habe oft gesagt, ein Wind der Hoffnung weht immer stärker über Afrika. Premierminister Abiy Ahmed ist dafür einer der Hauptgründe."

Zur SZ-Startseite

Frieden in Eritrea
:Am Flughafen wartet das neue Leben

In Eritrea weckt die Aussöhnung mit Äthiopien Hoffnung. Viele verzweifeln an einem Staatsdienst, der der Sklaverei nahe kommt. Besuch in einem bislang abgeschotteten Land.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: